Klaus Reinhardt schlägt Medikamenten-Austausch in Nachbarschaft vor - mit Kommentar
Arzneimittel-Flohmärkte: Apotheker kritisieren Ärztepräsidenten
Münster/Bielefeld
Angesichts von Lieferengpässen für manche Medikamente haben sich die Apotheken gegen Ideen zu Arznei-Flohmärkten in Nachbarschaften gewandt. „Arzneimittel gehören in Apotheken, nicht auf den Flohmarkt – schon gar keine abgelaufenen Arzneimittel“, sagte der Präsident der Bundesapothekerkammer, Thomas Benkert.
Er äußerte sich schockiert über einen derartigen öffentlichen Vorschlag. Ärztepräsident Dr. Klaus Reinhardt aus Bielefeld hatte dem „Tagesspiegel“ gesagt: „Wer gesund ist, muss vorrätige Arznei an Kranke abgeben. Wir brauchen so was wie Flohmärkte für Medikamente in der Nachbarschaft.“
Reinhardt wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass dafür auch Arzneimittel infrage kommen könnten, deren Haltbarkeitsdatum bereits einige Monate abgelaufen sei. In der Not könne man zahlreiche Medikamente immer noch gefahrlos verwenden.
„Ein solcher Vorschlag, unterbreitet vom obersten Vertreter der Ärzteschaft, ist der Offenbarungseid des deutschen Gesundheitssystems“, erklärte Thomas Rochell, Vorstandsvorsitzender des Apothekerverbandes Westfalen-Lippe. Dass Patienten Arzneimittel, die womöglich abgelaufen seien, wie abgelegte Kleider auf dem Basar tauschten, sei höchst riskant.
Die Bundesärztekammer erläuterte am Montag, angesichts der aktuellen Infektionswelle sollten sich Leute im Familien- und Freundeskreis mit nicht-verschreibungspflichtigen, originalverpackten Arzneimitteln aushelfen. „Selbstverständlich ist damit kein ‚Flohmarkt‘ im wörtlichen Sinne gemeint.“ Solche Nachbarschaftshilfe sollte in schwierigen Zeiten eine Selbstverständlichkeit sein.
„Eine echte Krisensituation“
Die Kassenärzte fordern derweil wegen der Lieferengpässe bei bestimmten Medikamenten ein direktes staatliches Eingreifen. „Jetzt ist das Bundesgesundheitsministerium gefragt, so schnell wie möglich die fehlenden Arzneimittel zu beschaffen“, sagte der Vorstandschef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen, am Montag.
Nötig seien Sonderregelungen und Sofortmaßnahmen wie zu Beginn der Corona-Pandemie, als auf dem internationalen Markt knappe Materialien wie Masken und Schutzkleidung nach Deutschland geholt werden mussten. Es bestehe „eine echte Krisensituation“.