Veranstaltung in der Universität Bielefeld will mit Tabus brechen
Was heißt »psychisch krank?«
Bielefeld (WB). Jeder hat schon einmal von psychischen Erkrankungen gehört, und die meisten Menschen können auch mindestens eine benennen: die Depression. Was sich aber hinter den gefürchteten und stark stigmatisierten Diagnosen befindet, nämlich ein Mensch, das geht oft verloren.
Über psychische Erkrankungen spricht man nicht. Das gibt es nicht, das darf es nicht geben. Und die Menschen, die so etwas haben, sind sowieso zu nichts zu gebrauchen. Das sind gängige Stigmata, die um die verschiedenen Erkrankungen kreisen. Nun hat es sich die Projektgruppe »LiLi Goes Mental« – »LiLi« als Abkürzung für die Fakultät der Linguistik- und Literaturwissenschaften der Universität Bielefeld – zur Aufgabe gemacht, ebendiese Stigmata zu entkräften und das Thema »Mental Heath« (Englisch für Psychische Gesundheit) mit einer offenen Diskussionsveranstaltung an die Öffentlichkeit gebracht.
Gute und schlechte Tage
Für die Veranstaltung im gut besuchten Hörsaal hatte die Gruppe fünf Betroffene mit verschiedenen psychischen Störungsbildern und Belastungen gewinnen können, ihre Erfahrungen zu schildern, lebensnah und sehr persönlich von sich und ihrem Unialltag zu berichten. Den Anfang machte eine junge Frau, die eine Magersucht bewältigt hatte. Wobei sie das Wort »Magersucht«, wie sie erklärte, sehr kritisch sehe, da es die Vielschichtigkeit der Krankheit nicht widerspiegeln könne. Sie bevorzuge »Anorexie«.
Ihre weiteren »Baustellen« waren eine Angst- und eine Zwangsstörung, die es ihr teilweise unmöglich gemacht hätten, das Universitätsgebäude auch nur zu betreten und eine Vorlesung zu besuchen, da sie unter starken Panikattacken litt. Die Studentin erzählte aber auch, wie sie Stück für Stück immer mehr gelernt hat, mit den Einschränkungen durch die Erkrankungen umzugehen und wie sie letztlich die Essstörung zu einem großen Teil heilen konnte und jetzt »nur noch« mit Ängsten und Zwängen zu kämpfen habe. Eine andere Studentin gab bewegende Einblicke in das Leben mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung. Sie erzählte, wie sich gute und schlechte Tage anfühlten, was sie an solchen Tag schaffe und wieso sie sich manchmal in der Uni wie eine Versagerin fühle. Auch über Medikamente und gerade deren Stigma-Belastung sprach sie und gab jedem Zuhörer ans Herz, sich nicht zu schämen für etwas, was helfe.
Dem Tod nur knapp entronnen
Eine weitere Betroffene aus dem Kreis der Studenten war eine junge Frau, die unter einer rezidivierenden Depression litt. Mit einer beachtlichen Gelassenheit und mit Wortwitz schilderte sie dem Publikum ihren schweren Verlust in der Jugend und wie das dazu geführt hat, dass sie bis heute mit einer so schweren Depression kämpfe, dass sie dem Tod oftmals nur knapp entronnen sei. Aber sie machte auch Mut und erzählte von den schönen Momenten, für die es sich dann doch zu leben lohne.
Dass auch Lehrende von einer psychischen Belastung nicht gefeit sind, bewiesen die beiden letzten Teilnehmer der Runde. Hier ging es um eigene Schicksale, aber vor allem auch darum, wie die Lehrenden mit psychisch kranken Studenten umgingen, besonders im Hinblick auf Beratung auf persönlicher, aber auch akademischer Ebene etwa in puncto Hausarbeiten und Klausuren. Was schon die Studenten immer wieder in ihren Selbstvorstellungen deutlich gemacht haben, als sie die Lehre an der LiLi-Fakultät lobten, bestätigten die Lehrenden im Gespräch noch einmal selbst: Verständnis und Hilfe werde großgeschrieben, und niemand werde verurteilt, wenn er einmal nicht so funktioniere, wie es das System verlange. Das dürfte einigen Zuhörern im Publikum sicherlich die Angst vor dem nächsten Sprechstundentermin genommen haben.
Im offenen Teil der Veranstaltung hatte das Publikum die Möglichkeit Fragen zu stellen – auch online und anonym. Ein zweiter Termin soll folgen.
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