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Arminias Trainer spricht im Interview über Privatsphäre, soziale Medien und Erfahrungen im Gefängnis

Uwe Neuhaus: »Ich brauche die Öffentlichkeit nicht«

Bielefeld (WB). Mehr als drei Monate ist Uwe Neuhaus (59) bei Arminia Bielefeld im Amt. Und die Bilanz nach dieser Zeit kann sich absolut sehen lassen. Im Interview blickt der DSC-Coach auf seinen Start zurück. Zudem verrät Neuhaus im Gespräch mit Sebastian Bauer und Dirk Schuster wieso er mit sozialen Medien nichts anfangen kann, er Privatsphäre der Öffentlichkeit vorzieht und sich die Bundeswehr und das Gefängnis positiv auf seine Karriere ausgewirkt haben.

DSC-Trainer Uwe Neuhaus fühlt sich bei Arminia und in Ostwestfalen sichtlich wohl. Foto: Oliver Schwabe

Herr Neuhaus, wie fällt Ihre Zwischenbilanz nach gut drei Monaten bei Arminia aus?

Uwe Neuhaus: Absolut positiv. Es waren natürlich mehrere Phasen. Am Anfang eine Phase, wo nicht umsonst der Trainerwechsel erfolgte, die sehr spannend war, wie die Mannschaft neue Dinge annimmt und unter Druck umsetzt. Für das erste Spiel in Kiel haben wir drei Tage Zeit gehabt, um zu trainieren. Und haben dann ein richtig gutes Spiel gemacht. Das war schonmal eine positive Reaktion der Mannschaft. Sie war sowieso von Beginn an bereit, neue Dinge aufzunehmen. So ein Sieg hilft natürlich auch in der Zeit danach. Ich war mit dem Einstand schon zufrieden. Dann kam die Wintervorbereitung. Die Mannschaft hat sehr gut gearbeitet. Und auch dann sofort wieder ein Sieg in Dresden nach 1:3-Rückstand. Das stärkt noch mehr den Glauben an die Art und Weise zu spielen und an die eigene Qualität. Das hat uns gut getan und hat uns bis zum heutigen Tag geholfen. Es war hilfreich, dass der Weg, den wir eingeschlagen haben, gleich durch Erfolg begleitet wurde.

Sind Sie selbst ein wenig überrascht, dass es in der kurzen Zeit schon 19 Punkte nach zehn Spielen unter Ihnen geworden sind? Hatten Sie sich die Aufgabe noch holpriger vorgestellt?

Neuhaus: Man kann sich vorstellen so viel man will. Es geht darum, wie die Mannschaft versucht, es umzusetzen. Da war vom ersten Tag an das Gefühl, dass die Bereitschaft da war. Der Prozess ist immer noch nicht zu Ende. Es wird immer mal wieder sein, dass man ein gutes Spiel macht und das ein schlechteres dabei ist. Das wird uns noch längere Zeit begleiten. Es ist davon auszugehen, dass es nie in Perfektion gelingen und das jedes Spiel gewonnen wird. Dafür sind die anderen Mannschaften auch zu gut. Wichtig ist, sich nicht vorzustellen, wieviel Punkte man aus zehn Spielen holen könnte, sondern was die Aufgaben sind, was man in der Woche trainieren muss, was die Mannschaft braucht und woran man arbeiten muss. Das ist nicht nur für mich extrem wichtig, sondern auch für die Mannschaft. Da haben wir schon einige Phasen gehabt. Die erste mit dem Druck nach unten. Dann der Rückstand in Dresden, den wir weg gemacht haben. Dann haben wir die Aufgabe gehabt, die schlechte Heimserie aufzupolieren. Das ist uns im Nachhinein mit drei Siegen aus den letzten vier Heimspielen auch gut gelungen finde ich. Aber auch immer wieder Rückschläge wie das 1:5 in Köln zu verkraften. Da kamen gleich die Fragen, ob das hängen bleibt? Wir haben dann bewiesen, dass es nicht der Fall ist. Die Mannschaft hat schon einige Prüfungen bestanden. Sie wird aber auch noch einige vor sich haben.

Wo sehen Sie das größte Potenzial für Verbesserungen bei Ihrer Mannschaft?

Neuhaus: Ich glaube in der Art und Weise zu spielen. Sie wollen das, das ist unbestritten. Es geht darum, jetzt mehr und mehr im richtigen Moment die Lösung zu finden. Das wird uns immer wieder von Woche zu Woche begleiten: weniger Fehler zu machen. Und sich gegen Widerstände durchzusetzen und nicht den Glauben an die eigene Stärke zu verlieren. Manchmal reicht nach einer guten ersten halben Stunde ein Fehlpass. Dann bricht nicht alles zusammen, aber es kommen Zweifel auf. Davon müssen wir uns befreien. Insgesamt ist unser Spiel sicher noch nicht da, wo ich mit der Mannschaft hin will. Da sind mir noch zu viele Passagen dabei, in denen wir nicht aktiv genug sind, wo wir noch nicht genügend den Weg nach vorne suchen. Wir sind manchmal noch zu sehr auf Sicherheit bedacht. Wir haben immer mal eine Phase drin wo man denkt: »Jetzt sind wir aber ganz schön zäh und nochmal quer und nochmal zurück.« Die Phasen will ich in der Häufigkeit auch geringer gestalten.

Uwe Neuhaus (Mitte) im Gespräch mit den Redakteuren Dirk Schuster (links) und Sebastian Bauer. Foto: Oliver Schwabe

Ist Ihnen das Publikum in Bielefeld zu kritisch?

Neuhaus: Nein, das glaube ich nicht. Überall, wo die Zuschauer der Meinung sind, dass nicht gut gespielt wird, haben sie die Finger im Mund. Es ist ihr gutes Recht, ihren Unmut rauszulassen. Dennoch wäre es schön, wenn wir ein bisschen Geduld mit der Mannschaft haben.

Glauben Sie, dass mit der Punktausbeute unter Ihnen Erwartungen geweckt werden, die womöglich schwer zu erfüllen sind?

Neuhaus: Nein, ich will jeden Punkt mitnehmen, den wir kriegen können. 19 Punkte aus zehn Spielen sind wirklich eine gute Ausbeute. Ich habe schon gelesen, dass es ein Aufsteigerschnitt ist. Aber das ist mir doch lieber, als wenn wir sagen: Komm, wir haben 16 Punkte und die reichen, um die Erwartungen niedrig zu halten. Es kommt nun die dritt- oder viertnächste Stufe, die wir bewältigen müssen. Es wird sich zeigen, ob die Mannschaft gut genug ist, erstens nicht zufrieden zu sein und zweitens mit einem neuartigen Druck umgehen zu können.

Sind Sie gespannt, wie die Mannschaft mit dem Gefühl umgeht, früh in der Saison nahezu gerettet zu sein und ob sie angesichts dessen noch hungrig bleibt?

Neuhaus: Woche für Woche kommt immer was Neues. Nun haben wir Länderspielpause, das ist auch wieder eine Prüfung für uns. Ich habe mir sagen lassen, dass nach den letzten acht Länderspielpausen kein Sieg gelungen ist. Das habe ich zu unserem neuen Ziel ausgerufen. Da haben wir schon wieder eine Prüfung für die Mannschaft, bei der sie sich beweisen kann.

Nach dem 1:5 in Köln haben Sie gesagt, dass sie noch nicht genau beurteilen können, wie die Mannschaft das wegsteckt, weil sie das Team noch nicht gut genug kennen. Wann ist für sie so ein Kennenlernprozess beendet? Endet er überhaupt?

Neuhaus: Ich glaube man kann nicht sagen nach sechs Wochen, drei Monaten oder sechs Monaten. Jeden einzelnen kenne ich jetzt einigermaßen, genau wie die Gruppe an sich. Ich weiß aber noch nicht, wie sie in jeder einzelnen Situation reagiert. Das ist alles noch frisch, 100 Tage sind noch keine lange Amtszeit. Sie werden mich testen. Den ein oder anderen Test mit mir haben sie schon versucht. Ich habe von der Mannschaft verlangt, dass wir mit Spaß und Freude und auch aufgrund der Ergebnisse mit einer gewissen Lockerheit trainieren. Aber wir müssen auch Intensität reinbringen, sonst werden wir kontinuierlich schwächer. Dann verpasst du den Zeitpunkt, hast ein verlorenes Spiel und weißt im Nachhinein: Das hat an den zwei Wochen Training gelegen. Es ist ein wichtiger Schritt, den die Mannschaft gehen muss, um auch in Zukunft davor sicher zu sein, in einer guten Phase nicht nachzulassen.

Wieviel Arminia und Bielefeld steckt schon in Ihnen? Gehen Sie mal in die Stadt oder meiden Sie Menschenaufläufe und haben lieber ihre Ruhe?

Neuhaus: Alles zu seiner Zeit. Am Anfang stand mir der Kopf überhaupt nicht danach, weil es schon extrem viele Informationen waren, die man verarbeiten musste. Jetzt kommt so langsam die Phase, in der man sich auch über andere Dinge Gedanken machen kann. Dann stehen aber auch die Planungen für die kommende Saison an. Fußball wird immer den Alltag beherrschen. Ich brauche aber auch für mich selber Zeit, um Abstand zu bekommen. Das kann ich nicht so gut, wenn ich jeden Tag in der Stadt rumlaufe.

Sie Sind also kein Flaneur?

Neuhaus: Nein. Ich habe keine Scheu, mich irgendwo zu zeigen. Aber ich brauche das nicht. Das hat auch nichts damit zu tun, ob wir gewonnen oder verloren haben. Ich gehe nicht raus, wenn wir gewonnen haben und bleibe drin, wenn wir verloren haben. Ich war im Grunde immer zurückhaltender, egal ob als Spieler oder auch als Trainer. Wenn ich privat bin, dann genieß ich es auch. Dann brauche ich die Öffentlichkeit nicht.

Leben Sie immer noch im Hotel?

Neuhaus: Seit dem 7. Januar nicht mehr.

Wohnen Sie in Bielefeld?

Neuhaus: Ich wohne nicht in Bielefeld. Für mich gehört auch dazu, von der Stadt Abstand zu haben. Das war eine ganz bewusste Entscheidung.

Es war wichtig für Sie, nicht zu lange im Hotel leben zu müssen?

Neuhaus: Unbedingt. Ich wollte so schnell wie möglich mit meiner Familie zusammen sein. Und das haben wir geschafft. Meine Frau wohnt auch mit hier. Der Umzug fand statt, als wir im Trainingslager waren. Meine Frau hat da schon Übung drin. Sie macht das mit einer Perfektion, das ist bewundernswert.

Es dauert für gewöhnlich, bis der Ostwestfale mit jemandem warm wird. Wie nehmen Sie das bislang wahr?

Neuhaus: Ich finde mich da schon häufig wieder. Ich brauche auch eine Zeit, bis ich so richtig warm mit jemanden werde. Wir sind viel mit den Hunden draußen unterwegs. Wenn man demjenigen, der einem entgegen kommt, mit einem freundlichen ,Guten Tag’ begrüßt, dann ist es häufig so, dass es überhaupt keine Reaktion gab. Beim dritten oder vierten mal ein ,Tach’. Beim fünften und sechsten mal war der Blickkontakt schon da. Und mittlerweile bleiben wir dann und wann mal stehen und unterhalten uns.

Die heutige Spielergeneration gibt in den sozialen Medien nahezu alles von sich preis. Für Sie wäre das vermutlich undenkbar, wenn Sie heute Spieler wären, oder?

Neuhaus: Ich wäre dann auch anders aufgewachsen. Aber ich habe nunmal eine andere Prägung und die wird auch so bleiben. Mit meinen Kindern habe ich darüber schon diskutiert: »Warum musst du das alles auf Facebook posten. Ich will nicht bei dir im Facebook erscheinen. Lass das.«

Sie versuchen vor Spielen, den Kader geheim zu halten. Die Spieler posten dann aber Videos aus dem Bus, in denen man sieht, wer dabei ist. Ärgert Sie so etwas?

Neuhaus: Ich weiß ja, dass man das Rad nicht mehr zurückdrehen kann. Das ist eine Entwicklung, die insgesamt beim Fußball Einzug gehalten hat. Ich bin mir auch sicher, dass in zwei oder drei Jahren Journalisten oder zumindest der Hauptbezahler, der das große Geld reinwirft, in der Kabine sein wird. Ich bin da kein Befürworter. Ein bisschen Anonymität, ein bisschen Privatsphäre, gerade auch, was so eine enge Truppe angeht, gehört dazu. Ich werde es aber auch nicht mehr ändern. Aber ich habe auch nicht mehr so viele Jahre vor der Brust, dass ich mir da ernsthaft Sorgen mache. Ich arrangiere mich. Aber wenn ich etwas ausschließen könnte, dann würde ich das tun. Ich muss nicht meine Worte in der Zeitung lesen. Ich muss kein Bild in der Zeitung oder im Fernsehen sehen oder mich hören.

Lesen Sie denn, was andere über sie und Arminia sagen?

Neuhaus: Das tue ich schon. Alles rund um den Fußball lese ich.

Sie wird man also nirgendwo, bei irgendeinem sozialen Medium finden?

Neuhaus: Nein, keine Chance. Das spielt keine Rolle in meinem Leben.

Wie würden Sie ihr Verhältnis zu Peter Nemeth beschreiben? Ist das rein beruflich oder schon mehr?

Neuhaus: Das hat sich schon entwickelt. Wir kennen uns lange. Er hat damals bei Union hospitiert, als ich dort Trainer war. Er war äußert angenehm damals. Wir haben uns auch über Fußball hinaus unterhalten. Die drei Jahre in Dresden haben noch mehr dabei geholfen, dass wir eine ganz enge Gemeinschaft und auch über den Fußball hinaus verbunden sind.

Liegt es an Peter Nemeths Loyalität, dass er sich in der Öffentlichkeit gar nicht äußern möchte oder weil Sie ihm sagen, dass sie das nicht möchten?

Neuhaus: Er ist ein erwachsener Mensch und kann eigene Entscheidungen fällen. Die müssen mir nicht immer passen, aber ich würde ihm das nie verbieten.

Peter Nemeth ist aber auch nicht so gestrickt, dass er in der Öffentlichkeit stehen möchte, oder?

Neuhaus: Das hört sich vielleicht blöd an, aber er hat ein unglaublich gutes Rollenverständnis. Vor mir war er Cheftrainer in Dresden. Er hat die Rolle so ausgefüllt, wie ich das auch mache. Und er hatte kein Problem damit, gleich wieder ins zweite Glied zurück zu treten.

Haben Sie sich eine Deadline gesetzt, mit welchem Alter Schluss sein soll als Fußballtrainer?

Neuhaus: Eine Deadline habe ich mir definitiv gesetzt. Aber nicht altersabhängig, sondern spaßabhängig. Wenn ich irgendwann mal keinen Bock mehr habe, wenn jeder Tag zur Qual wird, dann nicht mehr.

Das können Sie sich aber vermutlich so schnell noch nicht vorstellen?

Neuhaus: Nein, es gibt noch keine Anzeichen dafür. Natürlich fällt es einem schwerer, wenn man auf die Tabelle guckt und sieht, dass es nur noch zwei Tore Vorsprung sind bis zum Abstiegsplatz. Gleichzeitig ist das wieder Antrieb, auch das noch einmal zu bewältigen und daraus Stärke und Kraft zu ziehen.

Ist es manchmal seltsam, dass man einen Vorgesetzten hat, der 20 Jahre jünger ist als man selbst (Samir Arabi, Anm. d. Redaktion)?

Neuhaus: Da habe ich mich mittlerweile dran gewöhnt. Seit einigen Jahren kommt das häufiger vor. Auch bei den Trainerkollegen könnten viele meine Söhne sein.

Wie ist Ihr Verhältnis zu Sportgeschäftsführer Samir Arabi?

Neuhaus: Gut. Wir sind uns früher schon häufiger begegnet. Von Anfang an wurde von beiden Seite eine gewisse Nähe zugelassen.

Ist es wichtig, dass ein gutes Verhältnis besteht? Nehmen wir als Gegenbeispiel Wolfsburg, wo sich Jörg Schmadtke und Bruno Labbadia anscheinend wenig zu sagen haben.

Neuhaus: Eigentlich will ich nicht über andere Klubs sprechen. Aber ein gutes Verhältnis ist unabdingbar. Sonst tritt der andere Faktor in Kraft: Dann macht es keinen Spaß. Es macht null Spaß, wenn man jeden Tag zur Arbeit kommt und dann Leute sieht, mit denen man eigentlich zusammenarbeiten müsste, worauf man aber keinen Bock hat.

Läuft das Thema Kaderplanung Hand in Hand. Liegt die Hauptverantwortung bei Samir Arabi oder sind Sie zu 50 Prozent integriert?

Neuhaus: Wenn ich nicht integriert wäre, dann wäre das nicht gut. Dann müsste ich sagen: Macht alleine weiter. Sowohl Samir als auch die Scouts sehen es so, dass niemals eine Entscheidung ohne mich gefällt wird. Sonst könnte ich aufhören. Auf der anderen Seite muss ich die Leute mit einbeziehen, weil sie die Spieler viel besser kennen, sie sehen die viel häufiger als ich. Deshalb lege ich viel Wert auf ihre Meinung.

Wie ist der Stand der Dinge bei Fabian Klos und Julian Börner?

Neuhaus: Ich kann nichts neues sagen. Wir sind mit allen in Kontakt. Die Zeit, die rennt. Ich glaube, dass beide Seiten sich äußern, wenn es soweit ist. Manchmal ist es besser, weniger zu sagen. Ich neige auch nicht dazu, die Öffentlichkeit zu nutzen, um irgendwie Druck auszuüben.

Was müsste personell passieren, damit Arminia als Aufstiegskandidat in die neue Saison gehen könnte?

Neuhaus: Die Erwartungen sind manchmal anders, als das, was man als Bedingung vorfindet. Arminia gehört nicht zu den reichsten Vereinen, um irgendwelche Superspieler verpflichten zu können. Alles passiert in unserem Rahmen. Und mit diesem Rahmen bin ich einverstanden, weil ich es vorher wusste. Wenn sich irgendwo ein Fenster öffnet, muss man sofort in der Lage sein, zu reagieren. Manchmal muss man aber länger warten

Sie selber haben etwas ganz Bodenständiges, nämlich Elektriker gelernt, bevor Sie Fußballprofi geworden sind. Würden Sie sich wünschen, dass es eine Art Verpflichtung gäbe, dass die Spieler einmal ins normale Leben reinschnuppern, bevor sie in die Scheinwelt Fußball rutschen?

Neuhaus: Es würde definitiv nicht schaden. Aber was ist normal? Die normale Welt ist auch nicht mehr normal. Vieles hat sich verändert. Da spielt nicht nur Social Media eine Rolle, sondern die ganze Sozialisation. Bodenständigkeit würde jedem guttun. Man sollte sich nicht nur auf die eine Schiene, den Sport, verlassen. Das kann durch unglücklich Umstände sehr schnell vorbei sein. Es wäre schön, wenn jeder so viel Verantwortungsbewusstsein hätte.

Sind Sie als Trainer manchmal auch ein bisschen Sozialarbeiter?

Neuhaus: Das ist mir schon wichtig. Man hat zu jedem Spieler unterschiedliche Beziehungen. Als ich selber noch Spieler war fand ich es nervig, wenn ein Trainer immer von früher spricht. Das habe ich mir gemerkt und das versuche ich zu vermeiden. Es ist nicht so einfach, den Altersunterschied zu überwinden. Etwa die Sprache und die Ausdrücke, die man benutzt. Aber man spürt schon, dass eine Bereitschaft da ist, sich etwas anzunehmen und von Lebenserfahrung zu profitieren.

Sie waren Elektroanlageninstallateur und haben später bei der Bundeswehr gearbeitet.

Neuhaus: Genau, dort war ich Hubschraubermechaniker. Und dann war ich noch drei Monate im Knast.

Sie waren im Knast?

Neuhaus: Ich wollte Justizvollzugsbeamter werden. Drei Monate Probezeit habe ich dort gemacht, dann aber entschieden, dass es nichts für mich ist. Das war nicht mit dem Fußball zu vereinen, wegen der Schichtdienste. Aber es war dennoch eine tolle Erfahrung. Ich war drei Wochen in Essen, ein strenger Vollzug, und dann noch in Castrop-Rauxel im offenen Vollzug. Dafür muss man schon geboren sein. Aber es hat mich reifen lassen.

Darauf wollten wir hinaus: Haben Ihnen die Erfahrungen vor dem Fußball geholfen, geerdet zu bleiben?

Neuhaus: Definitiv. Für mich ist eines der wichtigsten Dinge zu wissen, wo man herkommt. Die Bindung dazu darf man nie verlieren.

Was wären Sie geworden, wenn Sie nicht Fußballer geworden wären?

Neuhaus: Nach der zehnten Realschulklasse war die Frage, was ich jetzt mache. Dann hieß es, der Onkel Werner habe Beziehungen zur Thyssen Henrichshütte. Ja gut, dann mache ich da eine Elektrikerausbildung. In jungen Jahren war ich schon ein wenig unselbstständig. Dann kamen vier Jahre Bundeswehr. Man sagte mir vorher: Mach am besten vier Jahre, das ist ganz sicher. Dann habe ich vier Jahre gemacht. Das war für mich eine richtig gute Zeit. Zum einen die Arbeit am Hubschrauber, dann aber auch die mobile Instandsetzung: mit dem Hubschrauber zu fliegen, wenn irgendwo anders einer liegen geblieben ist. Ich war kurz davor, Berufssoldat zu werden, bevor die Spielvereinigung Erkenschwick kam und mich in die 3. Liga lockte.

Sie wären ansonsten also Berufssoldat?

Neuhaus: Das wäre mein Weg gewesen. Ich bin da aber nicht ganz unglücklich drüber. Nicht nur, weil danach viele Jahre positiv für mich gelaufen sind. Ich denke da an Afghanistan. Der Hubschrauber, mit dem wir geflogen sind, den wir repariert haben, die waren dort im Einsatz. Ich wüsste nicht, ob ich darauf Lust gehabt hätte. Es gab da auch ein komisches Gefühl. An meinem Geburtstag, ich glaube kurz vor Ende der Bundeswehrzeit, ist so ein Hubschrauber abgestürzt. Es gab sieben oder acht Tote. An dem Hubschrauber hatte ich kurz vorher gearbeitet. Es fanden Ermittlungen und Befragungen statt.

Bei den Spielen wirken Sie unglaublich ausgeglichen. Ganz selten sieht man Uwe Neuhaus himmelhochjauchzend oder zu Tode betrübt. Trainieren Sie das, ist das angeboren?

Neuhaus: Das trainiere ich seit 30 Jahren. Man hat am Anfang Vorstellungen, wie man sich verhalten will. Wenn man mal einen Meter nach links oder rechts ausbricht ist das völlig normal. Aber nach so einer langen Zeit muss man seine Endversion erreicht haben.

Wie schalten Sie vom Fußball ab?

Neuhaus: Grundsätzlich hilft Urlaub machen. Danach ist die geistige Frische zu 100 Prozent da. In den letzten 18 von 20 Jahren war es aber nicht so. Man bekommt nie den Abstand. Und irgendwann verliert man die Sicht für die Dinge, um sie neutraler zu bewerten. Ein bisschen Abstand würde die Qualität der Arbeit sicher erhöhen. Und für mich ist es wichtig, dass ich gut schlafe. Ich schlafe zwar nicht lange, aber wenn ich mich hinlege, dann sind es drei Minuten, dann bin ich im Reich der Träume. Ich muss nicht lange über den Tag nachdenken. Das ist wichtig, um nicht auch nachts noch beschäftigt zu werden.

Ist Ihre Frau auch Ratgeberin für Sie, oder spielt das Thema Fußball zuhause keine Rolle?

Neuhaus: Sie versucht es immer wieder. Häufig frage ich sie: Warum nimmst du immer die Gegenseite ein? Sie verteidigt oft die anderen. Aber vielleicht habe ich dadurch mal den Blick von der anderen Seite, um für mich wieder ein besseres Bild zu haben. Sie ist kein Ratgeber in sportlichen Dingen, aber natürlich sprechen wir über Sachen, die hier passiert sind.

Gab es in der Vergangenheit mal Phasen in denen Sie gedacht haben: Jetzt reicht es?

Neuhaus: Nach sieben Jahren bei Union konnte ich mir vorstellen, ein Jahr auszusetzen. Nach Dresden gab es relativ schnell Kontakte zu anderen Vereinen. Da habe ich aber gesagt, dass ich noch Abstand brauche. Ein Verein braucht meine hundertprozentige Überzeugung und Kraft. Und die Mannschaft würde es merken, wenn ich nur halbherzig dabei bin.

In Bielefeld ist eine Sehnsucht nach der Bundesliga vorhanden. Glauben Sie, dass Sie diese Sehnsucht hier erfüllen können?

Neuhaus: Ich habe auch noch Ziele. Als Spieler habe ich den Schritt in den Profibereich recht spät geschafft. Noch später habe ich dann die 1. Liga erreicht. Warum soll mir das als Trainer nicht gelingen? Das ist mein Ziel und das bleibt mein Ziel, solange bis es nicht mehr erfüllbar ist.

Sind Sie jemand, der Kontakte zu seinen Ex-Klubs pflegt oder muss man als Trainer manche Kontakte bewusst abbrechen, um sich auf eine neue Aufgabe einlassen zu können?

Neuhaus: Das muss man nicht. Ich bin einer, der nicht nur Social Media meidet, sondern auch meidet, viel zu schreiben. Diejenigen, die mich kennen, die wissen, dass ich mich nicht regelmäßig melde. Die mich mögen, die ich mag, die wissen das und die können auch mal ein halbes Jahr auf mich verzichten.

Und wenn sich Ihre Kinder melden, wie handhaben Sie das?

Neuhaus: Ausnahmen bestätigen die Regel.

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