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Gütersloh: Melanie Becker (47) ist eine ausgebildete Taubblindenassistentin

Hände sind Augen, Ohren und Stimme

Gütersloh (WB). Halten Sie sich die Ohren zu und schließen sie die Augen. Jetzt haben sie ein kleines Gefühl dafür, wie sich taubblinde Menschen fühlen. Melanie Becker will ihnen helfen. Die Gütersloherin hat gerade die Ausbildung zur Taubblindenassistentin (TBA) abgeschlossen.

Dunja Delker

Melanie Becker erläutert die Sprache der Hände. Tippt sie einmal auf Daumenballen, ist es das Zeichen fürs »V«. Tippt sie zwei Mal auf, schreibt die 47-jährige Taubblindenassistentin aus Gütersloh ein »W«. Foto: Dunja Delker

Kein Fernsehen, kein Radio, in fremder Umgebung kann der kleinste Schritt zum Problem werden. In Deutschland gibt es etwa 164.000 Blinde und 80.000 Gehörlose, aber nur etwa 6000 Taubblinde. Das heißt nicht, dass Hör- und Sehvermögen vollständig ausfallen, sondern mehr oder weniger starke Hör- und Sehschädigungen in Kombination auftreten.

Betroffene können im Gegensatz zu blinden oder gehörlosen Menschen die Einschränkung der Sinne Sehen oder Hören nicht durch den jeweils anderen Sinn ausgleichen. Sie sind auf Hilfe angewiesen, um einigermaßen selbstbestimmt leben zu können.

Gebärdensprachkurs

Melanie Becker hat eigentlich den Beruf der Zierpflanzengärtnerin gelernt. »Da ich zwei gehörlose Cousinen habe, kenne ich keine Berührungsängste mit Menschen, die nicht oder schlecht hören können. Außerdem hat mich die Gebärdensprache schon immer fasziniert«, sagt die 47-Jährige.

Als die Kinder aus dem Groben raus sind, belegt sie Gebärdensprachkurse. »An der Volkshochschule in Gütersloh habe ich Feuer gefangen«, sagt sie. 2014 wechselte sie zu einer privaten Gebärdensprachschule nach Köln und belegte dort verschiedene Kurse. Becker spielte mit dem Gedanken, Kommunikationsassistentin zu werden. Diese Helfer bauen Alltagsbarrieren zwischen hörenden und hörgeschädigten Menschen ab, vermitteln zwischen Laut- und Gebärdensprache und unterstützen beim Übertragen von Schrift- in Gebärdensprache.

Doch auf Anraten der Sprachschule weitete die 47-Jährige ihr Können aus und startete mit 15 weiteren Teilnehmern – Hörenden, Schwerhörigen und Gehörlosen – eine einjährige Ausbildung zur Taubblindenassistentin.

Keine Berührungsangst

Der Förderverein für hör- und hörsehbehinderte Menschen in Recklinghausen führt solche Qualifizierungen durch. Auf dem Stundenplan stehen neben Blindenschrift und der Gebärdensprache – unter anderem mit medizinischen Fachbegriffen – auch das taktile Gebärden. »Die visuelle Kommunikation über das Zeigen und Sehen funktioniert bei Taubblinden ja nicht«, erklärt Melanie Becker. Bei der taktilen Gebärdensprache funktioniert die Kommunikation über den Tastsinn: Melanie Becker nimmt die Hände des Betroffenen und führt sie. Häufig werden sie dabei noch detaillierter ausgeführt als in der deutschen Gebärdensprache.

»Ich darf keine Berührungsängste haben und muss trotzdem den Intimbereich des Kunden respektieren«, schildert die Mutter von zwei erwachsenen Kindern die Gratwanderung. Das „Lormen“ ist ebenfalls ein wichtiger Baustein in der Unterhaltung mit Taubblinden. Dabei sind den Fingern und Handpartien Buchstaben zugeordnet (siehe Kasten).

In der Praxis stehen Begegnungen mit Taubblinden auf dem Stundenplan. »Wir sind mit ihnen einkaufen gegangen oder Bus gefahren, haben das getan, was eine TBA auch mit ihnen tut«, erklärt Becker. Und dabei seien die kleinsten Kleinigkeiten plötzlich zur Hürde geworden: »Es ist gar nicht so einfach, jemanden, der taub und blind ist, durch eine Tür zu führen ohne dass er den Türrahmen streift oder ihm klar zu machen, dass er eine Stufe hochgehen muss. Schließlich geht es nicht darum, den Klienten zu bemuttern, sondern ihn aktiv zu unterstützen, so dass er es nach etwas Hilfe in gewohnter Umgebung allein schafft, beispielsweise seinen Teller vom Esstisch zur Spülmaschine zu tragen.«

Teilnahme am Leben

Ist die Teilnahme am Leben überhaupt möglich? Diese Frage würde so mancher gesunde Mensch vielleicht mit Nein beantworten. Melanie Becker sagt eindeutig Ja. »Mit Assistenz und technischen Hilfsmitteln ist so viel möglich«, betont sie und erzählt, dass es sogar Kegeln, Vorträge, Riesen-Mikadostäbe oder Gruppenreisen für Taubblinde gibt. Im Rahmen eines Praktikums hat die Gütersloherin einen solchen Urlaub an die See begleitet.

Nach ihrer Qualifizierung sucht Melanie Becker jetzt nach einer Anstellung – entweder als Taubblindenassistentin oder auch als Unterstützung für Blinde, Gehörlose oder andere Menschen mit Handicap. Und irgendwie ist diese Aufgabe ja gar nicht so weit entfernt von ihrem ursprünglichen Beruf als Zierpflanzengärtnerin: Bei guter Pflege kann etwas Gutes heranwachsen.

Wer mit Melanie Becker Kontakt aufnehmen möchte, kann sie per Mail unter [email protected] erreichen.

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