Gütersloh
Trauer um kulturellen Brückenbauer
Gütersloh (sib) - Das Forum Russische Kultur trauert um seinen Ehrenvorsitzenden Franz Kiesl. Am Montagmorgen ist der langjährige Vorsitzende, den der Generalsekretär der Russischen Föderation einst den inoffiziellen Honorarkonsul Russlands nannte, im Alter von 85 Jahren gestorben.
Die Liste von Kiesls Auszeichnungen ist lang. 2016 erhielt er die Verdienstmedaille der Stadt Gütersloh. Er wurde für seinen Anteil an der Entwicklung von Wissenschaft, Kultur und Bildung in Russland mit der Lomonossow-Goldmedaille bedacht, mit der Puschkin-Medaille – für seinen Beitrag zur Verbreitung der russischen Sprache, Literatur und Kultur in Deutschland –, mit dem Jörg-Bohse-Preis sowie mit der Medaille der russischen Kulturorganisation „Rossotrudnichestvo“.
Maxime: “Ich habe Freude an der Freude anderer“
Mehr als 300 Kulturveranstaltungen, teils mit hochkarätigen Gästen wie etwa der Russischen Nationalphilharmonie, hat er in Gütersloh organisiert. Auf fast 80 Reisen brachte er mehr als 1000 Teilnehmern die russische Lebenskultur und -wirklichkeit nahe.
Kiesl verstand sich als Brückenbauer zwischen den Kulturen. Eine seiner Maxime lautete: „Ich habe Freude an der Freude anderer“, wie Kiesl zu seinem 80. Geburtstag sagte.
Kiesel übte zahlreiche Ehrenämter aus
Dass er diese Freude mit Vergnügen unentgeltlich bereitete, zeigt er unter anderem in der Ausübung zahlreicher Ehrenämter. Franz Kiesl war aktiv im Verkehrsverein, bei der Verkehrswacht, als Schöffe am Bielefelder Landgericht und im Vorstand des CDU-Wirtschaftsrats.
Von 1993 bis 2017 war Franz Kiesl Ehrenvorsitzender des Forums Russische Kultur. Auch danach wirkte er bis zu seinem Tod als Ehrenvorsitzender an der Arbeit des Vereins mit. „Er hat Beispielloses geleistet im Bereich der Pflege der russischen Kultur“, schreiben der aktuelle Vorsitzende Dr. Günter Bönig und seine Vertreter Cornelia Burmann sowie Ludger Funke im Nachruf.
Gütersloh als russische Kulturhauptstadt Deutschlands
Mit unermüdlicher Arbeit habe er den größten deutsch-russischen Kulturverein aufgebaut und Jahr für Jahr weiterentwickelt. Mit den Worten des ehemaligen Generalkonsuls Jewgenij Schmagin: Kiesl hat eine „russische Kulturhauptstadt“ in Deutschland aufgebaut.
Dass er der Motor eines deutsch-russischen Vereins werden würde, hätte sich Kiesl, der aus der Oberpfalz stammt, wohl nicht gedacht, als er 1976 nach Gütersloh kam. Denn in erster Linie führte ihn sein beruflicher Weg in die Dalkestadt. Beim Kaufhaus Hertie war er erst als Chefeinkäufer, dann als Geschäftsführer tätig.
Aus Furcht wird Fürsorge
Als Kind habe er sich vor den Russen und überhaupt vor den Bewohnern der Sowjetunion gefürchtet, gab Kiesl zu seinem 80. Geburtstag im Oktober 2015 augenzwinkernd zu.
Bis er 1990 einer Lehrerin aus Minsk begegnet sei, die ihm von der Not der Kinder in Tschernobyl berichtet habe. Seine Position bei Hertie habe er damals genutzt, um Lebensmittel- und Medikamentenspenden zu sammeln. Im gleichen Zeitraum wuchs in seinem Bewusstsein auch die Idee heran, Kinder aus der Ukraine zur Erholung nach Gütersloh einzuladen. Die Gütersloher Kinderhilfe Tschernobyl war geboren.
“Eine Leistung, die bis in höchste diplomatische Stellen Russlands gewürdigt wird“
Obwohl es kaum möglich ist, den Überblick zu behalten über all das, was Franz Kiesl angestoßen, weitergeführt, verbunden hat: Im Mittelpunkt steht das Forum Russische Kultur.
Der Verein, den der Gütersloher von 1993 bis 2017 führte, zähle mittlerweile 439 Mitglieder, wie Dr. Günter Bönig, seit August vergangenen Jahres Vorsitzender, auf Anfrage dieser Zeitung berichtet. Er formuliert im Nachruf zu Franz Kiesl treffend: „Er hat tausende von Russen und Deutschen zusammengebracht. Er hat ein Bewusstsein geschaffen für die deutsch-russische geschichtliche und kulturelle Zusammengehörigkeit sowie Freundschaften zwischen den Menschen geschaffen. Eine Leistung, die bis in höchste diplomatische Stellen Russlands gewürdigt wird.“
Franz Kiesl hinterlässt seine Frau und ihre gemeinsame Tochter. Eine Beisetzung, bei der ihm in größerem Rahmen gedacht werden könne, sei coronabedingt nicht möglich, sagt Dr. Günter Bönig.
Startseite