Missbrauchsfall Lügde: Kinder erzählten zu Hause von den Taten, aber nichts geschah
Einige Eltern wussten doch Bescheid
Lügde (WB). Der Kindesmissbrauch auf dem Campingplatz Eichwald in Lügde (Kreis Lippe) ist doch nicht allen Eltern verborgen geblieben – aber sie haben offenbar nichts unternommen.
Von Christian Althoff
Das sollen Zeugenbefragungen der EK »Eichwald« ergeben haben, von denen das WESTFALEN-BLATT jetzt erfuhr. Demnach sollen der Polizei allein aus jüngerer Zeit drei Fälle bekannt geworden sein, in denen Eltern Andreas V. hätten anzeigen können. Der 56-Jährige hatte am Donnerstag vor dem Landgericht Detmold annähernd 300 Kindesmissbräuche und Vergewaltigungen gestanden.
Fall 1
Im Lemgoer Schwimmbad »Eau Le« soll Andreas V. mehrfach mit einem Finger in ein Mädchen eingedrungen sein, wenn er es beim Spielen im Wasser hochhob. Die Mutter des Mädchens soll aber erst im Zuge der Lügde-Ermittlungen 2019 bei der Polizei ausgesagt haben. Sie gab an, sie und ihr Mann seien häufiger mit dem Kind im Schwimmbad gewesen und hätten dort einen »Andi« kennengelernt, der immer mit anderen Kinder gespielt habe. Irgendwann habe ihre Tochter nicht mehr ins »Eau Le« gewollt. Sie habe nach dem Grund gefragt, und das Mädchen habe gesagt, der »Andi« habe ihr beim Hochheben immer den Finger in die Scheide gesteckt. Das Mädchen habe gesagt, er solle das lassen, aber er habe einfach weitergemacht. Die Eltern gaben außerdem gegenüber der Kripo an, Andreas V. habe dem Mädchen Nachrichten aufs Handy geschickt und es als »meine Süße« bezeichnet.
Fall 2
Ein anderes Mädchen war zehn, als es vor Jahren zum ersten Mal in der Behausung von Andreas V. übernachtete. Nach Ermittlungen der Polizei soll der Mann nachts die Arme des sich wehrenden Kindes festgehalten und es im Intimbereich angefasst haben. Erst 2019 soll die Mutter bei ihrer Befragung durch die EK »Eichwald« ausgesagt haben, ihre Tochter habe damals plötzlich nicht mehr zu Andreas V. gewollt. Ihre Tochter habe ihr damals erzählt, dass Andreas V. sie zwischen den Beinen angefasst habe.
Fall 3
Nach Ermittlungen der Polizei soll ein Mädchen im Alter von sieben Jahren regelmäßig von Andreas V. missbraucht worden sein, einige Taten sollen Vergewaltigungen gewesen sein. Inzwischen geht die Staatsanwaltschaft von mehr als zwei Dutzend Taten aus. Die Polizei befragte die Mutter Anfang dieses Jahres. Da sagte sie, sie habe Andreas V. vor Jahren über eine Ebay-Kleinanzeige kennengelernt. Er sei immer sehr großzügig und hilfsbereit gewesen. Ihre kleine Tochter habe seinerzeit in den Osterferien, den Sommerferien und den Herbstferien bei Andreas V. und seiner Pflegetochter übernachtet, in den Sommerferien sogar mehrere Wochen. Die Mutter soll ausgesagt haben, schon nach den Osterferien habe ihre Tochter Albträume gehabt, und die Kleine habe ein auffallend sexualisiertes Verhalten an den Tag gelegt. Die Frau soll weiter angegeben haben, ihre Tochter habe nach den Übernachtungen auf dem Campingplatz immer über Schmerzen und Rötungen im Intimbereich geklagt, die sie dann mit Salbe behandelt habe. Ihr sei außerdem aufgefallen, dass ihre Tochter nach den Aufenthalten bei Andreas V. ihre Wäsche frisch gewaschen mit nach Hause gebracht habe.
Die Fälle zeigen, dass die Fassade, die sich Andreas V. aufgebaut hatte, nicht so perfekt war wie bisher von der Öffentlichkeit angenommen. Scheinbar haben sich mehr Kinder als bisher bekannt nicht einschüchtern lassen, sondern sich ihren Eltern offenbart oder zumindest Signale gegeben.
Müssen Eltern, die Hinweise kannten, jetzt mit Konsequenzen rechnen? Eine gesetzliche Pflicht, Straftaten anzuzeigen, die schon geschehen sind, gibt es nicht. Es ist jedoch strafbar, ein Kind trotz Kenntnis des Missbrauchs weiter zum Täter zu lassen. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft Detmold gibt es derzeit aber keine Ermittlungsverfahren gegen Eltern von Lügde-Opfern.
Ein Kriminalbeamter: »Wahrscheinlich will das niemand hören. Aber manche Eltern waren sicherlich auch froh, ihre Kinder ab und zu für ein paar Tage bei Andreas V. unterbringen zu können.«
Die bisherige Berichterstattung: www.westfalen-blatt.de/OWL/Missbrauchsfall-Luegde