Gordana Rammert ist die OB-Kandidatin von Bürgernähe und Piraten
„Grüner als Grüne, sozialer als die SPD“
Bielefeld (WB). Sie versteht ihre Rolle nicht als Ausputzerin, nicht bloß als Aushängeschild, damit noch ein paar Menschen mehr die Bürgernähe und die Piraten am 13. September wählen. Gordana Rammert (33) ist die Oberbürgermeister-Kandidatin der Wählergemeinschaft und der mittlerweile ziemlich geschrumpften Digitalpartei. „Es müssen nicht immer Anzugträger mit Jurastudium auf den Chefsessel im Rathaus”, sagt sie im Interview.
Sie haben schon drei Jobs: an der Uni, als Schülerlotsin und als Testkundin unter anderem bei einem Autokonzern. Soll das Oberbürgermeister-Amt Job Nummer vier werden?
Gordana Rammert: Den als Schülerlotsin würde ich auf alle Fälle gerne behalten wollen. Es ist ein ungemein gutes Gefühl, wenn man morgens 200 Kinder sicher über die Straße gebracht hat. Es muss bei den Spitzenjobs in der Politik tatsächlich nicht immer Kreißsaal-Hörsaal-Plenarsaal heißen. Aus meiner Sicht sollten auch Menschen an der Spitze des Rathauses stehen, die einen etwas anderen Weg hinter sich haben.
Wie verlief Ihrer?
Rammert: Ich habe mich als alleinerziehende Mutter im Jugendamtselternbeirat engagiert, das ist die Vertretung der Kita-Eltern. Die hat auch einen Sitz im Jugendhilfeausschuss des Rates. So kam ich in Kontakt mit der Politik. Dann wurde ich von Bürgernähe und Piraten gefragt, ob ich als sachkundige Bürgerin in den Schulausschuss möchte. Schule war in meiner eigenen Jugend nicht unbedingt meins, aber die Arbeit im Ausschuss hat mir Spaß gemacht. Ich habe gesehen: Man kann in der Politik tatsächlich etwas bewegen. Es ist oft schwer, aber es geht. Deshalb ist die OB-Bewerbung für mich aus auch so etwas wie der konsequente nächste Schritt.
Was würden Sie im Amt anders machen als die bisherigen Oberbürgermeister?
Rammert: Ich will die Bürgerinnen und Bürger viel stärker an den Entscheidungen beteiligen. Das erste, was ich einrichten würde, wäre die Stelle eines Partizipationsbeauftragten. Ihr oder sein Job wäre es, immer zu schauen, wie Bürgerinnen und Bürger in Planungen eingebunden werden könnten. Die Stelle wäre direkt im OB-Büro und über den Fachdezernenten angesiedelt. Sagen, was auf einen Spielplatz gehört, können viel besser die, die ihn nutzen. Das könnte über solche eine Stelle geregelt werden. Ich stelle mir Planungszellen vor, aus denen heraus Projekte, etwa im Wohnungsbau, geboren werden. In anderen Städten gibt es schon Ansätze für einen Bürgerhaushalt. Die Menschen entscheiden mit über den Etat. Das wünsche ich mir auch für Bielefeld.
Dann wäre der Rat ja bald überflüssig.
Rammert: Der Rat bleibt das Beschlussorgan. Aber er beschließt, was mit den Bürgern zusammen erarbeitet wird. Auch Kinder und Jugendliche sollten mehr Mitspracherecht erhalten.
Bürgernähe und Piraten haben ein Programm vorgelegt, das in vielen Belangen mit denen von SPD oder Grünen identisch ist. Warum sollte man ihr Bündnis wählen und nicht die Originale?
Rammert: Ganz einfach: Wir sind grüner als die Grünen und sozialer als die SPD. Als kleiner Partner in der Kooperation mit SPD und Grünen haben wir manches angestoßen, was es sonst in den vergangenen Jahren nicht gegeben hätte. Ohne uns hätte es nach der Kommunalwahl 2014 eine Große Koalition aus SPD und CDU gegeben, und das hätte sechs Jahre Stillstand für Bielefeld bedeutet. Wir stehen auch für neue Ideen wie die Überbauung des Ostwestfalendamms, um das Wohnungsproblem in den Griff zu bekommen.
Eine Zukunftsidee, die nur schwer umzusetzen sein wird.
Rammert: Aber eine Idee, auf deren Grundlage man Dinge mal neu denken kann. Man muss nicht immer neue Flächen verbrauchen. Man kann Vorhandenes besser nutzen. Ein überbauter OWD würde etwa auch das Lärmproblem in diesem Bereich mindern. Gleichzeitig generieren wir dadurch Einnahmen für die Stadt und verhindern die Verdrängung von Familien aus der Stadt.
Bürgernähe und Piraten haben auch den öffentlich-rechtlichen Vertrag zum Radentscheid mitgetragen, der über die nächsten fünf Jahre Kosten von mehr als 100 Millionen verursachen kann. Ist das fair gegenüber einen neu gewählten Rat, dessen Mehrheit vielleicht ganz anderer Ansicht ist?
Rammert: Ich hätte mir einen politischen Antrag gewünscht, in dem die Ziele für einen verbesserten Radverkehr verankert sind. Aber der könnte schnell wieder gekippt werden. Es geht um Verlässlichkeit bei einem Thema, an dem wir nicht vorbei können und wollen. Das Fahrrad ist einer der wichtigsten Mobilitätsträger. Ich wünsche mir auch andere Mobilitätsangebote. Ein 364-Euro-Jahresticket bei Bus und Bahn zum Beispiel. Wohl gemerkt: 364 Euro, weniger als einen Euro pro Tag. Auch das neue Schulwegticket hätte preislich noch attraktiver gestaltet werden müsse.
Aber genau solche Angebote erhöhen das Defizit der Verkehrsbetriebe Mobiel noch weiter. Wer soll’s am Ende bezahlen?
Rammert: Ich bin überzeugt davon, dass attraktive Angebote auch den Umsatz bei Mobiel erhöhen, da sich mehr Menschen für ein Abo entscheiden und das Defizit somit in Grenzen bleibt.
In einem Punkt fällt Ihr Wahlprogramm ein wenig dürftig aus, und das ist der Bereich Wirtschaft.
Rammert: Wir sind für eine ökologisch ausgerichtete Wirtschaft. Uns ist aber auch klar, dass die Wirtschaft Flächen benötigt. Doch es darf nicht so sein wie beim Gewerbegebiet Erdbeerfeld, wo jetzt auf riesigen Flächen Autos der Oberklasse angeboten werden. Das ist Platzverschwendung. Und ich sage auch: Wir können noch so stolz sein auf die Uni und die vielen Akademiker. Wir brauchen auch die Handwerker, die noch einen Wasserhahn reparieren können. Die brauchen auch ihren Platz.
Wenig über Wirtschaft, dafür ein ausführlicher Teil zu Sicherheit und Ordnung. Das überrascht bei Bürgernähe und Piraten.
Rammert: Wir wollen Sicherheit ohne Ausgrenzung. Alle Bielefelderinnen und Bielefelder sollen sich sicher fühlen. Wir müssen etwas tun gegen so genannte Angsträume. Ein Ort wie der Treppenplatz muss städtebaulich attraktiver werden. Damit Sicherheit und Ordnung in allen Bereichen eingehalten werden, muss es eine engere Zusammenarbeit von Ordnungsamt und Polizei geben. Der Sicherheitsbegriff wird von uns aber auch auf das wirklich Wichtige beschränkt: Wir brauchen sicheren Wohnraum, sichere Rad- und Schulwege und sichere Orte. Sich beim Thema Sicherheit nur auf vermeintliche „No Go Areas“ zu beschränken, zeigt den engen Radius anderer Parteien. „No Go Areas sind das Ergebnis verfehlter Suchtpolitik.
Aktuell wird alles von der Corona-Krise überschattet. Wie sieht das Leben nach Corona aus, und welche Aufgabe kommt dabei der Stadt zu?
Rammert: Corona bietet die Chance, das Zusammenleben künftig gerechter zu gestalten. Viele Menschen sind schon oder werden in wirtschaftliche Not kommen, weil sie den Job verlieren, die Wohnung nicht mehr bezahlen können. Deshalb würde es sich lohnen, über ein Grundeinkommen neu zu diskutieren. Es geht auch um mehr Bildungsgerechtigkeit. Home Schooling hat gezeigt, dass mancher gar nicht über einen Laptop oder einen PC verfügt, um digitale Lernangebote zu nutzen. Eine Familie mit drei Kindern im Home Schooling und ein bis zwei Eltern im Home Office hat keine ausreichende Bandbreite und IT-Ausstattung. Da müssen wir nachsteuern.
Zur Person
Gordana Rammert (33) ist alleinerziehende Mutter und wie sie selbst sagt „Multi-Jobberin“. An der Universität Bielefeld steht sie kurz vor dem Bachelor-Abschluss m Fach Soziologie. Sie gehört der Piraten-Partei an. Über den Jugendamts-Elternbeirat, der Vertretung der Bielefelder Kindergarten-Eltern, kam Rammert in die Kommunalpolitik, war bis Anfang 2019 sachkundige Bürgerin im Schulausschuss des Rates. Sie arbeitet mit beim Internet-Blog „Volksverpetzer“, der über Fake News aufklären will und im vergangenen Jahr den Titel „Blogger des Jahres” erhielt.
Alle OB-Bewerberinnen und Bewerber im Interview. Bereits erschienen:
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