Christopher Street Day
Tödliche Attacke gegen Malte C.: Fragen und Antworten zum Prozess
Münster
Der gewaltsame Tod des 25-jährigen Malte C. am Rande des Christopher Street Day (CSD) löste bundesweit Trauer und Entsetzen aus. Nun ist vor dem Landgericht Münster der Prozess gegen den Tatverdächtigen gestartet. Wir beantworten die wichtigsten Fragen.
- Beim Christopher Street Day (CSD) am 27. August 2022 sind 10.000 Menschen durch die Innenstadt von Münster gezogen.
- Am Rande des CSD wurde der 25-jährige Transmann Malte C. von einem 20 Jahre alten Mann attackiert.
- Wenige Tage später erlag Malte C. seinen schweren Verletzungen. Noch am selben Tag haben Tausende auf dem Prinzipalmarkt ein Zeichen für Toleranz gesetzt.
- Mitte Februar beginnt am Landgericht Münster der Prozess gegen den Tatverdächtigen.
Was genau ist am Rande des CSD passiert?
Am 27. August 2022 sind beim Christopher Street Day (CSD) etwa 10.000 Menschen durch die Innenstadt von Münster gezogen. Am Rande der Großveranstaltung kam es zu der am Ende tödlichen Attacke auf den 25-Jährigen. Der Tatverdächtige, ein 20-Jähriger, soll am Hafenplatz mehrere Teilnehmende des CSD queerfeindlich beleidigt haben. Als ihn der Transmann Malte C. aufgefordert habe, dies zu unterlassen, soll der Angeklagte nach Angaben der Staatsanwaltschaft „sofort“ und „äußerst aggressiv“ auf den 25-Jährigen zugegangen sein und ihm unter anderem einen „wuchtigen Schlag“ ins Gesicht versetzt haben. Malte C. soll daraufhin regungslos mit dem Hinterkopf auf dem Boden aufgeprallt sein.
Was ist der Christopher Street Day (CSD)?
Woran ist Malte C. gestorben?
Durch den Aufschlag auf dem gepflasterten Boden soll Malte C. ein Schädel-Hirn-Trauma erlitten haben. Am 2. September erlag er seinen schweren Verletzungen. Malte C. verstarb nach Angaben der Staatsanwaltschaft an einer schweren Lungenentzündung und schweren Herzrhythmusstörungen, die „Folgen des erlittenen Schädel-Hirn-Traumas“ waren.
Was ist über den Tatverdächtigen bekannt?
Der Tatverdächtige heißt Nuradi A., ist 20 Jahre alt und russischer Staatsbürger tschetschenischer Herkunft. Nach Informationen unserer Redaktion handelt es sich bei dem 20-Jährigen um einen abgelehnten Asylbewerber. Als Jugendlicher lernte er im Boxzentrum Münster das Boxen. Nach Angaben der Polizei ist er bereits in der Vergangenheit wiederholt wegen Gewalt- und Drogendelikten in Erscheinung getreten.
Was ist zum Hintergrund der Tat bekannt?
Eine Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie war laut Staatsanwaltschaft in einem Sachverständigengutachten zur Schuldfähigkeit des Angeklagten zu dem Schluss gekommen, dass der Angriff nicht auf eine homophobe oder queerfeindliche Einstellung des 20-Jährigen zurückzuführen sei. Die Untersuchung der Gutachterin ergab, dass der Angeklagte seit dem 14. Lebensjahr wusste, dass er schwul ist, diesen Umstand aber nicht wahrhaben wollte. In seiner islamisch geprägten Heimat gilt Homosexualität als gesellschaftliches Tabu.
Sitzt der Tatverdächtige aktuell in Untersuchungshaft?
Seit seiner Verhaftung am 2. September sitzt der Angeklagte in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Herford.
Hat sich Nuradi A. bereits zu den Vorwürfen geäußert?
Gegenüber den Ermittlungsbehörden hat sich der Angeklagte bislang nicht zum Tatvorwurf geäußert. Sein Verteidiger, Rechtsanwalt Siegmund Benecken aus Marl, sagte, dass sich Nuradi A. vor Gericht einlassen werde.
Wann ist der Prozess gestartet?
Der Prozess gegen Nuradi A. hat am Montag (13. Februar) in Saal A23 im Landgericht Münster begonnen. Zunächst sind zehn Verhandlungstage angesetzt – der letzte derzeit für den 17. April.
Wie lautet die Anklage der Staatsanwaltschaft?
Mitte November hat die Staatsanwaltschaft Münster Anklage gegen den Tatverdächtigen erhoben. Der Vorwurf lautet auf Körperverletzung mit Todesfolge sowie Beleidigung in Tateinheit mit Bedrohung.
Wieso wird der Tatverdächtige wegen Körperverletzung mit Todesfolge angeklagt?
Die Staatsanwaltschaft sieht nach den bisherigen Erkenntnissen keinen Tötungsvorsatz bei dem Angeklagten. Deshalb lautet die Anklage im Verfahren auch nicht auf Mord oder Totschlag. Nuradi A. habe sein Opfer aber mit den Faustschlägen bewusst und gezielt verletzten wollen, meinen die Ermittler bislang.
Welche Reaktionen hat es auf den Tod von Malte C. in Münster gegeben?
Der Tod von Malte C. hat in Münster Trauer und Entsetzen ausgelöst. Auf der Rathaustreppe legten viele Menschen Blumen, Plakate und Kerzen in Gedenken an den 25-Jährigen nieder.
Auf dem Prinzipalmarkt wurde am 2. September mit einer Kundgebung ein Zeichen der Solidarität und Anteilnahme gesetzt: Nach Angaben der Polizei versammelten sich mehr als 5000 Menschen – zum Gedenken an den verstorbenen Transmann Malte.
Oberbürgermeister Markus Lewe zeigte sich am Tag der Kundgebung in einer Pressemitteilung ebenfalls bestürzt: „Dieser Angriff gegen eine queere Person ist schrecklich. Er geht uns alle an. Unsere Stadtgesellschaft ist weltoffen und tolerant und wird weiter dafür kämpfen, ein sicherer Ort für marginalisierte Menschen zu sein.“ Bischof Dr. Felix Genn äußerte ebenfalls seine Erschütterung: „Was für eine barbarische, was für eine irrsinnige Tat.“
Von einer „widerwärtigen Tat“ sprach Heiko Philippski vom KCM-Schwulenzentrum in Münster. „Wir sind alle noch vollkommen sprachlos und in tiefer Trauer, dass ein so junger Mensch, der zur Hilfe herbeigeeilt ist, auf diese Art und Weise aus dem Leben gerissen wurde.“


Münsters Polizeipräsidentin Alexandra Dorndorf erklärte, dass Münster für Weltoffenheit, Vielfalt und Zivilcourage stehe. „Der schreckliche Vorfall zeigt, wie wichtig es ist, dass wir diese Werte schützen und als Gesellschaft zusammenstehen. Gerade jetzt! Wir als Polizei wollen mit unserer Arbeit einen Beitrag für den Zusammenhalt der Gesellschaft leisten.“
Welche Auswirkungen hatte die Tat auf das Boxzentrum Münster?
Nachdem die Box-Vergangenheit des Tatverdächtigen bekannt wurde, gab es Anfeindungen gegen das Boxzentrum und deren Gründer Farid Vatanparast. Bei Twitter muss Vatanparast lesen, dass bei ihm Dschihadisten ausgebildet würden, die Bild-Zeitung schrieb von „Hinweisen auf Propaganda für die Terrororganisation Hisbollah“, die Rede war von zwielichtiger Hinterhof-Boxerei.
Gab es eine öffentliche Trauerfeier für Malte C.?
Anfang Oktober fand auf dem Waldfriedhof Lauheide in Münster eine öffentliche Trauerfeier statt. Etwa 250 Menschen waren gekommen, um sich von Malte C. zu verabschieden. Bürgermeisterin Angela Stähler bezeichnete Malte als mutig, weil er einen Konflikt mit Worten anstatt mit Gewalt lösen wollte. Die Beerdigung hat im engsten Familienkreis stattgefunden.


Mit der Trauerfeier wollten 13 Vereine, Initiativen und Gruppen aus Münster – hauptsächlich aus der queeren Community – sowie das Amt für Gleichstellung der Stadt die Zivilcourage von Malte C. würdigen und ein entscheidendes Zeichen gegen Queerfeindlichkeit setzen, hieß es in einem offenen Brief an die Stadtgesellschaft.
Auch die Polizei Münster bekundete am Tag der Beerdigung ihre Solidarität mit Malte C.: Münsters Polizeipräsidentin Alexandra Dorndorf zeigte sich bei Twitter mit Regenbogenfahne im Kreis von Polizistinnen und Polizisten.
Gab es auch über Münster hinaus Reaktionen?
Der Tod von Malte C. sorgte bundesweit für Entsetzen und Fassungslosigkeit. In den Sozialen Netzwerken äußerten viele Menschen ihr Mitgefühl für die Angehörigen. Am Tag der Trauerfeier haben bundesweit zahlreiche Behörden an öffentlichen Gebäuden als Zeichen der Solidarität Regenbogenflaggen gehisst. In Düsseldorf hatte sich das NRW-Familienministerium angeschlossen.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser sprach von einem „Hassverbrechen“ und kündigte ein konsequentes Vorgehen gegen Diskriminierung und Gewalt an.
Wie hat die Politik auf den Tod von Malte C. reagiert?
In NRW war der Angriff auf Malte C. Thema im Landtagsinnenausschuss. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) kündigte dort an, dass homophobe und queerfeindliche Straftaten in der Kriminalitätsstatistik in NRW künftig besser ausgewiesen werden sollen. „Ich möchte den Angehörigen des jungen Mannes, der mit seinem Handeln viel Zivilcourage bewiesen hat, mein herzliches Beileid aussprechen“, sagte Reul. „Sein Mut hat ihn letztlich das Leben gekostet.“
Seit 2017 seien 18 solcher Straftaten in NRW registriert worden. Bei acht dieser Taten seien insgesamt 13 Verdächtige ermittelt worden. Er würde das Dunkelfeld künftig besser gerne ausleuchten und mehr über die Täter wissen: „Was sind das eigentlich für Menschen, die andere wegen ihrer sexuellen Orientierung angreifen?“, fragte Reul.
Die erste Ratssitzung nach der tödlichen Attacke hat zudem mit einer Schweigeminute begonnen. „Der Angriff gegen eine queere Person ist schrecklich“, sagte Oberbürgermeister Markus Lewe. „Er geht uns alle an.“ Die Stadt Münster müsse ein sicherer Ort für alle Menschen sein, hob Lewe vor der Schweigeminute hervor. „Der Tod eines jungen Menschen erschüttert uns.“
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