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Notnagel statt Game-Changer

Wem Paxlovid bei Covid-19 helfen kann

Berlin (dpa)

Tabletten schlucken und so einem schweren Covid-19-Verlauf vorbeugen: Was erst einmal vielversprechend klingt, hat in der Praxis bisher noch einige Haken.

Von Gisela Gross, dpa

Paxlovid hat in Studien eine hohe Wirksamkeit gegen schwere Covid-19-Verläufe gezeigt. Als Gamechanger der Pandemie wird es dennoch nicht gesehen. Foto: Fabian Sommer/dpa

Eine Million georderte Packungen für Deutschland undhohe Wirksamkeit gegen schwere Covid-19-Verläufe: Nach mehrerenImpfstoffen und Medikamenten hat vorige Woche die Auslieferung einesPräparats in Deutschland begonnen, das man auf den ersten Blick füreinen Ausweg aus der Pandemie halten könnte.

Die Tabletten, um die es geht, heißen Paxlovid und stammen vomUS-Pharmakonzern Pfizer. Sie zielen darauf ab, die Virusvermehrungim Körper zu hemmen. Seit Ende Januar ist das Mittel in der EUbedingt zugelassen, seit wenigen Tagen können Ärzte in Deutschland esverordnen. Es kann auch zu Hause eingenommen werden.

Die ersten Daten klingen vielversprechend: Die Behandlung mit denzwei Wirkstoffen (Nirmatrelvir/Ritonavir) habe verglichen mit einemScheinmedikament zu einem um 89 Prozent geringeren Risiko für einenschweren Covid-19-Verlauf geführt, heißt es in der Studie zu Paxlovidim Fachblatt «The New England Journal of Medicine».

Paxlovid ist kein Pandemieüberwinder

Fachleute betonen auf dpa-Anfrage jedoch, dass man sich nichtanstelle der Impfung auf ein vermeintliches Wundermittel zum Schutzvor Intensivstation oder Tod verlassen sollte. «Paxlovid ist nichtder Pandemieüberwinder, sondern die Impfung», teilte etwa dieDeutsche Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin (DEGAM) mit.Mit Paxlovid habe man «einen Notnagel»: Der Einsatz erfordereäußerste Vorsicht und gute Patientenaufklärung und -überwachung. DasMedikament komme für eine kleine Gruppe von Menschen in Betracht:«für die Ungeimpften über 65-Jährigen, die noch nicht genesen sind».

Für die Studie waren zwei Gruppen verglichen worden: Während rund1100 Sars-CoV-2-Infizierte fünf Tage lang alle 12 Stunden Paxlovidbekamen, erhielt die zweite Gruppe ein Scheinmedikament. In derPlacebo-Gruppe traten rund ein Dutzend Todesfälle auf, wohingegenkeiner der mit dem Medikament behandelten Probanden starb. Es konntenan der Studie nur Erwachsene in der Frühphase der Infektion und mitRisikofaktoren wie etwa Übergewicht oder Bluthochdruck teilnehmen. ZuNebenwirkungen wie Geschmacksstörungen, Durchfall und Erbrechenschreiben die Autoren, diese seien nicht ernst gewesen.

Durchgeführt wurde die Studie noch vor Entdeckung von Omikron. EineWirksamkeit gegen diese und auch gegen andere Sars-CoV-2-Variantenwird jedoch angenommen. «Das gilt auch für Omikron-Subtyp BA.2, dersich gegenwärtig ausbreitet», sagte der Experte der DeutschenGesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP), StefanKluge. Er koordiniert die Leitlinie mit Empfehlungen zur stationärenTherapie von Covid-19-Patientinnen und -Patienten.

Nur für Patienten ohne Impfschutz

Generell hält Kluge fest: «Paxlovid ist kein Allheilmittel.» Errechne dennoch mit einer relevanten Zahl von Patienten, die damitbinnen fünf Tagen nach Symptombeginn behandelt werden könnten:Geeignet sei das Medikament gemäß der vorliegenden Studie nur fürPatienten ohne Impfschutz mit mindestens einem Risikofaktor, wozuetwa auch ein Alter ab 50 Jahre zähle. «Es ist anhand bisherigerDaten kein Medikament für beispielsweise schlanke, sportliche20-Jährige oder 60-Jährige mit Booster, die ein positivesTestergebnis erhalten», sagte Kluge. Zum Einsatz bei Geimpftengenerell gebe es bisher keine verlässlichen Daten.

In Hinblick auf den frühzeitig nötigen Behandlungsbeginn verweist derProfessor vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf auf dieProblematik, dass viele Patienten nicht sofort zum Arzt gehen undzusätzlich noch Zeit bis zum Vorliegen des Testergebnisses vergeht.Wegen der gebotenen Eile ist laut Bundesvereinigung DeutscherApothekerverbände vorgesehen, dass Ärzte ausnahmsweise Rezepte direktan Apotheken schicken, die das Medikament dann beim Großhandelbestellen und es «möglichst kontaktarm» per Boten an Patientenausliefern. «Apotheken dürfen Paxlovid nicht bevorraten», hieß es.

Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten

Ein weiterer Haken sind mögliche Wechselwirkungen mit einer Reiheanderer Medikamente, etwa gegen Bluthochdruck, Krebs, Depressionenoder zur Behandlung anderer Infektionen. Dies dürfte dieVerschreibung gerade für besonders gefährdete Patienten erschweren.Experten wie Kluge dringen darauf, die Gefahr von Wechselwirkungenzwingend zu überprüfen. In der Packungsbeilage sind Patientenaufgerufen, ihrem Arzt und Apotheker eine Liste ihrer Arzneimittel zuzeigen.

Breiter Einsatz wird zunächst nicht erwartet

Der Bundesvorsitzende des Deutschen Hausärzteverbandes, UlrichWeigeldt begrüßte zwar die Fortschritte bei der Entwicklung vonCovid-19-Medikamenten. «Einen breiten Einsatz von Paxlovid in denHausarztpraxen erwarten wir nach aktuellem Kenntnisstand jedochnicht.» Auch die DEGAM teilte mit, Nachfrage und Verschreibung seienaktuell in der hausärztlichen Versorgung «eine Randerscheinung».Fachleute verweisen jedoch auch darauf, dass zum Glück dank derImpfungen und der in der Regel milderen Omikron-Variante generelldeutlich weniger schwere Verläufe zu beobachten seien.

Paxlovid ist nicht das erste Mittel, das ambulante Patienten in derFrühphase der Sars-CoV-2-Infektion vor schweren Verläufen schützensoll. Bereits länger gegeben werden zum Beispiel sogenanntemonoklonale Antikörper - in der Regel als Infusion. Neben Paxlovidwerden in der jüngst aktualisierten Therapie-Leitlinie auch dieWirkstoffe Remdesivir und Molnupiravir genannt. Auch sie kommenjedoch nicht für alle Patientengruppen in Frage. Und hier giltebenfalls die frühe Gabe als entscheidend für den Behandlungserfolg.

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