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Monica Bonvicini in der Kunsthalle Bielefeld – erste Ausstellung von Végh

Teppichmosaik mit Hosen

Bielefeld (WB). Auf der letzten Stufe vor dem ersten Obergeschoss der Kunsthalle heißt es mahnend: „Bitte die Kunstwerke nicht berühren.“ Mit dem nächsten Schritt allerdings tritt man fast unvermeidlich die Kunst mit Füßen: Eine Komposition aus 80 Teppichen von Monica Bonvicini bedeckt fast den gesamten Boden.

Sabine Schulze

Monica Bonvicini, vielfach ausgezeichnete Künstlerin, hat einen Großteil der Arbeiten eigens für die Kunsthalle Bielefeld geschaffen. „Never Tire“ (was die Aufforderung meint, niemals aufzugeben) ist eine Wandinstallation von Plakaten, die mit Zitaten spielt. Ein Katalog zur Ausstellung erscheint im Dezember. Foto: Thomas F. Starke

„Lover’s Material“ heißt die erste große Bielefelder Einzelausstellung von Kunsthallendirektorin Christina Végh, sie widmet sich Bonvicini, einer gebürtigen Venezianerin mit Wohnsitz in Berlin. Der Titel entstammt einer Biographie über Philip Johnson, den Architekten der Kunsthalle. Ohnehin bezieht sich die Künstlerin vielfach auf das Gebäude: Viele der ausgestellten Arbeiten hat sie eigens dafür geschaffen, sie sind in die Räume eingepasst oder Ausein­andersetzungen mit Architektur. Denn die, erläutert Végh, sei für Bonvicini gebaute, physische Realität und Ausdruck einer Gesellschaft.

Mit dem Teppichmosaik etwa holt die Italienerin Privates in die strenge Museumsarchitektur: Aufgedruckt auf das Gewebe sind Fotografien, die sie in den vergangenen anderthalb Jahren gemacht hat. Das Motiv: Hosen, die vermeintlich achtlos auf den Boden geworfen sind, auf Parkett, einem orientalischen Teppich, auf Fliesen oder einem Zebrafell liegen. Ob Adidas-Sporthose, helle Chino oder Jeans: „Das sind alles meine Hosen, die ich Zuhause oder in Hotelzimmern in Mailand, Berlin oder Zürich fotografiert habe“, erzählt Monica Bonvicini.

Seitenhieb auf ein Zitat von Donald Trump

Diese Geste des Fallenlassens von Hosen, findet Végh, sei etwas Männliches und solle markieren. Damit ist Végh bei einem zweiten Thema Bonvicinis: der Frage nach Kräfteverhältnissen. Die drängt sich auch auf bei den Worten, mit denen Philip Johnson seinen Partner Jon Stroup charakterisierte: „Angenehm passiv“ sei er. Und offenkundig schätzte Johnson die „materielle Großzügigkeit“ des Liebhabers. „Das klingt maximal unromantisch“, findet Végh. Auch andere Zitate hat Bonvicini für ihre Wandinstallation „Never Tire“ verwandt, sie verdreht, verkürzt und in leuchtenden Farben vor Hintergründen in Grautönen oder Rosa-Weiß plakatiert.

Augenzwinkernd ist ihr Seitenhieb auf ein Zitat von Donald Trump, wonach er jeder Frau unter den Rock greifen könne: Mehrfach ragen goldene Hände aus der Wand, weder bettelnd noch helfend, sondern eher zupackend. Ihr Titel „Grap them by the balls“ meint: „Packt sie (die Männer) da, wo es wehtut.“

Skulptural sind Hände, die nach Gipsabdrücken von Bonvicinis eigenen Händen aus geblasenem Muranoglas entstanden, die etwa an eine Performance der Künstlerin erinnern: Fünf Frauen haben nach ihren Vorgaben mit Gürteln Musik gemacht. Skulptural ist aber auch die Kugel, die aus 300 Uhren geformt ist. Alle gehen, alle sind auf eine andere Zeit eingestellt, und jede piept ab und an.

Gerade die großflächigen Installationen oder auch die fast grelle „Jalousie“ aus Neonröhren sind auch von außen zu sehen. Deswegen wünscht sich Végh, dass Besucher die Kunsthalle umrunden, um diese Außenwirkung zu erleben und Einblicke zu bekommen.

Anspielungen auf ikonografische Kunstwerke

„Bespielt“ wird auch das zweite Obergeschoss: „Raum Zeit Architektur Gender“ lautet hier das Motto, geboten wird ein Blick in die Sammlung – der erste, dem weitere folgen sollen. Bonvicini hat auch hierfür Beiträge geleistet, sie treten thematisch in Beziehung etwa zu Werken von Albers, Kandinsky, Fontana, Man Ray oder Agnes Martin.

Im Foyer der Kunsthalle wiederum wird Rodins Skulptur „Der Denker“ vor dem Museum ein großformatiges Foto des Kanadiers Jeff Wall gegenüber gestellt. Auch dies zeigt einen Denker – und spielt zugleich auf weitere ikonografische Kunstwerke (von Monet und Dürer) an.

Das Untergeschoss ist Jeremy Deller gewidmet. „Wir haben die Schnauze voll“ zitiert „Fridays for Future“. Beeindruckend ist ein 14-minütiger Film, den der britische Konzeptkünstler mit Bonner Schulkindern und dem Beethoven Orchester Bonn entwickelte.

Lovers Material (und mehr) wird an diesem Freitag, 15 bis 21 Uhr, eröffnet. Die Ausstellung ist bis zum 17. Januar zu sehen.

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