Die Frau, die es postete, wurde fristlos entlassen
Arbeitsgericht verhandelt wegen Tönnies-Kantinenvideo
Bielefeld (WB). Vor dem Arbeitsgericht in Bielefeld kämpft eine entlassene Mitarbeiterin aus der Tönnies-Kantine um die Rückkehr an ihren Arbeitsplatz. Die Frau hatte ein Video ins Internet gestellt, das in der Kantine des Fleischwerks entstanden war und angebliche Verstöße gegen die Corona-Schutzverordnung zeigt. Die Frau war nicht bei Tönnies beschäftigt, sondern bei einem Caterer aus Langenberg (Kreis Gütersloh), der die Tönnies-Kantine seit Jahren betreibt.
Nachdem die Corona-Infektionszahlen in der Tönnies-Belegschaft im Juni durch die Decke gegangen waren, tauchte das Video im Netz auf . Es zeigt, wie Tönnies-Mitarbeiter in ihrer üblichen Schutzkleidung nebeneinander an Kantinentischen sitzen und essen. In dem Video ist die Stimme einer Frau zu hören. Sie sagt unter anderem: „Das ist Tönnies. Wie sollen wir uns hier schützen?”, und in holprigem Deutsch: „Tausende Menschen an ein Tische.”
Wann sind die Aufnahmen entstanden?
Die Verordnung des Landes vom 22. März schreibt vor, dass in Betriebskantinen 1,5 Meter Mindestabstand einzuhalten sind. Es ist allerdings unklar, ob die Aufnahmen vor oder nach Verhängung der Corona-Vorschriften entstanden sind. Die Firma Tönnies erklärt, man kenne das Video seit dem 28. März. Unklar ist, wer das Video gemacht hat. Interne Nachforschungen ergaben allerdings, dass die Catering-Mitarbeiterin den Videoclip ins Internet gestellt hatte, wo er sich schnell verbreitete und als angeblicher Beweis für Hygieneverstöße die Runde machte.
Das Catering-Unternehmen entließ die Frau im April fristlos, und das Unternehmen Tönnies erteilte ihr Hausverbot. Vor dem Arbeitsgericht Bielefeld klagte die Frau gegen die Entlassung. Nach Auskunft von Arbeitsgerichtsdirektor Joachim Kleveman bestritt sie beim Gütetermin am 9. Juni nicht, das Video ins Internet gestellt zu haben. „Sie bestritt aber, dass die Kommentare von ihr sind.”
Vor Gericht einigten sich die Parteien auf eine fristgerechte Kündigung und eine Abfindung, doch diesen Vergleich widerrief die Frau nach einem Anwaltswechsel fristgerecht. Damit wird es demnächst eine Verhandlung vor dem Arbeitsgericht geben. Weder Jürgen Graser, der neue Anwalt der Frau, noch der Caterer oder sein Anwalt Torben Prüß wollten sich am Dienstag zu dem Verfahren äußern.
Expertenrat: Bei Missständen an Vorgesetzten wenden
Ein Video über mutmaßliche Missstände posten – darf man das? Prof. Dr. Friedrich Meyer aus Paderborn, Fachanwalt für Arbeitsrecht: „Wer Missstände in seiner Firma abstellen möchte, muss sich zuerst an seinen Vorgesetzten wenden. Wenn sich nichts ändert, sollte er eine Etage höher gehen, notfalls bis zum Geschäftsführer. Erst wenn auch das nicht fruchtet, kann er die Behörden einschalten – das Gesundheitsamt, die Staatsanwaltschaft oder wen auch immer.”
In keinem Fall jedoch sei es ratsam, mutmaßliche Missstände einfach im Internet zu veröffentlichen. „Da bewegt man sich schnell sehr nahe an einer fristlosen Kündigung.” Zudem könnten abgebildete Personen ihre Persönlichkeitsrechte geltend machen.
In Fällen wie dem der Catering-Mitarbeiterin könne es auch zu sogenannten Druck-Kündigungen kommen, sagt der Arbeitsrechtler. „Wenn ein Großkunde Druck auf eine Firma ausübt, einen bestimmten Mitarbeiter zu entlassen, billigen Arbeitsgerichte solche Kündigungen oft. Denn der Arbeitgeber will im Interesse der anderen Arbeitnehmer den Auftrag nicht verlieren.” An einen solchen Fall kann sich Armin Wiese erinnern, der Geschäftsführer der Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten (NGG) in Ostwestfalen-Lippe: „Ein Labor arbeitete seit langem für einen Marmeladenhersteller aus Paderborn. Als sich ein Labormitarbeiter im Internet abfällig über den Marmeladenproduzenten äußerte, drang der darauf, den Mann zu entlassen. Und das Arbeitsgericht hat die Kündigung bestätigt.”
Ob das Unternehmen Tönnies entsprechenden Druck auf den Kantinenpächter ausgeübt hat – dazu möchten sich die beiden Firmen nicht äußern.
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