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Auch an der Universität Bielefeld wird nach Mutationen des Corona-Virus gesucht

„Müssen schnell und breit impfen“

Bielefeld

Etwa 400 Coronaproben hat Prof. Dr. Jörn Kalinowski bereits sequenziert, also ihr Genom genauer untersucht. Dabei ist er in drei Fällen auf die englische Coronavirus-Variante gestoßen, die offiziell als „bedenkliche Mutation“ eingestuft wird. Dennoch beruhigt der Biologe: „Die Antwort auf die Frage, ob die Impfstoffe von Biontech und Moderna noch wirken, ist ein klares Ja.“

Sabine Schulze

Auch an der Uni Bielefeld wird nach Mutationen des Corona-Virus gesucht. Foto: dpa

Kalinowski leitet die Arbeitsgruppe „Mikrobielle Genomik und Biotechnologie“ am Centrum für Biotechnologie der Universität Bielefeld. Seit Monaten sequenziert er Proben von Corona-Abstrichen, die er vom Evangelischen Klinikum Bethel (EvKB), dem Klinikum Bielefeld, dem Bielefelder Analyse-Labor Diamedis sowie einem Dortmunder Labor erhält. Darunter befanden sich auch Abstrichproben der letzten Passagiermaschine, die am 20. Dezember vor der Einstellung des Flugverkehrs aus London-Stan­sted in Dortmund landete. „Damals hatte das Gesundheitsamt bereits angeordnet, dass von allen 100 Passagieren Abstriche zu entnehmen seien. Sieben waren positiv, drei davon zeigten die Variante, die als B.1.1.7. benannt ist.“

Diese Mutation ist, wie Experten schätzen, um 50 Prozent infektiöser als das „normale“ Sars-Cov2. „Vermutlich, weil es Mutationen im Spike-Protein hat, also in dem Stachel-Protein, das quasi die Landefüße des Virus bildet, mit denen es an die Wirtszellen andockt. Vielleicht bindet es fester oder kann an mehr Zellen andocken“, sagt Kalinowski. Denn nicht jede Körperzelle kann vom Virus befallen werden: Voraussetzung ist, dass sie einen Rezeptor, einen Empfänger, hat.

Nun hat Kalinowski bei seinen Untersuchungen schon viele kleine Mutationen gefunden, die keinen großen Unterschied machen, die allerdings erlauben festzustellen, welche Mutante sich wo verbreitet hat. Die „englische“ Variante aber zeigt eine ganze Reihe von Mutationen, die es sonst nicht gibt. „Die Hypothese ist deshalb, dass ein Mensch mit einem schwachen Immunsystem das Virus lange Zeit in sich trug und es in der Zeit mehrfach sein Genom mutierte.“ Unbemerkt könnte sich die Mutante dann verbreitet haben in einer Bevölkerungsgruppe, die nicht getestet wurde, weil sie unauffällig war – etwa unter jungen Menschen.

Dass Mutationen in Lebewesen erfolgen, ist normal. Sie erfolgen zufällig, spontan und richtungslos. Und so kann es auch in Coronaviren zu Genveränderungen kommen, die für das Virus negativ sind – wovon der Mensch nichts merkt, wenn es etwa schwächer wurde – oder eben positiv: weil eine Infektion beispielsweise leichter ist. Diese Mutante wird sich womöglich durchsetzen. „In Südafrika beispielsweise, wo auch eine auffällige Variante aufgetreten ist, entfallen in bestimmten Provinzen 90 Prozent der Proben auf diese Variante.“

Und ganz klar sei, erklärt Kalinowski, dass es bei vielen Infizierten viele Mutationen gibt. Insofern ist es für ihn nicht überraschend, dass sich in England mit den vielen positiven Fällen eine auffällige Variante gebildet hat.

Das ist allerdings, was den Impfstoff betrifft, noch kein Grund zur Sorge: „Die Wissenschaftler bei Pfizer haben Tests durchgeführt: Der Biontech-Impfstoff wirkt gegen die englische und die südafrikanische Variante.“ Denn er sorgt dafür, dass das Immunsystem das komplette Spike-Protein erkennt und Antikörper bildet. „Und bei den Mutanten sind nur wenige Bausteine verändert und Tausende unverändert.“

Das große Aber folgt gleichwohl, denn die Impfung gegen das Coronavirus kann zu einem „Selektionsdruck“ führen, wie man ihn von Antibiotikaresistenzen kennt: Im einen Fall passen sich die Bakterien an und entwickeln Widerstandskräfte und Unempfindlichkeiten gegen Antibiotika, im anderen könnte es ebenfalls „Escape-Mutanten“ geben, bei denen die Impfung nicht mehr wirkt und die, wenn ihre „Konkurrenz“ eliminiert ist, sich munter verbreiten. Die Konsequenz daraus: „Wir müssen schnell und breit impfen“, sagt Kalinowski. Denn je weniger Menschen sich infizieren, weil sie aus dem Spiel genommen wurden, desto weniger Varianten wird es geben. Langfristig, vermuten die Fachleute, werde es eine Koexistenz mit dem Virus geben. „Dazu liegen bereits hoffnungsvolle Berichte vor.“ Schließlich gibt es schon lange Coronaviren, die den Menschen immer wieder Erkältungen bescheren. „Die Älteren haben dann schon einen gewissen Schutz entwickelt.“ Und die Jüngeren stecken die Erkrankung leichter weg.

Den Coronavirus-Mutationen in Bielefeld wird Kalinowski mit seinem Team auf jeden Fall auf der Spur bleiben. Dabei will er sich in Kooperation mit dem EvKB besonders auf Bethel als „Kleinstadt“ mit vulnerablen Menschen und vielen Pflegekräften konzentrieren und zum Vergleich Proben des Klinikums heranziehen. Einen entsprechenden Forschungsantrag an die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat er bereits geschrieben und auch mit dem Sammeln von Proben begonnen.

Parallel interessiert er sich aber auch für geografische Varianten und ihre Signatur. Hier sollen Proben des Flughafens Dortmund, die nach der Urlaubszeit entnommen wurden, auf die Spur helfen.

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