1. www.westfalen-blatt.de
  2. >
  3. OWL
  4. >
  5. Bielefeld
  6. >
  7. Bielefeld: „Krypto-Queen“ eine Milliardenbetrügerin?

  8. >

Staatsanwaltschaft Bielefeld sucht Dr. Ruja Ignatova (42)

„Krypto-Queen“ eine Milliardenbetrügerin?

Bielefeld

Am 25. Oktober 2017 landete die damals 37 Jahre alte Deutsche Dr. Ruja Ignatova mit einer Ryanair-Maschine in Athen. „Danach verliert sich ihre Spur. Wir wissen nicht einmal, ob sie noch lebt“, sagt Erik Keller von der Bielefelder Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Wirtschaftskriminalität.

Von Christian Althoff

Dr. Ruja Ignatova (hier ein Foto von 2015) verfügte über ein großes Appartement in London und eine Motoryacht. Foto: www.flickr.com/photos/[email protected]/20568654991

Keller heißt in Wirklichkeit anders, möchte aber zum Schutz seiner Familie seinen Namen nicht veröffentlicht sehen. Denn die Frau, nach der er seit Jahren sucht, soll über ein Vermögen von hunderten Millionen Euro verfügen, und sie gilt nicht als besonders emphatisch. Der „Schwarzwälder Bote“ zitiert aus der Schramberger Abiturzeitung ihre Selbstbeschreibung mit folgenden Worten: „Vielleicht machte es mir Freude, einige Mitschüler zu tyrannisieren.“

Zwei Klassen übersprungen

Ruja Ignatova kam mit zehn Jahren aus Bulgarien nach Deutschland. Sie übersprang wegen ihrer Intelligenz zwei Klassen und studierte mit einem Stipendium der Konrad-Adenauer-Stiftung an der Uni Koblenz Jura. Ignatova ist die Erfinderin von „OneCoin“ – einer Kryptowährung, die nur auf dem Papier existiert, an die aber weltweit abertausende von Anleger glaubten. Auch, weil Ignatova in großen Shows, etwa im Londoner Wembley-Stadion, vor tausenden Anlegern für „OneCoin“ warb. „Die Frau wurde von manchen richtig verehrt. Das hatte schon etwas von einer Sekte “, sagt Keller. Das Narrativ sei gewesen: Wer verpasst habe, rechtzeitig in „Bitcoins“ einzusteigen, habe mit „OneCoin“ die Chance, das Versäumte nachzuholen.

„Schaden mehrere Milliarden“

Die Geschichte verfing, und das Geld strömte nur so in Richtung Ignatova. Selbst ein sogernannter „Double-Day“, an dem Anlegern mitgeteilt wurde, die Zahl ihrer „OneCoins“ werde bei gleichem Kurswert verdoppelt, scheint niemanden skeptisch gemacht zu haben. Immer mehr Anleger kauften „OneCoins“. Keller: „In der Regel für Beträge um 5000 Euro. Und die summierten sich auf ungezählte Millionen.“ Das Bundeskriminalamt geht heute von einem Schaden von „mehrere Milliarden US-Dollar“ aus.

Deutschland gehörte zu den ersten Ländern, in denen offizielle Stellen genauer hinsahen. Ende 2015 meldete die Kreissparkasse Steinfurt einen Geldwäscheverdacht. Sie hatte festgestellt, dass auf einem Konto innerhalb kurzer Zeit mehr als 700 Beträge von insgesamt 2,5 Millionen Euro eingegangen waren. Deutsche Bank und Commerzbank folgten.

Ehepaar steht vor Gericht

Ins Zentrum der Ermittlungen geriet ein Ehepaar aus Greven. Oberstaatsanwalt Gerald Rübsam, Sprecher der Bielefelder Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Wirtschaftskriminalität: „Das Ehepaar betrieb die IMS International Marketing Services GmbH und war nach unseren Ermittlungen dafür zuständig, Einnahmen von OneCoin-Anlegern ins Ausland zu transferieren.“ Allein zwischen Dezember 2015 und September 2016 seien 360 Millionen Euro geflossen. Das Ehepaar steht seit letztem Jahr in Münster vor Gericht, doch droht der Prozess gerade zu platzen: Eine Schöffin ist längerfristig erkrankt, das Verfahren muss möglicherweise von vorne beginnen.

Verräterische E-Mail

Staatsanwalt Keller: „Nach der Geldwäscheanzeige 2015 war unklar, ob überhaupt eine Straftat vorliegt. Es gab zwar Hinweise, wie die Tatsache, dass der Kurs des OneCoins immer nur nach oben ging – ohne jeden Rückschlag. Aber ein richtiges Packende hatten wir nicht.“ Das bekamen die Ermittler erst 2019, als US-Behörden den Bielefelder Staatsanwälten E-Mails zeigten, die Ruja Ignatova und ihr Stellvertreter Sebastian Greenwood ausgetauscht hatten. In einer heißt es: „We‘re not really mining but telling the people shit“ – „Wir schürfen keine Coins, sondern erzählen den Leuten Mist.“ Keller: „Das war der Beweis für den Betrug.“

Hier in Sofia durchsuchte die Staatsanwaltschaft Bielefeld den Firmensitz. Foto: IMAGO

Später fanden die Ermittler heraus, dass es keinen Markt mit Angebot und Nachfrage gab, der den Kurs des „OneCoins“ bestimmt hätte, sondern dass alleine Ruja Ignatova festlegte, wie der auf der Internetseite veröffentlichte Kurs zu lauten habe. Staatsanwalt Keller: „Das Unternehmen mit Sitz in Sofia besaß nach unserer Einschätzung auch nicht die Rechnerkapazitäten, um eine Kryptowährung herzustellen.“ Bei einer Durchsuchung in Sofia habe man Computer im Wert von allenfalls ein paar tausend Euro gefunden. „Dabei sprach das Unternehmen in Werbevideos von fußballfeldgroßen Computeranlagen“, sagt Oberstaatsanwalt Gerald Rübsam.

Anleger hofften auf den Tag X

Obwohl im Gegensatz zu „Bitcoins“ mit „OneCoins“ nicht gehandelt werden konnte und die Kryptowährung auch nicht als Zahlungsmittel akzeptiert wurde, nahm die Zahl der Anleger weiter zu – animiert von Ruja Ignatova und zahlreichen herausragend bezahlten Vertriebsmanagern. Gerald Rübsam: „Die Anleger glaubten, dass ihr Tag kommen werde und es irgendwann eine große Nachfragen geben werde.“ So gut wie niemand schien Verdacht zu schöpfen, und aus dem Kreis der deutschen Anleger sei bisher auch nur eine Handvoll Anzeigen eingegangen, sagt Staatsanwalt Keller.

Anklage in den USA fertig

Das Landeskriminalamt in Düsseldorf hat schon vor längerer Zeit Zielfahnder auf Dr. Ignatova angesetzt – ohne Erfolg. Seit zwei Wochen läuft nun eine Öffentlichkeitsfahndung mit Fotos der Gesuchten. „72 Hinweise sind seitdem beim LKA eingegangen, aber es war niemand dabei, der die Frau letzte Woche noch gesehen hat“, sagt Staatsanwalt Keller. Nach der 42-Jährigen wird weltweit gefahndet, und in den USA existiert bereits eine fertige Anklageschrift. Sie ist überschrieben mit: „Die Vereinigten Staaten von Amerika gegen Ruja Ignatova, bekannt als Kryptoqueen“.

Startseite
ANZEIGE