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Bielefelder Verhaltensbiologin Rebecca Nagel war auf Bird Island im Südatlantik, um Seebären zu beobachten

Elf Wochen für Heimreise benötigt

Bielefeld (WB). 20 Wochen hat Dr. Rebecca Nagel von Mitte November vergangenen Jahres bis Ende März auf Bird Island in Südgeorgien, am Rande der Antarktis gelegen, verbracht. Für die Rückreise nach Europa benötigte die Biologin, die sich an der Universität Bielefeld mit Evolutionsforschung befasst, dann weitere elf Wochen – Corona-bedingt.

Sabine Schulze

Cameron Fox-Clarke, Claire Stainfield und Rebecca Nagel (von links) auf Bird Island. Foto: Nagel

Bereits ein Jahr zuvor hatte Rebecca Nagel, die an einem Sonderforschungsbereich der Universitäten Bielefeld, Münster und Jena arbeitet, fünf Monate auf der nur 3,4 Quadratkilometer kleinen Insel verbracht, zusammen mit zehn anderen Wissenschaftlern. Ihr Forschungsgebiet sind Antarktische Seebären. Die Biologin folgt auf Bird Island 50 Mutter-Kind-Paaren um herauszufinden, wie sie sich an ihre Umwelt anpassen und ihren Platz im Ökosystem finden. „Dabei geht es auch um Veränderungen, wie sie zum Beispiel durch den Klimawandel entstehen.“

Im November 2019 ging es im Antarktischen Sommer erneut für die 31-Jährige auf die Insel und zur Forschungsstation des „British Antarctic Survey“, eines britischen Polarforschungsprogrammes. Denn Bird Island, 1775 von James Cook entdeckt, ist britisches Überseegebiet.

Falkland-Inseln tabu

Ihre Feldforschung, erzählt sie, war nicht von der Corona-Pandemie beeinflusst, Rebecca Nagel konnte ihre Forschungen vollständig durchführen. Schwieriger gestaltete sich dann die Heimreise. „Man muss wissen, dass man Bird Island nur per Schiff erreichen kann“, erzählt die Biologin. Planmäßig holte das Forschungs- und Versorgungsschiff „James Clark Ross“ fünf der neun Wissenschaftler Ende März ab, die übrigen vier blieben auf der Insel, um dort zu überwintern. Von Bird Island ging es zu anderen Inseln mit Forschungsstationen, um dort weitere Wissenschaftler und Bauhandwerker, die auf einer Landspitze der Adelaide-Insel einen neuen Schiffsanleger gebaut hatten, aufzunehmen.

Alle zusammen sollten von den Falkland-Inseln aus mit einem Flugzeug des britischen Verteidigungsministeriums den Rückflug nach England antreten. „Auf den Falkland-Inseln gab es aber zwei oder drei Coronafälle, und wir durften nicht an Land gehen.“ Die Alternative wäre ein Flug von Chile aus gewesen. „Aber auch Chile hat zu dem Zeitpunkt die Grenzen geschlossen, und wir konnten nicht nach Hause fliegen.“

Atlantik durchquert

Glück für die etwa 70 Wissenschaftler und Handwerker, die nach Hause wollten: Im Hafen der Falkland-Inseln lag das Kreuzfahrtschiff MS Hebridean Sky, ein Expeditionsschiff für polare Regionen, das keine Passagiere an Bord hatte und kurzerhand von den Briten gechartert wurde. „Wir sind also auf ein kleineres Schiff umgestiegen, das uns dann zu der Hebridean Sky gebracht hat. Das Land durften wir ja nicht betreten.“

Elf Wochen – genau: 75 Tage – dauert die Heimreise, „dabei haben wir den kompletten Atlantik von Süden nach Norden durchquert“, erzählt Rebecca Nagel. Die ersten Tage konnte sie zwar nicht so recht genießen –„Ich war zuerst ganz übel seekrank.“ –, dann aber empfand sie die Reise als ein einzigartiges Erlebnis. „Wir haben so viele Tiere gesehen, viele Walarten und allein acht Delphinarten.“ Zielhafen war Portsmouth. Die Briten, das Gros der Reisenden, wurden von dort per Taxi nach Hause gefahren. Alle anderen wurden, ebenfalls per Taxi, zum Flughafen Heathrow gebracht, um dort den Heimflug anzutreten. „Wir hatten absolute Kontaktsperre, aber eine schriftliche Bescheinigung der British Antarctic Survey, dass wir fliegen durften.“ Für Rebecca Nagel ging es via Berlin-Tegel nach Hause – und in eine ihr empfohlene Quarantäne, die sie auch einhielt. „Ich dachte mir: Sicher ist sicher.“

Leben in Baracken

Derzeit widmet sich die Biologin der Schreibtischarbeit. „Meine Forschungen mit den Seebären mache ich vor Ort, hier muss ich aber die Daten auswerten.“ Die bestehen nicht nur aus Beobachtungen: Rebecca Nagel und zwei britische Kollegen, die ebenfalls an „Arctocephalus gazella“ arbeiten, haben den Jungtieren auch etwa Blut- und Speichelproben entnommen, sie gemessen und gewogen. Zum letzten Mal möchte Rebecca Nagel nicht auf Bird Island gewesen sein: „Die Arbeit dort macht mir so viel Spaß, dass es sich nicht wie Arbeit anfühlt.“

Das Leben auf dem Eiland findet sie nicht eintönig, auch wenn sie zuweilen Freunde und Familie vermisst. Dafür aber gibt es auf Bird Island Kollegen mit interessanten Forschungsprojekten. „Einige arbeiten über Albatrosse, andere sind auf Pinguine spezialisiert. Man hilft sich gegenseitig und lernt dabei viel.“ Untergebracht sind die Forscher in drei Baracken. „Das ist in Ordnung: Sie sind warm und trocken. Und es gibt immer etwas Gutes zu essen.“ Auch dafür sind die Wissenschaftler reihum selbst zuständig.

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