Fleischkonzern will nach Corona-Ausbruch aber nur einen Teil zahlen
Millionen-Rechnung für Tönnies
Rheda-Wiedenbrück (WB). Der massive Corona-Ausbruch beim Fleischkonzern Tönnies Mitte Juni am Stammsitz in Rheda-Wiedenbrück hat beim Kreis Gütersloh und den betroffenen Städten zu Kosten in Millionenhöhe geführt. Die Kommunen wollen dem Unternehmen die Aufwendungen in Rechnung stellen. Der Konzern will aber nur einen Teil der Kosten begleichen – und sieht sich im Recht.
Der größte Batzen an Corona-Kosten im Zuge des Infektionsgeschehens bei Tönnies mit mehr als 1500 Positivfällen ist beim Kreis Gütersloh angefallen. Insgesamt erwartet die Kreisverwaltung einer Aufstellung zufolge für das laufende Jahr unter dem Strich Corona-bedingte Belastungen von 9,7 Millionen Euro – ein Teil davon steht in direktem Zusammenhang mit dem Vorfall bei Tönnies.
Kosten alleine für Massentests von mehreren Millionen Euro
Alleine die Kosten rund um die umfangreichen Testungen von Mitarbeitern des Fleischkonzerns, aber auch der Allgemeinbevölkerung belaufen sich auf mehrere Millionen Euro. Beim Kreis summieren sich Abstrichkosten, Laborkosten, Verdienstausfallerstattungen ehrenamtlicher Einsatzkräfte, Verpflegungskosten von Helfern und in Quarantäne befindlicher Personen sowie für die Bereitstellung von Quarantäne-Unterkünften, Dolmetscherkosten und Schutzausrüstung „nach vorsichtiger Schätzung“ auf 7 bis 8 Millionen Euro. Der Großteil entfalle dabei auf den Fall Tönnies. 3 bis 4 Millionen Euro davon könne die kassenärztliche Vereinigung übernehmen, heißt es. Der Kreis betont aber: „Die Prüfung, ob Kosten vorrangig von Dritten zu tragen sind, ist noch nicht abgeschlossen.“
Denn in diesem Punkt hatte Konzernchef Clemens Tönnies zugesagt, für jeden Bürger im Kreis Gütersloh die Kosten für jeweils einen Test zu übernehmen. Landrat Sven-Georg Adenauer sprach bei einer Veranstaltung Mitte Juli von 120.000 Tests, die im Zuge des Corona-Ausbruchs mit Teil-Lockdown im Kreis Gütersloh gemacht worden seien. Unter anderem waren seinerzeit viele Bürger auf einen Negativtest angewiesen, um in den Urlaub fahren zu können. Zahlreiche Menschen suchten deshalb auch ihren Hausarzt auf, um einen Abstrich vornehmen zu lassen – auf eigene Kosten oder zulasten der Krankenkassen. Hierzu liegen dem Kreis keine Zahlen vor. Tönnies-Sprecher André Vielstädte bekräftigt, dass das Unternehmen die Tests der Bürger einmalig zahlen werde. Bei Kosten von im Schnitt 50 Euro pro Test würde dies auf jeden Fall auf eine Millionensumme hinauslaufen.
Konzern sieht keine Rechtsgrundlage für Forderungen
Direkt während der akuten Krise übernahm Tönnies bereits teilweise oder in voller Höhe Aufwendungen etwa für Quarantäneunterkünfte, die Versorgung von isolierten Arbeitern oder auch für Sicherheitsdienste oder die Reinigung einzelner Unterkünfte. Das war auch in Verl der Fall. Dort war eine ganze Siedlung umzäunt worden, in der hunderte unter Quarantäne gestellte Tönnies-Arbeiter wohnten. Die Stadt stellte das Quartier drei Wochen lang unter Vollquarantäne. Verbunden waren hiermit Aufwendungen von rund 100.000 Euro. Die Summe will die Stadt vom Konzern einfordern, sobald noch ausstehende Rechnungen vorliegen. „Inwieweit hier eine Kostenübernahme erfolgt, bleibt abzuwarten“, stellt der Erste Beigeordnete Heribert Schönauer fest.
Die Stadt Rheda-Wiedenbrück, neben dem Kreis sowie den Städten Gütersloh und Verl, am stärksten vom Corona-Ausbruch bei Tönnies betroffen, hat über ihr Vorgehen noch nicht entschieden. „Der Sachverhalt wird aufgearbeitet. Die Ursache des Ausbruchs bedarf der endgültigen Klärung, dies auch unter Zuhilfenahme und Beauftragung wissenschaftlicher Studien. Erst mit einer belastbaren Tatsachengrundlage ist eine abschließende rechtliche Prüfung möglich“, teilt Pressesprecherin Lena Henkenjohann mit.
Der Konzern sieht grundsätzlich keine Rechtsgrundlage für Forderungen. Und auch Experten sehen für die Kommunen kaum Chancen, Geld von Tönnies einklagen zu können. Gleichwohl gibt sich das Unternehmen gesprächsbereit. So laufen etwa mit dem Kreis Gütersloh Gespräche zum Thema.
Landesregierung prüft Sachlage intensiv
Auch das Land NRW beschäftigt sich intensiv mit möglichen Schadenersatzansprüchen und Forderungen wegen des Corona-Ausbruchs bei Tönnies. Vor allem aber mögliche millionenschwere Lohnkostenerstattungen an den Fleischkonzern und Subunternehmen wegen der vierwöchigen Betriebspause treiben die Behörden um. NRW-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann will eine Zahlung verhindern.
Derzeit würden detailliert alle für eine Zahlung nach dem Infektionsschutzgesetz relevanten Aspekte geprüft, heißt es in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der SPD. Es gehe insbesondere um die Frage, „welche Obliegenheitsverletzungen beim Arbeitgeber vorhanden sind, die einer Erstattungspflicht entgegenstehen“. Auch hinsichtlich möglicher Schadenersatzansprüche prüfe die Landesregierung das Vorliegen und die Art möglicher Verstöße des Konzerns und eine nachweisbaren Kausalität für das Infektionsgeschehen. Dazu laufe eine „komplexe rechtliche und tatsächliche Prüfung“.
Startseite