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Auf Empfehlung ihres Hausarztes

Brigitte Hoefs (87) ist die älteste Mitarbeiterin der Bielefelder Tafel

Bielefeld

Nur keine Barmherzigkeit vortäuschen. Brigitte Hoefs (87) arbeitet nicht jeden Tag in der Bielefelder Tafel mit, weil sie dadurch in den Himmel kommen will. Sie arbeitet mit, weil ihr der Hausarzt das empfohlen hat.

Für Brigitte Hoefs, der ältesten Mitarbeiterin der Bielefelder Tafel, beginnt der Arbeitstag mit Brot, Brötchen und Kuchen. Die Backwaren müssen auf 120 Tüten verteilt werden.  Foto: Bernhard Pierel

Mehr über die Weihnachtsspendenaktion des WESTFALEN-BLATTES zugunsten der Tafeln NRW finden Sie auch auf unserer Sonderseite.

„Frau Hoefs“, habe der gesagt, „solange Sie in der Tafel mitarbeiten, ist alles in Ordnung.“ Damit verfügt die älteste, ehrenamtliche Mitarbeiterin der Bielefelder Tafel über eine medizinische Legitimation für ihr außergewöhnliches Engagement. Seit 15 Jahren ist sie dabei. Fährt täglich auf 9.30 Uhr mit der Linie 30 von ihrer Wohnung in Heepen aus zum Rabenhof im Ortsteil Baumheide. Dort werden täglich nicht verkaufte Waren aus 45 Bielefelder Supermärkten, Bäckereien und Herstellern angeliefert, sortiert und verteilt. 70 Tonnen Lebensmittel werden auf diese Weise hier pro Monat gerettet und vermittelt.

Start mit Teigwaren

Brigitte Hoefs beginnt immer mit den Teigwaren. Also mit Brot, Brötchen, Kuchen, Teilchen. Die nimmt sie aus den angelieferten Bäckerkisten und verteilt sie auf 120 weiße Tragetüten. Anschließend folgen Eier, Kartoffeln, Gemüse, Obst. Wieder 120 Tüten. Die Waren dürfen nicht in eine Tasche zusammengepackt werden, das Veterinäramt wacht darüber. Ebenso müssen Tiefkühlprodukte separat eingepackt werden.

Thomas Doussier leitet die Bielefelder Tafel.  Foto: Bernhard Pierel

Um 11.30 Uhr ist Pause. Zeit für eine Tasse Kaffee. Ob wir uns kurz einmal unterhalten können? „Einen Moment,“ sagt Brigitte Hoefs, greift sich ein Kehrblech und fegt die Krümel auf und unter dem Tisch zusammen, die beim Verpacken heruntergerieselt sind. Dann hängt sie das Kehrblech samt Handfeger wieder an den Haken neben der Tür: „Das muss da immer wieder hin. Wenn es auch nur einmal den Raum verlassen würde, wäre es für immer verschwunden.“ Eine Erfahrung aus 15 Jahren Tafeldienst.

Unter Menschen

Sie sei damals zur Tafel gekommen, um der Stille ihrer Wohnung zu entfliehen. Ihre drei Kinder waren erwachsen, sie leben inzwischen mit ihren eigenen Familien anderswo in der Stadt. Ihr Mann Siegfried war gestorben. Sie war soeben in Rente gegangen, nach 26 Jahren Dienst in der Sparkassenküche. Die dort unter Zeitdruck erlernten Handgriffe sind ihr in Fleisch und Blut übergegangen. Sie fährt mit einem feuchten Tuch über den Sortiertisch, während sie aufblickt und spricht: „Hier komme ich unter Menschen. Ich rede mit meinen Kollegen über die Fernsehnachrichten von gestern Abend, über Zeitungsmeldungen oder über das Wetter.“

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Brigitte Hoefs ist in Bromberg in Westpreußen aufgewachsen. 1953, im Jahr des Arbeiteraufstandes in der damaligen DDR, verließ sie ihre Heimat in Mecklenburg-Vorpommern und landete in Moers-Kapellen im Rheinland. Einen politischen Grund habe sie dafür nicht gehabt: „Ich war jung und wollte einfach noch etwas anderes erleben.“ Zwei Jahre später zog sie nach Herford um, der Liebe wegen. Als die Kinder kamen, suchte das Paar eine neue Wohnung und fand etwas in Bielefeld. 1970 nahm sie ihre Arbeit bei der Sparkasse auf.

Ton wird rauer

Zu Beginn ihrer Tafel-Tätigkeit habe sie auch in der Ausgabe mitgearbeitet. Das erspare sie sich inzwischen aber. Zum einen, weil sie mittlerweile schlecht höre und viele der wöchentlich 2500 Bedürftigen kein oder nur schlechtes Deutsch sprechen würden. Außerdem seien die Kontakte an der Ausgabestelle schwieriger geworden. Immer wieder gebe es Kunden, denen sogar die fünf Euro für die drei prall gefüllten Tüten zu teuer seien. Die sich vordrängelten oder sich ständig benachteiligt fühlten: „Das sind immer Ausnahmen, aber sie prägen das Klima an der Ausgabestelle.“ Vor allem, seit der Zufluss unverkaufter Waren seit Januar deutlich spärlicher ausfalle und mit den ukrainischen Familien neue Kunden vor der Tür stünden, sei der Ton rauer geworden. Andererseits nehme sie das Schicksal der bedürftigen Menschen immer wieder mit. Frauen und Kinder, die ihr Hab und Gut in der Ukraine zurückgelassen haben; Familien, denen das unversicherte Haus über den Köpfen weggebrannt sei und die jetzt völlig mittellos seien.

Ihre schlimmste Zeit seien die Coronamonate gewesen. Fast zwei Jahre, in denen die Sortier- und Ausgabestelle am Rabenhof geschlossen war. Himmel, sei das langweilig gewesen, die ganze Zeit nur zu Hause. Tafel-Geschäftsführer Thomas Doussier erinnert sich: „Wir haben lange überlegt, ob wir unsere Brigitte zurückholen sollten, wegen ihres Alters und wegen des Infektionsrisikos.“ Nichts da. Vor Corona hat Brigitte Hoefs keine Angst. Nur davor, diese Hilfe irgendwann nicht mehr beitragen zu können.

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