NABU hat am Wochenende zur „Stunde der Wintervögel“ aufgerufen
Meise, Amsel und Fink im Blick
Bielefeld (WB). Das Fernglas liegt in Griffnähe, der Stuhl an der Terrassentür steht so, dass alle drei Futterstellen im Blick sind, das Formular zum Eintragen der Vogelsichtungen liegt parat: Eine Stunde lang wird Martina Schulze nun in ihrem Garten Meisen, Drosseln, Buntspechte oder Spatzen zählen.
Genau 524 Bielefelder haben sich im vergangenen Januar bei der neunten „Stunde der Wintervögel“ im eigenen Garten, auf dem Balkon oder auch im Park auf die Lauer gelegt. In diesem Jahr war auch Martina Schulze dabei. Die 64-jährige Lehrerin ist einem Aufruf des Naturschutzbundes Deutschland (NABU) gefolgt. Der hatte zum zehnten Mal die Bürger dazu aufgefordert, zwischen Freitag und Sonntag die heimische Vogelwelt zu zählen. Eine Stunde lang sollten die Naturfreunde mit scharfem Auge oder Fernglas in ein Formular des NABU eintragen, wie viele und welche Vögel sich vor ihrer Nase tummeln.
Eine eigene App des Naturschutzbundes konnte bei der Bestimmung helfen. Darauf allerdings war Martina Schulze nicht angewiesen: Sie kann nicht nur einen Zeisig leicht von einem Spatz unterscheiden, sondern auch Weidenmeise, Schwarzmeise, Kohl- und Blaumeise erkennen. Nicht umsonst füttert sie seit vielen Jahren die gefiederten Freunde. Und seit sie vor einem Jahr nach Kirchdornberg gezogen ist, hat sie als Futtergäste regelmäßig auch ein Buntspechtpärchen, Schwanzmeisen oder einen Kleiber. „Ich beobachte die Vögel häufig“, erzählt sie. Ein Fernglas liegt für den genaueren Blick griffbereit, und natürlich hat sie für den Fall der Fälle auch Bestimmungsbücher.
Umlagert sind ihre Futterstellen vor allem am frühen Morgen, „dann haben die Vögel nach der Nacht richtig Hunger und brauchen Energie“. Und wenn sie am Vorabend das kleine Vogelhäuschen an der Terrasse nicht neu befüllt hat, schimpfen morgens die Amseln, bis sie das nachgeholt hat.
Auch Dr. Jürgen Albrecht, Vorsitzender des NABU Bielefeld, hat sich an der Stunde der Wintervögel beteiligt und in seinem Garten Bergfink, Specht und Meisen gezählt. „Dabei gilt die Spielregel: Wie viele Vögel einer Art kann ich gleichzeitig sehen?“, erklärt er. Nur so kann vermieden werden, dass ein und derselbe Piepmatz immer wieder erfasst wird. Zugeben: Das verlangt ein scharfes Auge. „Und unter Umständen muss man eine halbe Stunde genau aufpassen, um drei, vier oder zehn Amseln zugleich zu sehen.“ Einfacher ist das schon bei den Spatzen: Die treten gerne im Schwarm auf.
Die Meisen, Rotkehlchen, Zeisige und Drosseln, die wir jetzt in den Gärten beobachten, sind im Übrigen nicht unbedingt die, die sich im Sommer im Gebüsch und den Baumwipfeln tummeln: Es könnten Zuzügler aus Skandinavien oder dem Osten sein, die hier überwintern, während „unsere“ Vögel sich für einige Monate in den Mittelmeerraum verzogen haben.
Albrecht rechnet allerdings damit, dass die Zahl der Wintervögel in diesem Jahr etwas niedriger ist: „Da wir bislang einen milden Winter haben, fehlen einige der Wintergäste, die sonst aus dem Osten oder Norden zu uns kommen.“ Ein Phänomen, das es bereits vor einigen Jahren gab, das aber vielleicht ein wenig dadurch kompensiert wird, dass andere „Kurzzieher“ ihrerseits hier geblieben sind. Aber es könnte ein zweiter Effekt hinzukommen: „Bei der Stunde der Wintervögel handelt es sich primär um eine Gartenzählung. Und so lange die Tiere noch in Feld und Flur genug Nahrung finden, drücken sie nicht in die Gärten.“ Immerhin erwartet er, dass sich beim Grünfinken der Negativ-Trend fortsetzt: „Da beobachten wir seit Jahren einen Verlust.“ Schuld dürfte aber eine Krankheit, verursacht durch Trichonomaden, sein.
Bei der „Stunde der Gartenvögel“ zur Brutzeit seien hingegen mehrere Arten auffällig, erklärt der Vogelkundler: „Mehlschwalbe, Mauersegler und Amsel sind deutlich rückläufig, und auch bei Hausrotschwanz und Zaunkönig sinkt die Zahl.“ Im Aufwind seien hingegen Haus- und Feldsperling, Ringeltaube, Spechte und Eichelhäher. Die Mai-Zählung ist auch durchaus aussagekräftiger: „Dann sind die Tiere hier, die bei uns ihre festen Reviere haben.“
Dennoch, betont Albrecht, habe auch die Winterzählung ihren Sinn. „Zum einen soll die Aktion Reklame machen für die Beobachtung von Vögeln und ihren Schutz. Und wer Tiere mag hat seinen Spaß daran.“ Zum anderen aber komme ein interessanter Datensatz zusammen: Dadurch, dass viele Laien zählen, habe man eine Breitenverteilung, die nicht zu erreichen sei, wenn nur Wissenschaftler auf der Lauer liegen – selbst wenn vermutlich nicht jede Bestimmung korrekt sei. „Aber die Masse macht’s.“
11.707 Vögel sind in Bielefeld im vergangenen Jahr vom 4. bis 6. Januar gezählt worden. Am häufigsten wurde die Kohlmeise gesichtet (1631 Exemplare), gefolgt von der Blaumeise (1313 Tiere) und den Amseln (1256 Vögel, acht Prozent weniger als noch 2018).
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