Training in den Nachwuchsleistungszentren ist wieder erlaubt. Das sorgt für Diskussionen
Falsches Signal oder erster richtiger Schritt?
Altkreis
Seit Donnerstag sind die Nachwuchsleistungszentren (NLZ) des Landes mit dem Segen der Politik wieder ins normale Mannschaftstraining eingestiegen. Die umstrittene Steilvorlage der NRW-Landesregierung erzeugt bei den heimischen Vereinen ein Mix aus Verständnis und Empörung. Mit Kommentar
Die Verordnung gilt zunächst bis zum 7. März. Nur fünf westfälische Vereine dürfen dank ihrer gefestigten Infrastruktur mit ihrem Juniorenbereich in eine gewisse Normalität zurückkehren: Borussia Dortmund, FC Schalke 04, VfL Bochum, Arminia Bielefeld und der SC Paderborn. „Der Infektionsschutz steht bei uns an erster Stelle. Ich kann die Verwunderung bei den anderen Vereinen verstehen und wünsche mir, dass auch sie möglichst bald wieder trainieren dürfen“, meint Ayhan Tumani, Sportlicher Leiter des Paderborner NLZ.
Holger Margenau hat sich nach eigenen Worten durchaus Mühe gegeben, die Entscheidung der Politik zu verstehen. „Aber ich kann einfach nicht nachvollziehen, warum mit zweierlei Maß gemessen wird. Und ich muss zugeben, dass mich das wütend macht“, sagt der Jugendleiter des BV Werther. Wesentlicher Kritikpunkt sei nicht, dass in den Nachwuchsleistungszentren wieder trainiert werden darf. Vielmehr gehe es darum, dass es keine einheitlichen Regeln gibt und die jungen Spieler der Amateurvereine nach monatelanger Zwangspause weiter hinten anstehen müssen: „Dabei haben auch wir Hygienekonzepte entwickelt, die mit den Kommunen abgestimmt sind und die sich im Sommer ja bereits bewährt haben.“
Margenau hatte nach dem Lockdown im November den Appellen des Deutschen Fußball-Bundes, Nachwuchstraining wieder zu ermöglichen, differenziert gegenüber gestanden. „Wir sind eine Solidargemeinschaft und müssen Vorbild sein“, dachte der BV-Jugendleiter auch an geschlossene Geschäfte und an Hallensportarten, die schlechtere Voraussetzungen für einen Trainingsbetrieb haben. Dass wie schon damals angesprochen, unter uneinheitlichen Lösungen die Akzeptanz für Verbote bzw. Einschränkungen leidet, davon ist Margenau fest überzeugt. Deshalb ist für ihn die Öffnung der Nachwuchsleistungszentren ein falsches Signal: „Unser Sportplatz in Werther ist ja geöffnet und darf außerhalb vom Vereinstraining unter Einhaltung der Kontakt- und Abstandsbeschränkungen genutzt werden. Ich sehe die Gefahr, dass unsere Nachwuchsspieler sich jetzt schwerer damit tun, sich an die Regeln zu halten und sagen: Wenn andere normal spielen dürfen, machen wir das auch.“
Jörg Pudel,Koordinator Talentsichtung und Talentförderung im Fußballkreis Bielefeld/Halle, geht davon aus, dass die NLZ-Vereine Druck auf die Politik gemacht haben, damit die U17 und U19 Teams zumindest noch eine Halbserie zu Ende spielen können. Weil den Talenten in den vergangenen zwölf Monaten eine Menge wichtiger Entwicklungszeit verloren gegangen ist, mache jetzt auch nur normales Training Sinn: „Ich glaube, mit den entsprechenden Hygienekonzepten und wegen regelmäßiger Testung kann man den Schritt durchaus nachvollziehen. Selbst in der Regionalliga läuft es ja aktuell sehr gut. Da muss man einfach zwischen professionellem Bereich und reinem Amateur-Fußball differenzieren können.“
Außerdem rede man laut Pudel über Spieler, die unter Umständen in wenigen Jahren international auflaufen und die Kohlen aus dem Feuer holen sollen. „Als Stützpunkttrainer warte ich dagegen genau wie die Amateurvereine auf grünes Licht. Bisher war es so, dass der Stützpunkt sich nach dem Amateurfußball gerichtet hat. Ich gehe davon aus, dass wird jetzt auch wieder so sein“, sagt Pudel.
Weitere Stimmen
Marion Baum (TSV Amshausen): „Das Thema Öffnung der Nachwuchsleistungszentren ist längst auch bei unseren Spielern und deren Eltern angekommen. Die rufen an und fragen, ob auch beim TSV wieder gespielt werden darf. Das muss ich verneinen. Ich habe Verständnis dafür, dass wir aus gesundheitlichen Gründen noch nicht trainieren dürfen. Aber wenn wir uns deshalb im Sommer wieder frei bewegen können, sind wir jetzt bereit, noch eine Zeit lang zu verzichten. Doch daran müssen sich alle halten.“
Michael Giannotti(TuS Solbad): „Ich halte eine Zwei-Klassen-Gesellschaft generell nicht für richtig und empfinde es bei aller Liebe zum Fußball als Frechheit, dass die Profis spielen dürfen. Ein Friseur hält sich eher an die Hygieneregeln als Goretzka oder Haaland beim Torjubel. Das einzige Positive beim Öffnen der Nachwuchsleistungszentren ist: Wenn sich dort niemand infiziert, ist das hoffentlich ein Signal, möglichst schnell allen Vereinen einen Trainingsbetrieb zu ermöglichen.“
Oliver Erdmann(Jugendleiter Spvg. Steinhagen): „Ich fände es super, wenn wir nach den Osterferien wieder trainieren könnten, in welcher Form auch immer. Auch wenn ich verstehe, dass Eltern immer unruhiger werden: Von Häme und Neid in Bezug auf die Nachwuchsleistungszentren halte ich nichts. Dort sind die Bedingungen anders. Diese Vereine haben bessere Möglichkeiten und können zum Beispiel Schnelltest finanzieren.“
Jörg Müller-Paulsen(SV Häger): „Erstmal bin ich es müde, einzelne Maßnahmen immer wieder zu kommentieren und zu kritisieren. Und ich bin es leid, dass Leute immer nur für Ihre eigene Gruppe Argumente sammeln. Abgesehen davon gönne ich grundsätzlichen jedem alles. Und wer wäre ich, wenn ich irgendwelchen Kindern verbieten wollen würde, Fußball zu spielen. Jeder hat Dinge, die er gerne tut und die ihm aktuell fehlen. Wie man meiner Figur ansehen kann, gehe ich zum Beispiel sehr gerne in ein Restaurant. Das fehlt mir schon sehr und ich freue mich auf den Tag, an dem ich wieder essen gehen darf.“
Mika Krüger(Jugendtrainer SC Halle): „Ich kann schon verstehen, wenn man sich jetzt über eine Art Zwei- Klassen-Gesellschaft aufregt. Aber irgendwo muss man eben anfangen. Man kann nicht alles auf einmal wieder hochfahren, sondern muss Schritt für Schritt öffnen. Und da macht es Sinn, im NLZ zu starten. Klar wäre es schön, wenn ich auch wieder mit meinen Jungs auf den Platz könnte. Aber ich finde es nachvollziehbar, dass wir noch etwas warten müssen.“