Bielefelder Taucher bringen Überlebende zu den Untergangsorten der Schiffe Gustloff, Steuben und Goya
Gedenken an den Tod in der Ostsee vor 75 Jahren
Bielefeld/Bielefeld (WB). Es war kurz nach 21 Uhr am Abend des 30. Januar 1945, als drei Torpedos den Rumpf der „Wilhelm Gustloff“ trafen. Es dauerte nur etwa eine Stunde, bis das mit vermutlich mehr als 10.000 Menschen beladene Schiff in der Ostsee versank – mit mehr als 9000 Toten gilt der Untergang des einstigen Kreuzfahrtschiffs, das kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs vor allem Flüchtlinge aus Ostpreußen in Sicherheit bringen sollte, als die verlustreichste Katastrophe der Seefahrtgeschichte. Jetzt, 75 Jahre später, will ein Team von Bielefelder Tauchern und Eignern eines Expeditionsschiffs aus Paderborn Überlebenden der „Gustloff“ sowie der ebenfalls versenkten Flüchtlingsschiffe „Steuben“ und Goya“ ermöglichen, an den jeweiligen Untergangsstellen in der Ostsee an die Geschehnisse zu erinnern und, wenn möglich, auch in Tauchgängen Gedenktafeln an den Wracks anzubringen.
Organisiert wird die Gedenkfahrt von Matthias Schneider, der das Tauchcenter Bielefeld betreibt. Er ist erfahrener Tauchlehrer mit mehr als 4500 Tauchgängen, die ihn schon mehrfach zu besonderen Schiffswracks geführt haben, wie etwa im vergangenen Jahr zu den Überresten der deutschen Kriegsflotte aus dem Ersten Weltkrieg, die vor der ehemaligen britischen Flottenbasis Scapa Flow auf den Orkney-Inseln liegen.
2013 an der „Gustloff“
Und auch zum Wrack der „Wilhelm Gustloff“, das etwa 23 Seemeilen vor der Küste in 40 bis 50 Metern Tiefe liegt, ist Schneider schon getaucht. 2013 hinterlegte er dort die Urne mit der Asche von Heinz Schön, der die Versenkung des Schiffes überlebt hatte, später in Bad Salzuflen gelebt und auch ein Buch über seine Erlebnisse geschrieben hatte und mit dem Schneider seit 2007 befreundet war.
„Er hat viel zu den Geschehnissen damals recherchiert. Und er stand in Verbindung zu anderen Überlebenden der Schiffskatastrophen, zu denen ich dann über ihn in Kontakt gekommen bin“, erklärt Matthias Schneider. Dabei sei immer wieder der Wunsch genannt worden, an das Geschehen zu erinnern und der Toten zu gedenken.
Drei der Überlebenden wollen laut Schneider nun an der Gedenkfahrt zu den Wracks teilnehmen, die innerhalb der nächsten vier bis acht Wochen stattfinden soll.
Kränze zur Erinnerung
Unterstützt werde diese auch vom Auswärtigen Amt, so Schneider, eine Zusammenarbeit gebe es auch mit den polnischen Behörden und der Deutschen Kriegsgräberfürsorge. Denn bei den Wracks handele es sich um Seegräber, zu denen Tauchgänge nur im Ausnahmefall genehmigt würden. Ob er und drei weitere erfahrene Taucher tatsächlich hinab zu den Schiffsrümpfen tauchen dürfen, stehe noch nicht fest – die Genehmigung der polnischen Behörden, in deren Hoheitsgewässer die Wracks liegen, stünden noch aus. In jedem Fall sollen aber über den Untergangsstellen Kränze auf dem Wasser ausgebracht werden, um der Toten zu gedenken.
Bislang gebe es kaum eine Erinnerungskultur in Bezug auf die Schiffskatastrophen, erklärt Matthias Schneider, warum ihm die Gedenkfahrt am Herzen liege und er diese für die Überlebenden ermöglichen möchte. Obwohl er sich mit der Geschichte der Schiffe intensiv befasst habe, seien die Tauchgänge zu diesen Wracks eine besondere Situation. Bug und Heck der „Gustloff“ seien noch in relativ gutem Zustand, der Mittelteil des Rumpfes sei jedoch erheblich zerstört – auch durch die Suche nach dem legendären „Bernsteinzimmer“, das Schatzsucher in dem Wrack vermutet hätten, sagt Matthias Schneider.
Fahrt mit Expeditionsschiff
„Während des Tauchgangs selbst konzentriert man sich auf die Sicherheit und das Technische. Erst, wenn wieder der Aufstieg beginnt, beginnt der Kopf wieder zu arbeiten und man realisiert so richtig, welch ein besonderer Ort dies ist.“
Unterwegs sein wird die Gruppe mit dem Tauch- und Expeditionsschiff „Fritz Reuter“, das den Eignern Ulli Restemeyer und Uli Baumhör aus Paderborn gehört. Die Fahrten zu den Wracks sollen jeweils an verschiedenen Tagen stattfinden, da die Fahrzeiten zwischen zwei Stunden zur „Gustloff“ und etwa acht Stunden zur „Goya“ liegen. „Das Schiff ist aber mit Kabinen und Schlafplätzen ausgestattet“, so Matthias Schneider. Zwei der Überlebenden, die die Reisen antreten wollen, wollen mit auf das Schiff, „eine Dame ist schon 100 Jahre alt, für sie will ihr Neffe mitkommen auf See“, sagt Schneider.
Zwei Grad kaltes Wasser
Sollten die Abstiege zu den Wracks genehmigt werden, erwartet die Taucher etwa zwei bis sechs Grad kaltes Wasser. „Das ist jedoch von Vorteil, da es bei solchen Temperaturen weniger Algenbildung und damit eine bessere Sicht gibt“, erläutert Schneider. Auch Wellen und Strömungen könnten die Tauchgänge erschweren, es handele sich aber um keine hochriskanten Tauchgänge, betont er.
Wrack in 85 Meter Tiefe
Da die Wracks bis zu 85 Meter tief liegen, würden die Taucher Helium-Gemisch als Atemgas und so genannte „Re-Breather“-Tauchgeräte verwenden, bei denen die ausgeatmete Luft wieder aufbereitet wird, um die Dekompressionszeiten zu verkürzen. Zwei bis vier Stunden werde die Unterwasserzeit betragen, schätzt Schneider.
Möglicherweise begleite auch ein Fernseh-Team die Fahrt, um eine Dokumentation darüber zu drehen, so der Tauchlehrer – derzeit liefen Gespräche mit zwei TV-Sendern.
Und auch weitere Überlebende oder deren Angehörige könnten an der Fahrt teilnehmen, sagt Matthias Schneider. Anfragen und weitere Informationen dazu gibt es unter Telefon 0521/68112 oder per Mail an: [email protected]
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