Tödliche Attacke gegen Malte C.
Beim Prozessbeginn: Nuradi A. sagt unter Ausschluss der Öffentlichkeit aus
Münster
Die tödliche Attacke gegen Malte C. am Rande des Christopher Street Day hat in Münster und darüber hinaus für Entsetzen gesorgt. Am Montag hat vor dem Landgericht der Prozess gegen den Tatverdächtigen begonnen.
Lange Schlangen vor dem Einlass, reservierte Plätze im größten Saal A23: Unter großem öffentlichem Interesse hat am Montagmorgen der Prozess gegen den inzwischen 21-jährigen Nuradi A. begonnen, der beim Christopher Street Day (CSD) 2022 in Münster einen Besucher tödlich verletzt haben soll. Der Angeklagte äußerte sich zu den Vorwürfen.
Der Vorfall am 27. August 2022 hat bundesweit für Entsetzen gesorgt. Was genau an jenem Abend geschah, schilderte Oberstaatsanwalt Dirk Ollech in seiner Anklage. Demnach war der nun Angeklagte an jenem Abend auf dem Hafenplatz in Münster. Dort traf er auf drei Frauen, die er – leicht alkoholisiert – belästigte. So soll er sie gefragt haben, ob er sie „intim berühren“ und unter den Rock fassen dürfe. Als sie das verweigerten, habe er sie unter anderem als „lesbische Huren“ und „Scheiß Transen“ beschimpft – „um sie in ihrer Ehre zu verletzen“, wie es die Staatsanwaltschaft formulierte. Zudem habe er gedroht, die Familien der Frauen zu töten.
Malte C. kam den Frauen zur Hilfe
Etwas entfernt soll Malte C. auf dem Boden gesessen haben, ein 25-Jähriger, der erfolgreich eine Geschlechtsumwandlung hinter sich gebracht hatte. Laut Anklage kam er den Frauen zu Hilfe und bat den Angreifer, sie in Ruhe zu lassen. Da er keine Oberbekleidung getragen habe, seien die Narben seiner Brustentfernung zu erkennen gewesen, erklärte der Oberstaatsanwalt.
Nuradi A. habe Malte zu verstehen gegeben, er solle „das Maul halten“, er sei auch „kein richtiger Mann“.
Malte C. schlug mit dem Kopf auf dem Boden auf
Danach ging offenbar alles ganz schnell. Die Ermittler vermuten, dass der nun Angeklagte sein Opfer erst vor die Brust stieß und danach zweimal – zunächst mit der rechten, dann mit der linken Faust – ins Gesicht schlug. Malte C. fiel regungslos hintenüber, schlug mit dem Kopf auf und zog sich ein schweres Schädel-Hirn-Trauma zu. Der Täter flüchtete. Das Opfer starb wenige Tage später im Krankenhaus.
Der Tatverdächtige „war in der Lage, die Folgen abzusehen“, ist die Staatsanwaltschaft überzeugt. Denn Nuradi A. ist trainierter Boxer. „Spätestens beim zweiten Schlag hielt er schwere Verletzungen für möglich.“ Dass sein Opfer sterben würde, sei für ihn aber nicht abzusehen gewesen, so der Oberstaatsanwalt. Angeklagt ist Nuradi A. deshalb nicht wegen Mord oder Totschlag, sondern wegen Körperverletzung mit Todesfolge.
Angeklagter sitzt seit Festnahme in Untersuchungshaft
Der Angeklagte, der seit kurz nach der Tat in Untersuchungshaft sitzt, verfolgte die Ausführungen scheinbar regungslos. Er wirkt schmächtig, mit einem weichen Gesicht und einem gepflegten Bart, der von den Koteletten unter dem Kinn hindurch zur anderen Seite führt. Sein schwarzes Haar ist glatt und kurz. 21 Jahre ist er nun alt und wird möglicherweise als Jugendlicher verurteilt.
Gleich für den Prozessbeginn hatte der Angeklagte, der vom renommierten Marler Anwalt Siegmund Benecken vertreten wird, eine „Einlassung“ angekündigt: Er wollte sich zu seiner Person und möglicherweise zur Tat äußern. Auf Antrag der Verteidigung wurde die Öffentlichkeit für diesen Teil des Prozesstages ausgeschlossen. Zuschauer und die vielen Medienvertreter mussten den Saal verlassen.
Nuradi A. soll selbst homosexuell sein
Hintergrund ist offenbar, dass der Angeklagte – das war bereits vor Prozessbeginn durchgesickert – selbst homosexuell ist. Und da er aus Tschetschenien stammt, wo Homosexualität als Schande gilt, befürchte er massive Repressalien, wenn er zu seinen sexuellen Neigungen öffentlich aussagt, erklärte Anwalt Benecken: „Sein Vater würde ihn totschlagen“, habe er einmal formuliert. Im Vorfeld war gemutmaßt worden, dass in seinem verheimlichten Schwulsein ein Motiv für die aggressive Tat liegen könnte.
Dass der Anwalt die offenbar heiklen Details zu Nuradi A.s Person im öffentlichen Teil – also vor Publikum und Medien – so ausführlich schildert, um dann die Öffentlichkeit herausschicken zu lassen, sorgte freilich für Verwunderung bei vielen Beobachtern.
Der Angeklagte gesteht
Am Nachmittag berichtete ein Gerichtssprecher, der Angeklagte habe bei der Befragung hinter verschlossenen Türen die Taten gestanden – die Beleidigungen ebenso wie die tödlichen Schläge. Als sein späteres Opfer auf ihn zugekommen sei, habe er sich vorgestellt, dass es eine Situation sei, in der man kämpfen wolle.
Dass Malte nach den Schlägen zu Boden ging, habe er sehr wohl gesehen – aber sei davon ausgegangen, dass er auch gleich wieder aufstehen werde. Der 21-Jährige sagte, dass der Vorfall nichts mit einer homophoben oder queer-feindlichen Einstellung zu tun habe.
Geplant sind zunächst neun weitere Verhandlungstage. Ein Urteil soll dann Ende April fallen.
Tödliche Attacke auf Malte C. beim CSD in Münster
16. November 2022: Die Staatsanwaltschaft Münster erhebt Anklage gegen einen 20-jährigen Tatverdächtigen. Der Vorwurf lautet Körperverletzung mit Todesfolge.
8. September 2022: Der tödliche Angriff am Rande des CSD in Münster wird Thema im Innenausschuss des NRW-Landtags.
7. September 2022: Nach der tödlichen Attacke erlebt das Boxzentrum Münster Anfeindungen. Der Tatverdächtige hat dort in seiner Jugend das Boxen gelernt.
4. September 2022: Nach dem Tod von Malte C. herrscht nicht nur in Münster Trauer und Entsetzen. Der traurige Vorfall löst ein bundesweites Echo aus. Nach und nach werden zudem Details zum 20 Jahre alten Tatverdächtigen bekannt.
2. September 2022: Nach der Attacke auf den CSD-Teilnehmer Malte C. erliegt dieser seinen schweren Verletzungen. Noch am selben Tag findet auf dem Prinzipalmarkt eine Kundgebung mit 5000 Menschen statt. Ebenfalls am Nachmittag wird ein 20-jähriger Tatverdächtiger festgenommen.
30. August 2022: Nach dem Angriff auf den CSD-Teilnehmer sind Wut, Bestürzung und Anteilnahme in Münster groß. Der Täter ist indes weiter flüchtig.
27. August 2022: Etwa 10.000 Menschen ziehen beim Christopher Street Day (CSD) in Münster durch die Innenstadt. Am Rande der Veranstaltung kommt es zu dem Zwischenfall, bei dem ein Demo-Teilnehmer schwer verletzt wird.
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