Michael Gugat ist OB-Kandidat der Lokaldemokratie in Bielefeld (LiB)
„Wir wollen Schwarz-Grün verhindern“
Bielefeld (WB). Erst vor einem Jahr hat sich die Lokaldemokratie in Bielefeld (LiB) als Wählergemeinschaft formiert, um erstmals bei einer Wahl anzutreten. Ihr OB-Kandidat ist indes kein Neuling im Rat, sondern zog 2014 als Mitglied der Piraten ins Stadtparlament ein, verließ die Partei aber und ist mit seinem Sitz nunmehr Vertreter der LiB. Peter Bollig sprach mit dem Bewerber der Lokaldemokraten ums OB-Amt Michael Gugat.
Sind Sie ein kommunalpolitischer Glücksritter?
Michael Gugat: Nein. Was meinen Sie damit?
Ein Mitbewerber ums OB-Amt sieht einige Kandidaten der kleinen Wählergemeinschaften so: Glücksritter, die es mal versuchen, um zu sehen wie weit sie kommen, sich politisch aber gar nicht einbringen wollen...
Gugat: Ich glaube ich habe die letzten sechs Jahre bewiesen, dass ich kein Glücksritter bin sondern im Gegenteil zu denen gehöre, die nicht nur am fleißigsten sind, sondern auch mit am besten gearbeitet haben.
Also ist der Wille zur Gestaltung da?
Gugat: Ja. Wir haben ja Mehrheiten in dieser Stadt auch durch mich bekommen. Es hätte eine parteiübergreifende Plattform geben können. Die Linken waren ausgestiegen, die CDU war ausgestiegen. Nur durch uns ist es dazu gekommen, dass wir eine stabile Mehrheit bekommen haben. Auch wenn das vielen nicht gefallen hat.
Acht Parteien und Wählergemeinschaften waren 2014 in die Wahlperiode gestartet. Durch Austritte und Zersplitterungen sind es jetzt zum Ende hin elf, auch weil Sie die Piraten verlassen haben. Warum brauchte es 2019 die Gründung der Lokaldemokraten?
Gugat: Ich glaube, dass wir eine Richtung in die Politik bringen mit Seriosität, mit Verantwortungsgefühl und mit einem gewissen avantgardistischen Denken, lokal konzentriert auf Bielefeld. Dadurch können wir Dinge anstoßen und den Unterschied machen. Das war auch in der letzten Koalition so: Ich denke, dass gerade wir Kleinen da die richtigen Impulse gesetzt haben.
War für Sie unter den anderen Parteien nichts dabei? Mit Rot und Grün haben Sie doch eh schon kooperiert. Die hätten Sie mit Ihrem Ratssitz bestimmt gerne aufgenommen...
Gugat: Das stimmt. Es gab Varianten, die ich hätte wählen können: ganz aus der Politik raus, zu einer großen Partei gehen oder eben etwas Neues machen. Das war dann gar nicht mal mein eigener Antrieb. Es hat sich eine Gruppe von Menschen gebildet, die gesagt haben: „Lass uns etwas machen, wir fühlen uns nicht vertreten von den anderen Parteien“. Dafür gibt es auch gute Gründe: Sozialpolitik ist bei den Grünen nicht deren Antrieb. Deren Mitglieder sind beim Einkommen auf demselben Level wie bei der FDP, die kennen oft nicht viel von unten. Und die SPD gibt es nur noch, weil es sie schon immer gab. So viel Leidenschaft sehe ich da nicht. Bei den Linken ist mir zu viel Klassenkampf. Da gibt es keine Kompromissbereitschaft. Ich meine das alles aber gar nicht böse und würde auch mit Grünen und SPD gerne wieder zusammenarbeiten – und dabei neue Schwerpunkte einbringen.
Ihre Ziele „Klimaschutz, Verkehrswende, solidarische Stadt“ klingen ein Bisschen nach Grün, etwas nach Linke, vielleicht auch nach SPD. Wo ist denn da das eigene Profil der Lokaldemokraten?
Gugat: Die Summe von allem ist das eigene Profil. Unser Top-Thema ist aber die Sozialpolitik. Ich bin der einzige echte Sozialpolitiker unter den OB-Kandidaten. Selbst Pit Clausen ist keiner. Die 500 Millionen Euro Investitionen, die er verspricht, sind Augenwischerei. Was er damit vorhat, ist alles bereits beschlossen, und meistens sogar einstimmig. Auch zur Verkehrswende musste die SPD erst getrieben werden.
Eine neue Idee kommt von Ihnen: 1000 Euro pauschal für 1000 Bezieher von Transferleistungen, die für dieses Projekt ausgewählt werden.
Gugat: Hintergrund ist: Das Vermögen ist ungleich verteilt, 40 Prozent haben gar kein Vermögen. Das Problem bei Geldmangel ist, dass, wenn etwas passiert, etwa der kaputte Kühlschrank, man sofort in die Miesen gerät. Geben wir ihnen also etwas Vermögen. Das gibt ihnen Sicherheit und Vertrauen, sie haben weniger Sorgen um die Existenz.
Schafft das nicht sozialen Unfrieden, wenn sie nur einige auswählen und nicht alle profitieren, die eigentlich die Voraussetzungen erfüllen?
Gugat: Nein. Es soll ja ausdrücklich ein Modellprojekt in Zusammenarbeit mit dem Jobcenter sein, das von der Uni Bielefeld wissenschaftlich begleitet würde – um herauszufinden, was so eine Maßnahme bringt. Unser Anspruch ist nicht, dies sofort für alle zu tun. Das könnte sich die Kommune bei 40.000 Transfergeldempfängern auch gar nicht leisten.
Das klingt ein bisschen nach einem Wahlgeschenk für Einkommensschwache – und ein bisschen auch so, als ob Sie Wähler der Linken abwerben wollen.
Gugat: Wir haben Herzblut und Gedanken in alle Themen gesetzt. Das Abwerben von Wählern gehörte nicht zu den Überlegungen.
13 Parteien und Wählergemeinschaften treten an, vieles deutet auf eine weitere Zerfaserung des Rates hin. Halten Sie das für eine gute Entwicklung?
Gugat: Muss man das werten? War es früher denn besser? Ich hoffe auf inhaltliche Debatten, um Mehrheiten zu gewinnen, und das tut der demokratischen Kultur gut.
Na ja. Eines Ihrer Ziele ist ja gerade der gesellschaftliche Zusammenhalt, der doch auch einen möglichst breiten Konsens in den politischen Gremien voraussetzt. Dürfte der bei noch mehr politischen Strömungen und Ideologien im Rat nicht schwer hinzukriegen sein?
Gugat: Im Rat werden Sie es erleben, dass geschätzt 97 Prozent der Entscheidungen einstimmig sind. Natürlich gibt es strittige Geschichten, die müssen ausgehandelt werden. Da gibt es dann irgendwann eine Entscheidung, die der anderen Seite nicht gefällt. Das ist dann so. Aber was wäre die Alternative? Zwei Parteien? Vielleicht nur eine Partei? Demokratie lebt ja von Diskussionen und Überzeugungsarbeit. Das entscheidende Kriterium ist die Kompromissfähigkeit. Bei uns in der Lokaldemokratie ist die gegeben. Ich fänd’s eher schlecht, wenn wir eine so genannte Große Koalition hätten aus CDU und SPD. Noch schlimmer wäre so etwas Schwarz-Grünes. Das wäre kompletter Stillstand.
Das könnte passieren, um überhaupt Mehrheiten zusammenzukriegen...
Gugat: Auch deshalb treten wir ja an. Die Leute sollen nicht die Grünen wählen, sondern uns. Dann können wir Schwarz-Grün verhindern.
Wären die Lokaldemokraten denn gerne Teil einer Koalition aus vier oder noch mehr Partnern?
Gugat: Das gucken wir uns dann an. Das hängt im Wesentlichen von den handelnden Personen ab, die federführend bei den jeweiligen Parteien sind. Und von der gemeinsamen Idee, die man für die darauffolgenden Jahre hat. Ich hätte auch kein Problem mit wechselnden Mehrheiten. Im Rahmen einer Koalition wäre allerdings alles sehr viel einfacher.
Sie waren zuletzt Teil des Paprikabündnisses, könnten mit den Lokaldemokraten wieder zum Mehrheitsbeschaffer werden. Mit wem könnten Sie sich eine Zusammenarbeit vorstellen, mit wem auf keinen Fall?
Gugat: Grundsätzlich können wir uns eine Zusammenarbeit mit allen vorstellen, außer den nichtdemokratischen Parteien. Dazu zähle ich die AfD oder auch die BBZ.
Bei allem Optimismus dürfte es eine neue Wählergemeinschaft bei ihrer ersten Kommunalwahl schwer haben, den OB zu stellen. Warum brauchen die Lokaldemokraten trotzdem einen eigenen Kandidaten?
Gugat: Ich trete nicht an mit dem Wissen, dass ich auf jeden Fall verliere. Auch Außenseiterchancen sind Chancen. Ich bin ja auch nicht völlig unbekannt in dieser Stadtgesellschaft durch das, was ich in den letzten Jahren gemacht habe. Ich habe im Rahmen von „Geflüchtete willkommen“ viereinhalbtausend Ehrenamtliche zusammengebracht, bei der solidarischen Coronahilfe zweieinhalbtausend. Mit dem Bündnis gegen Rechts habe ich bis zu 14.000 Menschen mit auf die Straße gebracht – nicht alleine, immer als Teil des Ganzen. Im Wahlkampf spielt aber auch eine Rolle, dass man als OB-Kandidat seine Positionen darstellen kann. Auch hier zählt Vielfalt. Bei Podiumsdiskussionen wird klar: Ich denke anders als Pit Clausen oder Kerstin Haarmann oder Ralf Nettelstroth – und das öfter als andere mit dem Blick nach „unten“ auf Menschen, die nur wenig Einkommen haben.
Die Lokaldemokraten bezeichnen sich selbst als offen für unkonventionelle Ideen. Haben Sie ein paar Beispiele?
Gugat: Wie gesagt, das Modellprojekt „1000 mal 1000“ ist schon so ein Beispiel. Und: Stichwort quartiersbezogene interdisziplinäre Gesundheits- und Beratungszentren als fortschrittliche gemeinwohlorientierte Idee.
Ihr Wahlprogramm beschreibt ein Leben fast im Idealzustand: Weitreichende soziale Absicherung, Arbeitsplätze, die per Rad oder ÖPNV erreichbar sind, 25-Stunden-Woche, Wohnen in einer gesunden Umwelt... das klingt nach viel Arbeit. Womit würden Sie anfangen?
Gugat: Mit allem gleichzeitig. Denn alles hängt mit allem zusammen. Das sind Ideale, das werden wir nicht in fünf Jahren schaffen, vielleicht auch nicht in 30 Jahren. Vielleicht auch nie. Aber ohne Ideale kann man gar nichts erreichen, und wir freuen uns sehr darauf, im Rat nach der Wahl erste Schritte zu machen.
Zur Person
Michael Gugat (47) ist in Oldenburg geboren und kam 2008 nach Bielefeld. Er ist ledig und hat einen Sohn. Der Politiker arbeitet als Projektleiter bei der Solidarischen Coronahilfe Bielefeld. Seine berufliche Karriere begann im Einzelhandel, später kamen Aufgaben im Vertrieb hinzu, zudem war Gugat zeitweise selbstständig unternehmerisch tätig. „Politisch war ich schon immer“, sagt der 47-Jährige, der in Oldenburg bereits im Stadtschülerrat aktiv war und 1992 eine Demonstration gegen Rechts organisierte. 2011 trat er den Piraten bei, für die er 2014 einen Sitz im Stadtrat erlangte. Aus der Piratenpartei trat er während der Legislaturperiode aus, behielt aber sein Mandat. Seit Gründung der LiB ist er deren Vertreter im Rat.
Bisher erschienen
Folge 1: Rainer Ludwig (BfB)
Folge 2: Gordana Rammert (Bürgernähe/Piraten)
Folge 3: Kerstin Haarmann (Bündnis 90/Die Grünen)
Folge 4: Florian Sander (AfD)
Folge 5: Lena Oberbäumer (Die Partei)
Folge 6: Jan Maik Schlifter (FDP)
Folge 7: Onur Ocak (Die Linke)
Folge 8: Robin Fermann (BBZ)
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