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Drei Bielefelder Unternehmen veröffentlichen „Gemeinwohl-Bilanz“

Bilanz des guten Gewissens

Bielefeld

Normalerweise beschäftigen sich Sven Fissenewert und seine Kollegen mit Themen wie Führungskultur und Management. Als die Corona-Pandemie ihre Arbeit bremste, drängte sich jedoch eine ganz andere Frage in den Vordergrund.

Von Philipp Körtgen

Haben ihr Unternehmen auf Herz und Nieren geprüft (von links): Marcus Stichmann (GAB Bielefeld), Anna Wallitzer (Mondo Buchhandlung), Stefanie Schweitzer (P1 Consulting GmbH) und John Wegener (Vorstand Gemeinwohl-Ökonomie Deutschland e.V.) Foto: Philipp Körtgen

„Wir haben diskutiert, welchen übergeordneten Sinn wir verfolgen und ob uns eine positive Jahresbilanz am Ende zufrieden stellt“, erzählt Fissenewert, Geschäftsführer der P1 Consulting GmbH. Sein Team stieß auf die Idee der Gemeinwohl-Bilanz, die 2010 von Christian Felber erfunden wurde. Die Mitarbeiter entschieden sich, ihr Unternehmen nach Felbers Methode zu prüfen.

Das Verfahren gibt vor, die eigene Arbeit an Werten wie Menschenwürde, Nachhaltigkeit, Transparenz und Mitbestimmung zu messen. Rund 200 Unternehmen in Deutschland haben die Methode bislang angewandt, die Ergebnisse und ihren Punktestand zwischen minus 3000 und 1000 müssen sie prüfen lassen und veröffentlichen. In Bielefeld sind neben P1 Consulting das Sozialunternehmen GAB Bielefeld und die Buchhandlung Mondo dabei.

Hoher Aufwand bei Bilanzierung

„Es geht los bei den Lieferanten“, berichtet Marcus Stichmann von der GAB Bielefeld. „Wir haben uns gefragt, ob der Kaffee in der Kantine Fair-Trade ist. Oder ob unserer Versicherungsmakler nach Provision oder mit einem Festgehalt bezahlt wird. Dabei haben wir festgestellt, das wir vieles gar nicht so genau wissen.“ Anschließend wurde der Umgang mit Eigentümern, Mitarbeitern, Kunden und dem gesellschaftlichen Umfeld abgeklopft.

In der Buchhandlung Mondo hat Anna Wallitzer über sieben Monate jedes Buch durchgeblättert, um Informationen über die Herstellungsbedingungen ihres Sortimentes zu erhalten. „Ich habe mich auch von einem Lieferanten getrennt und arbeite jetzt mit einer Genossenschaft zusammen“, erzählt sie. Bei der GAB Bielefeld nahm die Prüfung ein Team aus neun Leuten über 200 Arbeitsstunden in Anspruch.

Kapitalismus-Kritik

Die Idee hinter der Gemeinwohl-Bilanz ist dabei nicht unpolitisch. Hervorgegangen ist sie aus der Globalisierungs- und Kapitalismuskritischen Bewegung „attac“. Christian Felber gehört zu den Mitgründern der Gruppe in Österreich. In seinem Buch zur Gemeinwohl-Ökonomie spricht er sich für eine Begrenzung von Wachstum und Privateigentum aus, fordert die Beteiligung der Mitarbeiter an ihrem Unternehmen und die Abschaffung von Finanzmärkten nach heutigem Zuschnitt.

In der Praxis gehe es allerdings mehr um „Evolution“ denn um „Revolution“, sagt John Wegener, Vorstand des Vereins Gemeinwohl-Ökonomie Deutschland. „Wir üben eine Kapitalismus-Kritik, aber wir wollen das System damit nicht abschaffen. Es geht eher darum, wie wir den Kapitalismus so modifizieren können, dass die planetaren Grenzen eingehalten werden können.“

Zumindest bei P1 Consulting hat die Erstellung der Bilanz aber zu einem Umdenken über den Aspekt der Nachhaltigkeit hinaus geführt. Im Auftrag der Gesellschafter prüft Sven Fissenewert derzeit, die Mitarbeiter auch rechtlich am Unternehmen zu beteiligen. „Das könnte in Richtung einer Genossenschaft oder eines Stiftungsmodells gehen.“

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