Digitalcourage: »unethisch und illegal«
Einsatz im Callcenter? Darum bekommt Precire den Big-Brother-Award
Bielefeld/Aachen (WB/jmg). Intransparent und wenig wissenschaftlich: Der Bielefelder Verein Digitalcourage kritisiert die Arbeit der Aachener Firma Precire. Dafür gibt’s nun den Big-Brother-Award.
Verliehen wurde der Negativpreis am Samstagabend im Bielefelder Stadttheater. Die Laudatio hielt Rena Tangens, Mitgründerin von Digitalcourage, die von einer wissenschaftlich zweifelhaften, wahrscheinlich rechtswidrigen und gefährlichen Sprachanalyse-Software sprach.
Tangens’ Angaben zufolge wird die Software bei Telefon-Jobinterviews genutzt. »Und Precire behauptet, dass sie aus einer 15-Minuten-Stimmprobe den Charakter eines Menschen erkennen könnten und wie geeignet er oder sie für den Job ist«, sagte Tangens. Doch die Ergebnisse seien nicht besser als Horoskope in Klatschblättern. Es gebe keinen nachgewiesenen Zusammenhang zwischen Stimme und Fähigkeiten. Trotzdem werde Precire Firmenangaben zufolge von Konzernen wie dem Zeitarbeitsvermittler Randstad, dem Versicherungskonzern HDI, dem Transport-Riese Fraport, dem Stromversorger RWE oder Mobilfunkanbieter Vodafone eingesetzt.
»Vorurteile werden salonfähig«
Tangens: »Precire reitet auf dem Trend, Sprachanalyse zur Ausforschung und Klassifizierung von Menschen zu verwenden und der ›Künstlichen Intelligenz‹ magische Urteilskräfte zuzuschreiben. Unbewusster Nebeneffekt: Vorurteile werden durch Reinigung in der Algorithmen-Waschmaschine ganz unauffällig wieder salonfähig gemacht. ›Hat der Computer so ausgewählt. Wir wissen nicht, warum.‹«
Digitalcourage kritisiert zudem, dass die Software bei der Echtzeit-Analyse von Anrufern in Callcentern genutzt werde. »Doch anders als bei der Vorhersage, ob jemand für einen Job geeignet ist, ist es durchaus möglich, dass die Sprechanalyse etwas über die Anrufenden herausfinden kann, zum Beispiel die Herkunft über den Dialekt, Emotionen, Unsicherheit, Stress.«
Ein solcher Einsatz sei nicht nur unethisch, sondern auch illegal, kritisiert Tangens. Das verletzte das Telekommunikationsgeheimnis. »Emotions- und Motivationserkennung per Sprachanalyse ist gefährlich, denn sie kann ohne unser Wissen irgendwo im Hintergrund passieren, wann immer wir sprechen. Diese Art der Sprachanalyse ist geradezu darauf angelegt, uns zu übervorteilen«, sagte Tangens in ihrer Laudation.
Das sagt Precire
Precire wehrt sich gegen die Vorwürfe: »Diese öffentlich gemachte (Kurz)begründung ist unwahr. Precire stellt nach einer freiwilligen und mit einer Zustimmung verbundenen Teilnahme kontextabhängige Informationen zur Verfügung und dient zur Unterstützung der Entscheidungsfindung, die von Menschen getroffen wird.« Eine automatisierte Vorauswahl von Bewerbern sei kein Leistungsbestandteil der Software.
Geschäftsführer Thomas Belke schreibt in einer Stellungnahme weiter: »Die Darstellung, Precire werde zur Persönlichkeitsanalyse von Menschen herangezogen, die eine Hotline anrufen, ist falsch.« Einen solchen Einsatz gebe es nicht. Stattdessen heißt es: »Precire fördert die kundenindividuelle Interaktion zwischen Mensch und Mensch bzw. Mensch und Maschine zum Zwecke einer besseren Verständigung, indem es Informationen über die kommunikativen Wirkung bereitstellt.« Zudem halte die Firma »als deutsches Unternehmen, welches den hohen deutschen und europäischen Datenschutzrichtlinien unterliegt, sämtliche datenschutzrechtlichen Bestimmung des BDSG und der DSGVO ein.«
Startseite