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Nach Abschluss der Umbauarbeiten an der Voltmannstraße in Bielefeld

Stadt zäunt 95-jährige Frau ein

Bielefeld

Mehr als 90 Jahre lang konnten die Bewohner des Einfamilienhauses Nummer 179 über einen schmalen Weg von ihrer Haustür durch den Vorgarten direkt bis zur Voltmannstraße laufen.

Markus Poch

Johanna Pohlmann steht vor dem Metallzaun, der ihr nun den Weg zur Voltmannstraße versperrt. Entfernt hat die Stadt den Weg und auch die Pflanzen. Foto: Markus Poch

41 Jahre gehört das Haus nun schon Johanna Pohlmann und ihrer Tochter. Auch sie haben die kaum acht Meter lange Zuwegung seit 1979 schon hunderte Male benutzt; oft mehrmals täglich. Damit ist jetzt Schluss: Vor ein paar Tagen ließ die Stadt Bielefeld den Pohlmanns einen Metallzaun quer übers Grundstück ziehen, so dass sie dort nicht mehr bis zur Straße kommen – ein groteskes Bild.

Auch die Pflastersteine des Weges, der vorherige Zaun sowie alle Blumen, Sträucher und Bäume, die die beiden Frauen seit vier Jahrzehnten gepflegt hatten, wurden entfernt. An ihrer Stelle sollen künftig ausschließlich Gras wachsen und ein einzelner Baum, der genau mittig steht. Der ehemalige Vorgarten heißt jetzt „Straßenbegleitgrün“. „Vielleicht hat mich der ganze Ärger mit der Stadt so alt werden lassen“, sagt Johanna Pohlmann in einem Anflug von Galgenhumor. Die gebürtige Schlesierin ist im November 95 Jahre alt geworden, geistig voll auf der Höhe, aber nervlich gerade ziemlich angespannt.

Die lange Sanierungsphase der Voltmannstraße, die vielen Lastwagen, der Lärm, die Erschütterungen und zuletzt die Sache mit dem „Gefängniszaun“ hätten sie arg strapaziert. „Es ist erschreckend, welche Macht die Leute haben, die da irgendwo im Amt hocken“, erzählt die verwitwete Hausfrau. „Die können einen Menschen umbringen mit ihrer Macht – und werden noch nicht mal zur Rechenschaft gezogen.“

Es ist nicht so, dass die Pohlmanns durch den Zaun plötzlich von der Außenwelt abgeschnitten wären. Es fühlt sich für sie nur so an. Nach wie vor können sie am öffentlichen Leben teilnehmen, müssen dazu allerdings über den Hinterhof laufen, den kleinen Patt um die Garagen herum auf die Stichstraße neben dem Haus und von da wieder vor zur Voltmannstraße. Für eine Frau von 95 Jahren, die ein Krebsleiden und eine schwere Herzoperation überstanden hat, die nicht mehr sicher auf den Beinen steht, ist das ein zusätzlicher Kraftakt, ob nun an der Krücke oder mit dem Rollator. Auch die Mülltonne schiebt sich jetzt nicht mehr von alleine an die Straße, und der Notarzt braucht entsprechend länger.

Zuletzt hatte Johanna Pohlmann 14 Tage lang flach gelegen. „Zum Arzt, zum Friseur, zum Bäcker oder auch nur die Zeitung holen – ich war sonst fast jeden Tag draußen unterwegs“, sagt sie. „Aber so lange wir keinen Zugang mehr haben, gehe ich nicht mehr aus dem Haus. Ich sitze auch nicht mehr vorne im Wohnzimmer und gucke auf die Straße. Das belastet mich zu sehr. Ich habe mir mein Plätzchen in der Küche eingerichtet und gucke lieber nach hinten raus zu den Vögeln. Das ist nun mein Lebensabend.“

Aus Sicht der Stadt Bielefeld stellt sich die Sache so dar: Nach Auskunft des Immobilienmanagers Frank Spengemann haben die Pohlmanns den 116 Quadratmeter großen Vorgarten, eine frühere Ausbaureserve für die Voltmannstraße, 1979 bis auf weiteres unentgeltlich zur Pflege überlassen bekommen. 2017, als sich der Straßenausbau abzeichnete, kündigte die Stadt den Pachtvertrag. Die Pohlmanns durften den Weg aber weiter benutzen. 2020, als feststand, dass die Ausbaureserve nicht benötigt werden würde, bekamen die Frauen das Grundstück zum Kauf angeboten.

Mutter und Tochter zeigten sich durchaus interessiert, wollten aber zunächst abwarten, welche Anliegerkosten nach dem Straßenausbau zu erwarten sind. Danach wollten sie entscheiden, ob sie sich den Kauf noch leisten können. Die Stadt wertete diese schriftliche Auskunft als Absage und gab intern die Anweisung, den Vorgarten entsprechend abzuteilen, aufzulösen und in Straßenbegleitgrün umzuwandeln.

„Die Stadt hat einer uralten Frau einen Zaun vor die Haustür gebaut? Das ist ja der Brüller. Das geht ja gar nicht“, sagte Frank Gehring auf Anfrage des WESTFALEN-BLATTES. Gehring ist Grundstücksbeauftragter beim Amt für Verkehr und einigermaßen sicher, dass in der Planung „etwas schief gelaufen“ sein muss. Er wolle sich dafür einsetzen, dass der Haussegen bei den Pohlmanns bald wieder gerade hängt.

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