Der verflixte Beethoven: Felix Reuter gibt Einblick in die Geheimnisse des Komponisten
Tatatata – und ein letztes Pling
Schloß Holte-Stukenbrock (WB). „Beethoven ist so herrlich!“ Felix Reuters Lachfältchen um die Augen zeigen den 170 Zuhörern und -schauern in der ausverkauften Aula am Gymnasium spätestens, dass sie heute kein Klassikkonzert zu erwarten haben. Aber dennoch Klassik – in einem ungeahnten Zusammenhang und immer mit einem humorvollen Augenzwinkern. Bis auf den Schluss des Glanzlichts, da wurde der Musikkomödiant ernst.
Beethoven: 250 Jahre alt wäre er dieses Jahr geworden. Der Komponist führte die Wiener Klassik zu ihrer höchsten Entwicklung und bereitete der Musik der Romantik den Weg. Er gilt als einer der bedeutendsten Komponisten schlechthin. Kein Grund für Felix Reuter, jetzt in Ehrfurcht zu versinken. Denn der kleine Große mit dem Gehörproblem war auch nur ein Mensch. In langem Mantel mit weißem Rüschenhemd, das äußerst unpraktisch ist, weil die Rüschen am Ärmel die Sicht auf die Finger verdecken, die auf den Tasten tanzen, und rotem Schal gibt Felix Reuter den Beethoven. Und „da Beethoven nur dieses Jahr funktioniert“, bekommt das Publikum gleich einen Abriss der Musikgeschichte von Bach über Haydn mit ein bisschen Vivaldi.
Was kennen Sie von Beethoven?
Ob man nun für klassische Musik etwas übrig hat oder nicht – gehört hat jeder schon mal die Melodien, die eben einfach zum Kulturgut gehören. „Was kennen Sie von Beethoven?“ Die Antwort kommt prompt aus dem Publikum von hinten links: „Die erste, zweite, dritte, vierte, fünfte, sechste, siebte, achte und neunte Sinfonie.“ Felix Reuter, Pianist, Musikkomödiant, Improvisationskünstler und Entertainer in einem, spielt die Stücke an. Nur soweit, wie man sie kennt, das sind meistens ausgewählte Themen oder nur Akkorde. Und sie enden alle mit einem verzögerten Pling der rechten Hand auf der äußersten rechten weißen Taste des Flügels.
Und zack – da versteckt sich in der „Freude schöner Götterfunken“ ein profanes „Happy Birthday“. Tiefe Einblicke erhält der geneigte Zuhörer, was der Komponist mit der linken Hand tut. Ganz böse wird es, wenn Reuter die Tonfolge spiegelverkehrt spielt. Dann wird daraus „Auferstanden aus Ruinen“, die Nationalhymne der DDR. „Das ist die Garantie, berühmt zu werden.“ Spielt er dagegen nicht jeden Ton als Viertelnote, sondern „lang, kurz, lang“ wird daraus das DDR-Weihnachtslied „Sind die Lichter angezündet“. Kennt im Publikum niemand. Versteht man wohl nur, wenn man wie Felix Reuter aus dem Osten kommt.
Weiter geht’s mit einem Bach-Choral („da kommst du nüchtern nicht drauf“), in den sich der Refrain von „Bruder Jakob“ einschleicht. Und dann – nach zweifacher Aufforderung – endlich die Mondscheinsonate. Der Anfang erfordere Geduld. Reuter spielt die Töne, guckt auf die Uhr, stöhnt und verdreht die Augen – und dann kommt schon wieder „Happy Birthday“ dabei heraus.
Regentropfen und Vogelgezwitscher in Noten gepckt
Die meisten Komponisten, so erfährt der Zuschauer, haben über Phänomene komponiert. „Es regnet, das schreib’ ich auf.“ Zu Chopins Regentropfen-Prélude kann man vor seinem geistigen Auge sehen, wie die Eimer volltropfen, die unters undichte Dach gestellt sind. Oder Vögel im Frühling: „Da musst du das Fenster zumachen.“
Felix Reuter erbringt den musikalischen Bewies dafür, dass Beethoven der Vater des Rock’n’Roll ist. Bach hat dagegen den Jazz erfunden. Von Felix Mendelssohn Bartholdy kommt der Hochzeitsmarsch („den kannste nur auf den weißen Tasten spielen“), Richard Wagner ist für die amerikanische Variation zuständig und unbemerkt mündet das Lied in „Oh Tannenbaum“.
Was wäre die Tour durch die Musikgeschichte ohne „Für Elise“. „Es gibt verschiedene Versionen davon und meine. Wenn man zwei Striche in Elise ändert, wird es für Felix.“
Erkennungsmelodie der Telekom
Man lernt, dass der Flohwalzer gar kein Walzer ist. Und dass die innere Unsicherheit, ob Beethoven einer Schülerin seine Liebe gestehen soll, zwischen zwei Tönen abzulesen ist. „Die beiden Töne spielst du, bis die Nachbarn klingeln.“ Und wieder: Dreht man die Töne um, ergibt sich die Erkennungsmelodie der Telekom.
Ach, man lernt ja so viel. Über eine Fuge zum Beispiel. „Der hat sich ein Thema ausgedacht und jedes Mal einen Ton drunter wieder angesetzt.“ Die Tour de Force geht gnadenlos weiter über Mozart, Strauss und Händel, streift die asiatische Musik und landet bei Jerry Lee Lewis, der mit zwei Tönen auskommt – und nein, nicht H&M, richtig ist C&A.
Bevor auch nur jemand auf den Gedanken kommt, dass Klassik komödiantisch ist, endet Felix Reuter mit der letzten Zugabe sehr ernst. Er meint, wenn Komponisten sich von Geräuschen wie Vogelzwitschern oder Wasserplätschern inspirieren lassen, könne er das mit einem Wort tun. Er hat das Wort „Hoffnung“ gewählt. „Es ist eine Widmung an die Menschen, denen es dreckig geht, an die, die Hilfe brauchen.“ Und so holt der Musikpädagoge die Menschen wieder zurück zur klassischen Musik, die eben nicht nur aus Tönen besteht, sondern aus einer emotionalen Botschaft.
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