Untersuchung im Fall Lügde: in anderen NRW-Behörden mehr Fälle pro Polizist
„Polizei Lippe nicht überarbeitet“
Detmold/Düsseldorf (WB). Polizisten der Kreispolizeibehörde Lippe haben angeblich keine höhere Arbeitsbelastung als die anderer Behörden in Nordrhein-Westfalen – im Gegenteil. Das hat die von NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) in Auftrag gegebene Organisationsuntersuchung ergeben.
Von Christian Althoff
Nach Bekanntwerden der Pannen im Missbrauchsfalls Lügde hatte es vor einem Jahr geheißen, die Beamten seien überlastet, was zu den Pannen beigetragen habe. Das sei nicht so, schreibt jetzt das Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste in seinem 239 Seiten starken Bericht an den Minister.
Handlungsempfehlungen
Selten ist eine Polizeibehörde in NRW so schnell und so tief durchleuchtet worden wie die in Lippe. Altersstruktur, Fortbildungen, der Umgang mit Vermisstenfällen, die Befragung von Opfern, der Verkehrsdienst, die Aufbewahrung von Asservaten, der Gewahrsamsdienst, der Umgang mit häuslicher Gewalt, Bürgerbeschwerden – diese und weitere Bereiche wurden analysiert und bewertet. Nach Angaben von Innenminister Reul haben die Experten 113 Handlungsempfehlungen aufgelistet, von denen schon 109 umgesetzt worden sein sollen (was allerdings von einzelnen lippischen Beamten bezweifelt wird).
Einer Empfehlung widersetzt sich Landrat Axel Lehmann (SPD) aber: Dem Vorschlag, die Zahl der Wachen zu reduzieren, um Personal zu bündeln. Wachen gibt es aktuell in Detmold, Bad Salzuflen, Blomberg, Lage und Lemgo, und dabei soll es bleiben. Landrat Lehmann: „Wir wollen für die Bürger auf kurzen Wegen erreichbar sein und im Notfall weiterhin zügig am Einsatzort eintreffen.“
Vergleich
Nach Reuls Worten ergab die Untersuchung keinen Hinweis darauf, dass die Personalausstattung in Lippe nicht ausreicht. „Auch wenn einzelne Mitarbeiter von einer hohen Belastung sprechen.“ Die Experten hatten die Belastung der lippischen Beamten mit der in fünf ähnlichen Behörden verglichen, darunter Minden-Lübbecke, Paderborn und Gütersloh. Betrachtet wurde der Zeitraum seit 2014. Demnach war die Zahl der Fälle pro Mitarbeiter im Ermittlungsdienst nirgendwo so niedrig wie in Lippe. Hier war jeder Beamte im Jahresschnitt mit 265 Fällen befasst. In der Gütersloher Behörde waren es dagegen 280, im Kreis Paderborn 314, und in Minden-Lübbecke 325. Auch der Krankenstand in Lippe sei nicht auffällig, heißt es in dem Bericht. Er liege mit sieben Prozent nahe am Landesschnitt von 7,8 Prozent.
Zu den inzwischen abgestellten Kritikpunkten der Experten gehört, dass die Fortbildungen der Polizisten für die Vernehmung der Opfer von Sexualstraftaten sowie die Bearbeitung von Sexualdelikten zum größten Teil zehn Jahre oder noch länger her waren. Auch der Umgang mit Asservaten und deren Dokumentation wurde bemängelt. Bis heute ist ein Koffer mit 155 Datenträgern aus dem Fall Lügde verschwunden. Bemängelt wurde auch der Umgang mit Vermisstenfällen, die dezentral bearbeitet und unterschiedlich gut dokumentiert worden seien. Inzwischen muss jeder Vermisstenfall sofort dem Kommissariat 1 in Detmold gemeldet werden.
Fallkonferenzen
Kritik äußert der Bericht auch am Bereich Ingewahrsamnahme. Einige Menschen sollen unnötig lange festgehalten worden sein, die Dokumentation soll Lücken gehabt haben. Bemängelt wurde außerdem, dass bei Polizeieinsätzen wegen häuslicher Gewalt die betroffenen Kinder und Jugendlichen zu wenig im Fokus der Polizei gestanden hätten.
Die vielleicht wichtigste Änderung: Halbjährlich finden jetzt im Kreis Lippe Fallkonferenzen unter Beteiligung von Jugendrichtern, der Polizei, des Jugendamtes, der Jugendgerichtshilfe, Schulsozialarbeitern und Schulkontaktbeamten der Polizei statt.