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Auch im Bielefelder Stadtentwicklungsausschuss ist keine Mehrheit für Senner Supermarkt-Projekt absehbar

Rot-Grün-Rot will mehr Wohnungen

Bielefeld (WB)

Ein komplett neues Nahversorgungszentrum mit einem Rewe-Markt, einem Bäcker und einer Sparkasse soll im Zentrum Sennes entstehen – doch das Projekt droht auf dem letzten Meter zu scheitern. Im Stadtentwicklungsausschuss, der nächsten Dienstag tagt, stehen die Zeichen auf Ablehnung.

Peter Bollig

Der Investor hat an der Windelsbleicher Straße schon mit dem Gebäudeabriss begonnen. Für den Neubau dort gibt es bereits eine Baugenehmigung, für den im hinteren Bereich des Areals geplanten Rewe braucht es aber den Bebauungsplan. Foto: Peter Bollig

Eigentlich setzt ein Satzungsbeschluss den Schlusspunkt in einem Bebauungsplanverfahren. Es kann gebaut werden. Doch nachdem dieser Beschluss in der Bezirksvertretung Senne für das geplante Nahversorgungszentrum im Bereich Windelsbleicher und Friedrichsdorfer Straße an einem Patt gescheitert war, zeichnet sich jetzt auch im Stadtentwicklungsausschuss des Rates Ablehnung, mindestens aber weiterer Beratungsbedarf ab.

„Wird der Punkt nicht von der Tagesordnung abgesetzt, werden wir Nein stimmen“, sagt Sven Frischemeier, Stadtentwicklungspolitischer Sprecher der SPD. Und auch Jens Julkowski-Keppler (Grüne) macht deutlich, dass er eine Diskussion darüber wünscht, was in dem Areal besser gemacht werden könnte. Am besten noch einmal in der Bezirksvertretung. Sollte das nicht möglich sein, kündigte auch er ein grünes Nein an. SPD und Grüne wollen, dass der Bau eines neuen Rewe-Marktes mindestens mit zusätzlichem Wohnungsbau kombiniert wird, stellen infrage, ob es den zusätzlichen Nahversorger überhaupt geben muss.

Rechtliche Bedenken

Simon Lange, Sprecher der CDU im Stadtentwicklungsausschuss, kann das nicht nachvollziehen. „Das ist eine Rolle rückwärts in einem langen Planungsprozess“, meint er. Auch Sennes Bezirksbürgermeister Gerhard Haupt stellt in einem Schreiben an den Ausschuss klar, dass er strittige Fragen für ausdiskutiert hält: Das Lärmgutachten schließe eine Wohnbebauung zur Straße hin aus, eine zusätzlichen Etage mit Wohnungen auf dem geplanten Rewe würde die umliegenden Wohnhäuser beschatten, so die Erkenntnis des Beirates für Stadtgestaltung. Eine Rückverweisung an die Bezirksvertretung hält Lange für rechtlich problematisch.

Karin Schrader (SPD), selbst in Senne zu Hause und ebenfalls Mitglied im Stadtentwicklungsausschuss, betont, dass die SPD im Ausschuss stets eine kritische Haltung zu der Planung gehabt habe, sich dort etwa im Oktober 2019 der Stimme enthalten hatte. „In derselben Sitzung hatten wir Leitlinien zum großflächigen Einzelhandel beschlossen, die genau dem entgegenliefen, was in Senne geplant war.“

Schrader setzt auf nochmalige Gespräche mit dem Investor, betont, dass der ebenfalls geplante Neubau der Sparkasse und eines Optiker-Geschäftes möglich blieben.

Verstoß gegen Gepflogenheiten

Dass Grüne, SPD und Linke – eigentlich die Minderheit im Gremium – die Abwesenheit von CDU-Mandatsträgern nutzten, um das Projekt in der Bezirksvertretung zu kippen, ist aus Sicht von CDU und FDP in Senne ein Verstoß gegen demokratische Gepflogenheiten. Denn der Ältestenrat aus Vertretern der Ratsfraktionen und OB Pit Clausen hatte sich in Coronazeiten aufs so genannte Pairing verständigt: Wenn in einem politischen Lager Mandatsträger fehlen, verzichten Vertreter das anderen Lagers im gleichen Umfang auf die Stimmabgabe, damit die Mehrheitsverhältnisse gewahrt bleiben. Nur die Grünen lehnten das ab.

Matthias Kricke, Büro des Rates

In einer Stellungnahme erklärten Grüne, Linke und SPD aus der Senner Bezirksvertretung jetzt: „In Senne gab es weder in der vergangenen noch in der jetzigen Bezirksvertretung eine Pairing-Vereinbarung.“

Aber gilt die Vereinbarung des Ältestenrates nicht auch für die Bezirksvertretungen? Matthias Kricke, Abteilungsleiter im Büro des Rates: Die Verständigung des Ältestenrates beziehe nur den Rat und seine Ausschüsse ein, nicht die Bezirksvertretungen. Pairing sei ohnehin nur eine Empfehlung, ein „Gentlemen‘s Agreement“. Das Ministerium für Kommunales hat das Pairing allerdings als Vorgehensweisen im weiteren Verlauf der Coronavirus-Epidemie im Herbst ebenfalls empfohlen.

SPD, Grüne und Linke werfen der CDU vor, „vom eigenen Unvermögen, die Bezirksvertretungssitze mit eigenen Mandatsträgern zu besetzen“, ablenken zu wollen. Die CDU habe es außerdem versäumt, vor der Sitzung auf die Opposition zuzugehen und über das Fernbleiben zweier Vertreter zu informieren.

Kommentar von Peter Bollig

Für die Opposition in Senne war das Fehlen zweier CDU-Leute eine Steilvorlage, die vor allem die gremien-unerfahrenen neuen Bezirksvertreter von Grünen und SPD nicht auslassen wollten. Formell haben sie nichts falsch gemacht. Die Empfehlungen zum Pairing aus dem Rathaus und vom Land zu ignorieren, ist zumindest aber ein schlechter Stil. Erst recht, einer Fraktion in Pandemiezeiten ein Unvermögen vorzuwerfen, ihre Sitze vollständig besetzen zu können.

Sich schon zu Beginn der Wahlperiode so zu verhalten, ist eine schwere Hypothek für die kommenden Jahre und könnte auch in Gremien Schule machen, in denen Rot-Grün-Rot selbst die Mehrheit hat und bei Ausfällen vom Pairing profitieren würde. Als Opposition dürften Grüne, SPD und Linke in Senne selbst für gute Ideen jetzt kaum mehr die Zustimmung der Mehrheit finden – Ideen zu einer Wohnbebauung auf dem Rewe-Areal eingeschlossen.

Unabhängig davon könnte eine endgültige Ablehnung des Bebauungsplans Schaden anrichten: Im Vertrauen auf den Satzungsbeschluss – auch der Stadtentwicklungsausschuss hatte das Projekt zuletzt befürwortet – durfte der Investor mit den Arbeiten auf dem Areal anfangen. Sollte der jetzt abspringen, bliebe eine Brache zurück, könnten auch Rewe, Sparkasse, Optiker, Musikschule, Bäckerei und im Umfeld auch Rossmann ihre Pläne begraben.

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