Juan Diego Flórez gestaltet Auftakt der Vier-Jahreszeiten-Reihe im Theater Gütersloh
Startenor reißt Publikum von den Sitzen
Gütersloh (WB). Der Geist des italienischen Mannes ist zumeist umwölkt von der Tristesse der unglücklichen Liebe, nur manchmal dringt ein Sonnenstrahl der Hoffnung hindurch. Und wenn dieser Italiener auch noch musikalisch ist, so singt er darüber ohne Unterlass. Dieser Eindruck muss entstehen, hält man sich nur an die erste Hälfte des umjubelten Konzertes, das der Startenor Juan Diego Flórez im Gütersloher Theater gegeben hat. Aber der Gast aus dem fernen Peru kann auch anders. Ganz anders.
Giuseppe Verdi war in den ersten Ankündigungen zum Auftakt der »Vier-Jahreszeiten«-Reihe als Repertoire-Schwerpunkt herausgestellt worden, tatsächlich hat Flórez zusammen mit seiner Pianistin Cécile Restier ein weitaus breiteres Portfolio im Gepäck, vor der Pause allerdings nur besagte Italiener: neben Verdi noch Gioachino Rossini und Gaetano Donizetti (am Ende des Abends dann zudem Giacomo Puccini). Der Liebesschmerz ist nicht nur nicht hör- und spürbar, er manifestiert sich auch in einem Titel wie »Oh Dolore«, einer Arie aus dem dritten Akt der Verdi-Oper »Attila«.
Flórez zeigt sich als wahrer Könner seines Fachs
Flórez zeigt sich als wahrer Könner seines Fachs. Er beginnt den Abend fast verhalten, sehr zurückhaltend, um dann aber im nächsten Augenblick zu zeigen, wie er seine Stimme modulieren kann, wie er es schafft, das breite Gefühlsspektrum, das die Kompositionen transportieren, ins weite Rund des Theaters zu tragen – mit einer scheinbaren Mühelosigkeit, die sprachlos macht.
»Me-too-Lied« bedarf der Einordnung
Es ist wie ein kleiner Bruch in der Abfolge des Abends, als Juan Diego Flórez vor dem Stück »Gern hab’ ich die Frau’n geküsst« das Publikum direkt anspricht. Das hier sei ein »Me-too-Lied«, kommentiert er augenzwinkernd. Und in der Tat bedarf der Text, der früher anstandslos gesungen wurde, heute einer Einordnung, was sein rückständiges Frauenbild angeht. Er geht so: »Gern hab’ ich die Frau’n geküsst, hab’ nie gefragt, ob es gestattet ist; dachte mir: Nimm sie dir, küss sie nur, dazu sind sie ja hier! Ja, glaubt mir: Nie nahm ich Liebe schwer. Ich liebe heiß, doch treu bin ich nicht sehr. Bin ein Mann, nicht viel dran, Liebchen fein: Ich schau’ auch andre an!«
Bei Donizettis »Una furtive lagrima« könnte man eine Stecknadel fallen hören, so still ist es in den Passagen, da Sänger und Pianistin innehalten. An anderen Stellen verzückt Flórez mit einem strahlenden Fortissimo-Ton, dass man sich wünschte, in einem Jazzkonzert zu sein und spontanen Szenenapplaus spenden zu können.
All der Herzschmerz tritt im zweiten Teil in den Hintergrund, denn für sein deutschsprachiges Publikum hat der Gast drei Stücke aus dem umfangreichen Schaffen des Operettenkönigs Franz Léhar mitgebracht. Angesichts der teilweise recht angestaubten Texte (siehe Info-Kasten) verzeiht man ihm gerne, dass er sich zur Unterstützung ein Tablet mitgebracht hat, das er auf einem Notenständer drapiert. Charmant ist er, der Juan, und plötzlich viel lockerer und nahbarer als in seiner Rolle der liebesgebeutelten Italiener. Spätestens an dieser Stelle hat er sein Publikum in der Tasche.
Sänger greift kurzerhand zur Gitarre und begleitet sich selbst
Zugegeben, mit Bizets »Carmen« und Puccinis »La Bohème« (aus beiden Opern ist zum Ende des Programms hin eine Arie zu hören) kann man nicht viel falsch machen, aber Flórez biedert sich bei seiner Musikauswahl nicht an beim Publikum. Er tut das, was er tut, mit einer solchen Überzeugung und einem solchen Können, dass der lang anhaltende Beifall zum Schluss absolut verdient ist. Die Ovationen steigern sich im Laufe der Zugaben zu einem wahren Begeisterungssturm, denn der Sänger greift kurzerhand eine Gitarre und begleitet sich selbst bei »Besame mucho« und »Cucurrucucú Paloma«. Da spätestens hält es das Publikum nicht mehr auf den Sitzen. Und wie geht der Abend zu Ende? Natürlich mit dem hymnischen »Nessun dorma« (»Niemand schlafe«), also nochmal Puccini.
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