1. www.westfalen-blatt.de
  2. >
  3. OWL
  4. >
  5. Schloß Holte-Stukenbrock
  6. >
  7. Eine christliche Verpflichtung

  8. >

Giesela Hörster zur Rolle der Frau und ihrem Ehrenamt in der Flüchtlingshilfe

Eine christliche Verpflichtung

Schloß Holte-Stukenbrock (WB). Der Weltfrauentag war am 8. März. Diesen Samstag hätte eigentlich das Internationale Frauenfrühstück stattfinden sollen, das wegen der potenziellen Gefahr, die vom Coronavirus ausgeht, abgesagt wurde. Eine der Organisatorinnen wäre Giesela Hörster gewesen. Sie will mit ihrer eigenen Geschichte Frauen zum Nachdenken bringen und sie ermuntern, sich ihr Recht einzufordern. Mit Giesela Hörster, die am Mittwoch 80 Jahre alt geworden ist, sprach WESTFALEN-BLATT-Redakteurin Monika Schönfeld.

Inklusive der „Helping Hands“ aus den Reihen der Flüchtlinge hat Giesela Hörster (sitzend, links) 35 Helfer um sich geschart, die sich in der ehrenamtlichen Flüchtlingshilfe St. Johannes Baptist engagieren. Die Flüchtlingshilfe bietet in den Räumen des ehemaligen Sozialkaufhauses La Mina Treffs und Kurse an. Bis Ende des Jahres können die Räume genutzt werden, die Stadt zahlt die Miete. Foto: Monika Schönfeld

Die Rolle der Frau in der Gesellschaft hat sich gewandelt. Wie haben Sie das erlebt?

Giesela Hörster: Vor dem Zweiten Weltkrieg gab es für Frauen nur Kinder, Küche und Kirche. Im Krieg wurden sie gebraucht, um zu arbeiten, weil die Männer ja im Krieg waren. Nach dem Krieg haben die Frauen Deutschland wieder aufgebaut, als Rückgrat der Welt. Ich wollte mit 19 heiraten, brauchte aber die Erlaubnis meiner Eltern, weil man damals erst mit 21 Jahren volljährig war. Ich wollte Floristin werden. Für meinen Vater war das brotlose Kunst. Als älteste Tochter musste ich Geld verdienen, die Familie war auf jeden Pfennig angewiesen, so lernte ich Industriekaufmann. Die weibliche Form gab es damals nicht. Als ich verheiratet war, durfte ich nur mit Erlaubnis meines Mannes berufstätig werden. Der wollte das aber nicht. Was hätten die Leute dann gedacht? Dass er seine Familie nicht ernähren kann.

Sie wurden dann aber doch berufstätig. Wie kam das?

Hörster: Es war so: Was der Mann sagt, wird gemacht. Meine Mutter hatte mir aber beigebracht, dass Frauen die besseren Diplomaten sind und erreichen können, was sie wollen, wenn sie es geschickt anstellen. Als das Kino, das wir betrieben haben, nicht mehr wirtschaftlich war, haben wir einen Schnellimbiss aufgemacht. Als mithelfendes Familienmitglied durfte ich arbeiten. Später habe ich in unserem Restaurant Waldklause gekocht.

Was sagen Sie den jungen Frauen von heute?

Hörster: Sie sind in eine glückliche Zeit geboren worden und müssen nicht um Erlaubnis bitten. Sie haben alle Rechte, die ein Mann auch hat. Von diesen Rechten müssen sie Gebrauch machen. Viel steht auf dem Papier, Frauen müssen das einfordern, was ihnen zusteht. Das muss man klar sagen. Frauen gehören überall auch an die Spitze – in Vereinen, in der Politik, in den Unternehmen.

Sie sehen bei ihrer Arbeit in der ehrenamtlichen Flüchtlingshilfe, dass die Rolle der Frau in den ausländischen Familien oft anders gesehen wird. Ist das ein Problem?

Hörster: Das war vor fünf Jahren noch ganz auffällig. Die Frauen durften das Haus nicht verlassen. Ich musste mit den Männern sprechen. Den Männern und Frauen habe ich klar gemacht, dass sie sich in einem Land befinden, in dem die Frau gleichberechtigt ist. Die Männer fanden das erst befremdlich. Heute lernen die Frauen Fahrrad fahren, bringen ihre Kinder selbst in den Kindergarten, gehen selbst einkaufen. Einige machen jetzt sogar den Führerschein. Die Frauen haben sich vernetzt. Das ist eigentlich ganz schön schnell gegangen.

Sie sind als „Mama Giesela“ der Motor der ehrenamtlichen Flüchtlingshilfe St. Johannes Baptist. Wie sind Sie dazu gekommen?

Hörster: Die Pflege meines demenzkranken Mannes war extrem arbeitsaufwendig und kräftezehrend. Als er starb, fiel ich in ein ganz tiefes Loch. Alle rieten mir: Such dir ein Ehrenamt. Ich war mein ganzes Leben lang ehrenamtlich tätig, habe im Schützenverein die Kinderschützenfeste organisiert, im Tennisverein den Babysitterdienst angestoßen, im Kirchenchor gesungen und kirchliche Jugendgruppen geleitet. Ich war Vorsitzende des Wirtevereins, zwölf Jahre lang ehrenamtliche Richterin beim Finanzgericht Münster, zwei Jahre im Ausschuss für Kriegsdienstverweigerung beim Kreiswehrersatzamt Arnsberg. Ich war Ratsmitglied der CDU und Vorsitzende der Frauen-Union. Seit 2003 bin ich Stadtführerin. Ich wusste also, dass das Ehrenamt erfüllend sein kann. Im Januar 2014 ist mein Mann gestorben, im Februar habe ich mit Frank Schmidt gesprochen, in der Stadtverwaltung für die Flüchtlinge zuständig. Wir besuchten zusammen das Wohnheim am Emsweg 6.

Was haben Sie dort vorgefunden?

Hörster: Das Wohnheim war voll belegt, keine Frau sprach Deutsch. Zweimal die Woche war ich da. Ich habe ihnen gesagt, wie die täglichen Gegenstände auf Deutsch heißen, sie hatten dann einen kleinen Wortschatz. Die Stadt hat den ersten Sprachkurs bezahlt, Integrationsbeauftragter Metin Eser hatte das vermittelt. Die Volkshochschule stellte die Lehrer, aber keinen Raum. Pfarrer Karl-Josef Auris schlug vor, den Kirchenvorstand St. Achatius in Stukenbrock-Senne zu fragen. Dort gab es die ersten Kurse.

Mit der Flüchtlingswelle 2015 bekam die ehrenamtliche Arbeit eine ganz neue Dimension. Wie haben Sie das erlebt?

Hörster: Es war an einem Sonntag um 17 Uhr. Ich bekam eine Mail, dass 500 Flüchtlinge in der Polizeischule aufgenommen werden und Hilfe benötigt wird. Die Turnhalle war zum Schlafsaal umgebaut worden, aber es musste auch Nachtwache gehalten werden, damit die Menschen nicht alleine bleiben. Am nächsten Tag waren wir mit 50 Helfern vor der Schranke, um eine Kleiderkammer aufzubauen. Drei Monate lang waren wir jeden Tag dort im Einsatz. Dann wurde die Zeltstadt fertig. Aufregend wurde es noch einmal, als eine Gruppe Christen Kirchenasyl gefunden hatte. Ich habe den Kontakt zu den Behörden hergestellt.

Seit 2014 stecken Sie Kraft, Geld und Zeit in die ehrenamtliche Arbeit mit Flüchtlingen. Was treibt Sie an?

Hörster: Ich bin Christin und möchte die Liebe Gottes zu den Menschen tragen. Mein Motto ist: Man kann alles, was man will. Was ich mache, mache ich richtig oder gar nicht.

Dennoch erleben Sie Anfeindungen und Hass – persönlich und über die digitalen Medien. Wie erklären Sie sich das?

Hörster: Ich glaube, die Menschen sind immer noch nicht genügend aufgeklärt, warum die Flüchtlinge hier sind, welchen Weg sie hinter sich haben, wie die Umstände sind, unter denen sie hier leben. Schlimm wird es, wenn die Flüchtlinge die Anfeindungen mitbekommen. Sie sind am Boden zerstört, ein Häufchen Elend.

Startseite
ANZEIGE