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Forscher der Uni Bielefeld arbeiten an der Kommunikation mit Menschen im Wachkoma

»Hirnantworten« der Patienten verstehen

Bielefeld (WB). Mit Menschen im Wachkoma zu kommunizieren, ist kaum möglich. Daraus zu schließen, dass sie ihre Umgebung nicht wahrnehmen, ist aber womöglich falsch. »Nicht alle Wachkoma-Patienten existieren rein vegetativ«, sagt Prof. Dr. Johanna Kißler. Die Psychologin an der Universität Bielefeld möchte die Kontaktaufnahme ermöglichen.

Sabine Schulze

Eine Wachkomapatientin liegt in einem Alten-und Pflegeheim in ihrem Bett. Bielefelder Forscher suchen nach Wegen, mit Menschen im Wachkoma zu kommunizieren. Foto: dpa

»NeuroCommTrainer« heißt das Projekt einer von Kißler geleiteten Forschungsgruppe am Exzellenzcluster Kognitive Interaktionstechnologie (Citec) der Uni. Es wird vom Bundesforschungsministerium mit 1,87 Millionen Euro gefördert und läuft über einen Zeitraum von drei Jahren bis 2020. Mit im Boot sind Partner von drei weiteren Hochschulen, zwei Unternehmen und die von Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel. Dort werden im »Haus Elim« schwersthirngeschädigte Menschen betreut – Menschen, die etwa einen Unfall oder eine starke Gehirnblutung erlitten haben.

Wachkomapatienten reagieren auf ihre Umwelt

Oft wird vermutet, dass sie ohne Bewusstsein für ihre Umgebung sind. »Das ist aber in fast 40 Prozent der Fälle eine Fehldiagnose«, sagt Kißler. Tatsächlich gibt es die Erkenntnis, dass sie Reize verarbeiten – und zwar über »Hirnantworten«. Die Forscher machen sich das zunutze.

So haben sie festgestellt, dass das Gehirn über sinnlose Sätze quasi stolpert: Auf den Satz »Er schmiert sich den Toast mit Socken« erfolgt nach 400 Millisekunden die so genannte N400-Reaktion. »Die Pizza ist zu heiß zum Essen« ruft hingegen bereits nach 300 Millisekunden eine Reaktion hervor, die so genannte P300-Antwort. Diese Abweichung zeige, dass ein Mensch auf die Umwelt reagiert.

Zunächst wurde diese »Hirnantwort« mit Hilfe konventioneller Kappen gemessen, im Rahmen des Projektes, an dem auf Bielefelder Seite etwa auch Prof. Dr. Helge Ritter als Informatiker, Prof. Dr. Thomas Schack als Psychologe und Dr. Thomas Hermann als Neuroinformatiker beteiligt sind, wurden aber weitere Sensoren entwickelt. Sie sind kleiner, dezenter und daher auch weniger störend. Das lässt auch eher Langzeitmessungen zu. Die Sensoren messen zudem die kleinste Temperaturveränderung, schwächste motorische Bewegungen oder auch nur Muskelanspannungen und senden diese Vielfalt an Signalen an einen Computer.

Gehirnströme verklanglichen

Ein Team arbeitet daran, die Gehirnströme zu verklanglichen: Angehörige und Pfleger können dann hören, ob es auffällige Hirnsignale gab. Mit der Messung allein ist es aber nicht getan: Die Wissenschaftler wollen das Gehirn auch stimulieren und senden ihm ihrerseits Signale – etwa durch in die Kleidung eingewebte Impulsgeber. Außerdem wird dem Wachkoma-Patienten vorgelesen, wird mit ihm gesprochen, werden Kinderlachen oder seine Lieblingsmusik vorgespielt. Dazu erfolgt Druck auf den Arm oder die Hand – »also das, was Angehörige ohnehin machen«, sagt Kißler. Denn auch Berührungen würden oft wahrgenommen.

Ziel ist, eine Ja-Nein-Kommunikation zu ermöglichen: Der Patient soll lernen, seine Gehirnaktivität zu steuern und auf Fragen per Gehirn mit Ja und Nein zu antworten. Durch die mehrfache Stimulation, so die Hoffnung der Wissenschaftler, kann er irgendwann vielleicht sogar gezielte Augenbewegungen machen oder einzelne Finger bewegen.

»Wir sind voller Hoffnung«, sagt Johanna Kißler, weiß aber, dass der Weg ein langer ist. Wenn eine Kommunikation möglich werde, sagt sie, sei das für Angehörige und Pfleger sehr wichtig. Patienten könnten mitteilen, dass sie Schmerzen haben oder es ihnen zu warm ist. Und vielleicht haben sie dann die Möglichkeit, sich zu beschäftigen oder gar über ihr Gehirn einen Roboter zu steuern, der dann als ihr physischer Avatar dienen könnte.

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