Jochen Wintzer gibt seine Radiologie-Praxis am Jahnplatz in Bielefeld nach 20 Jahren auf - Kritik am Gesundheitssystem
Ein MRT schwebt davon
Bielefeld
Ist es ein Vogel? Ist es ein Flugzeug? Nein, es ist ein MRT, das über den Dächern von Bielefeld schwebt. Der Magnetresonanztomograph wurde am Samstag mit Hilfe eines Krans und einer Transportbühne aus der zweiten Etage eines Hauses an der Alfred-Bozi-Straße geholt.
In die Fassade der Radiologiepraxis von Jochen Wintzer wurde dafür zuvor ein 3,20 mal 3,65 Meter großes Loch geschlagen, um das medizinische Gerät hinaus zu bekommen. „Das machen die Maurer dann am Montag wieder zu“, erklärt Architekt Hendrik Nitschke, der vor 20 Jahren gemeinsam mit seinem Vater Jürgen die Praxis um das MRT herum plante. Denn der Tomograph mit einem Leergewicht von 3,5 Tonnen ist nicht leicht zu platzieren. Die Statik des Gebäudes muss aufgrund der Belastung genau geprüft werden, zudem darf das Gerät nicht in der Nähe elektromagnetischer Felder wie Aufzüge oder Straßenbahnen aufgestellt werden.
Nötig geworden ist der durch die Baustelle am Jahnplatz kompliziert gewordene spektakuläre Abtransport, weil Jochen Wintzer seine Praxis aufgibt. Der Radiologe hatte versucht, einen Kollegen für seine Nachfolge zu gewinnen, doch sowohl die Corona-Situation wie auch die gesundheitspolitischen Umstände schreckten derzeit viele Ärzte davon ab, sich selbständig zu machen, meint Wintzer. „Ich hätte sehr gerne weitergemacht“, betont der 66-Jährige.
Gleich mehrere Gründe haben ihn zu der Entscheidung gebracht, die Praxis aufzugeben. „Wir befinden uns in einer völlig desolaten Situation, die Honorare sind im freien Fall. Als ich anfing, gehörten die Radiologen noch zu den Spitzenverdienern“, erzählt Wintzer. Als er vor 20 Jahren seine Praxis an der Alfred-Bozi-Straße eröffnete, bekam er für eine Kernspintomographie bei einem Kassenpatienten noch 400 Euro, heute sind es gerade noch 60. „Wir haben Betriebskosten von 2000 Euro am Tag, man ist zwölf Stunden unterwegs und am Ende bleibt nichts übrig“, sagt der Mediziner, der bis zu 50 Patienten am Tag in seiner Praxis betreute.
Nach dem Aussterben der Allgemeinarztpraxen auf dem Land sieht er auch die Fachärzte in Gefahr, nur Gemeinschaftspraxen haben noch eine reelle Zukunft aus der Sicht von Jochen Wintzer: „Die können die Aufgaben in den Bereichen Personalwesen und Buchhaltung delegieren“. Er habe zuletzt die Hälfte seiner Arbeitszeit mit Abrechnungen und Dokumentation verbracht und immer weniger Zeit für seine Patienten gehabt. „Das Verwaltungsparasitentum zieht uns runter, die Bürokratie hängt uns am Halse wie ein Mühlstein“, sagt Wintzer, der sich dringend ein Umdenken im Gesundheitswesen wünscht. Auch fehlendes Fachpersonal sei ein Problem, medizinische Radiologieassistenten zu finden sei immer schwieriger. Seine sieben Mitarbeiter hatten deshalb auch keine Schwierigkeiten, neue Anstellungen zu finden: „Man kann sie quasi nur noch direkt von der Konkurrenz oder nach der Ausbildung abwerben“.
Zum 31. Dezember muss er aus den 500 Quadratmeter großen Räumen raus sein, ein Nachmieter ist noch nicht gefunden. Während das MRT nach Münster gebracht wird und das CT nach Wien, findet auch sein Mammographiegerät eine neue Aufgabe. „Das habe ich an ein Krankenhaus in Kinshasa gespendet“, verrät Wintzer.
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