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NRW-Landtagspräsident André Kuper (CDU) zur internationalen Gedenkstätte Stalag 326

Unüberhörbarer Appell

Schloß Holte-Stukenbrock (WB). Die Gedenkfeier zum 75. Jahrestag der Befreiung des Stalag 326 in Stukenbrock-Senne musste im April zum Schutz vor dem Coronavirus verschoben werden. Sie wird am Freitag, 9. Oktober, in der Mensa der Polizeischule in Stukenbrock-Senne nachgeholt. Prominenter Redner wird Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) sein. Landtagspräsident André Kuper (CDU) hat eingeladen.

Das geplante Besucherzentrum der Gedenkstätte Stalag 326 soll den Besuchern Fragen stellen und sie digital durch die Geschichte führen. Foto: Atelier Brückner

Er engagiert sich als Vorsitzender der Steuerungsgruppe dafür, die Gedenkstätte zu einer von internationalem Rang zu entwickeln. „Das können wir nur gemeinsam mit dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) erreichen, wenn sich alle Handelnden dafür aussprechen. Das Projekt ist von einer Dimension, die auch viel Freizeit in Anspruch nimmt. Und es ist getragen vom großen Engagement aller Beteiligten.“ Über die Bedeutung des historischen Ortes sprach Monika Schönfeld mit André Kuper.

Was bedeutet Ihnen dieser Ort?

André Kuper: Ich stehe hier aus Überzeugung. Die schrecklichen Folgen des Nationalsozialismus haben mich schon als Schüler bedrückt. Ich wusste von Konzentrationslagern und dem Grauen des Krieges. Den Begriff Stammlager oder Stalag habe ich aber nie bewusst gehört. Ebenso wenig kommt er in Schulbüchern vor. Jetzt haben wir im Rahmen der Machbarkeitsstudie für die Gedenkstätte den Schulbuchverlag Klett gewinnen können, das Thema Kriegsgefangenenlager in Stukenbrock-Senne aufzunehmen. Als ich Bürgermeister in Rietberg war und Schloß Holte-Stukenbrocks Bürgermeister Hubert Erich­landwehr mich eingeladen hat, war ich das erste Mal hier. Ich war erschrocken, schockiert angesichts des Grauens, das vor unserer Haustür stattgefunden hat. Mit dem Erinnern an die Geschichte dieses Ortes wollen wir auch ein deutliches Zeichen für die Zukunft der hier geleisteten Gedenkarbeit setzen. Hier, auf dem Sandboden der Senne, endeten Lebenswege in Erniedrigung, Hunger, Schmerz und Tod. Was Menschen hier ertragen und erfahren mussten, bleibt für immer ein fester Bestandteil der deutschen und europäischen Geschichte. Daher ist mit diesem Ort, mit diesem Boden, ein klarer Auftrag an uns alle verbunden. Der Auftrag lautet, die Erinnerung an die Opfer in Kriegsgefangenschaft und an das ihnen zugeführte Leid für die Zukunft zu bewahren, die Verbrechen der Nationalsozialisten weiterhin aufzuarbeiten und klar zu benennen und damit nicht zuletzt an die heutigen und an die nach uns folgenden Generationen einen unüberhörbaren Appell der Menschlichkeit zu richten. Und wir müssen, wann immer notwendig, unser Wort gegen menschenfeindliche Ideologie erheben und uns dagegen aufstellen.

Wie sind Sie zu der Aufgabe gekommen, sich für die Gedenkstätte Stalag 326 einzusetzen?

Kuper: 2012, die CDU war noch in der Opposition im Landtag und ich der Sprecher der OWL-Christdemokraten, bekam ich eine dicke Akte auf den Schreibtisch. Es ging um den Streit, ob die Rote Fahne auf den Obelisken auf den Ehrenfriedhof soll, was viele nicht wollten. Der Vorsitzende des Fördervereins der Gedenkstätte, Manfred Büngener, rief mich ungefähr zur gleichen Zeit an, weil der Förderverein kaum finanzielle Hilfe bekam. Die Ehrenamtlichen waren am Ende ihrer Kräfte. Ich habe gemeinsam mit meiner Vorgängerin als Präsidentin des Landtags, Carina Gödecke, und dem SPD-Abgeordneten Günter Garbrecht dafür gesorgt, dass die Miete für das Arrestgebäude auf einen symbolischen Wert von einem Euro reduziert wird und der Verein eine Basisförderung bekommt, die Stück für Stück ausgebaut wurde. Eines der Ziele ist natürlich, die jahrzehntelange gute Arbeit des Fördervereins mit dem Vorsitzenden Manfred Büngener und Geschäftsführer Oliver Nickel mit der Gedenkstätte weiterzuführen und nachhaltig zu sichern. Als Bundespräsident Joachim Gauck 2015 forderte, das Schicksal der sowjetischen Kriegsgefangenen aus dem Erinnerungsschatten zu holen und die Gedenkstätte zu internationalem Rang zu entwickeln, habe ich mir vorgenommen, dass ich mich darum kümmern würde.

Warum brauchen wir einen solchen Ort?

Kuper: Demokratie ist nicht selbstverständlich. Das erleben wir in diesen Tagen immer wieder. Rechtsextremistisch motivierte Anschläge nehmen zu. Wir haben in Deutschland 75 Jahre weitgehend in Frieden gelebt. Vielleicht nehmen wir das als zu selbstverständlich hin. Wir sehen jetzt aber, wie sensibel dieser Frieden ist. Spätestens seit 2014/15 kann niemand mehr sagen, der Krieg in der Welt interessiert ihn nicht. Flüchtlinge suchen bei uns Schutz. Bislang hatten wir immer Zeitzeugen, die in die Schulen gegangen sind und die in den Familien von den eigenen Erlebnissen im Krieg oder von Verfolgung berichten konnten. Die sind bald nicht mehr da. Dann muss eine Gedenkstätte diese Aufgabe übernehmen. Die Folgen von Diktatur und Krieg lassen niemanden unberührt.

Die Gedenkstätte Stalag arbeitet seit 1996 überwiegend ehrenamtlich, der Förderverein seit 1993, die Machbarkeitsstudie für die Neuausrichtung spricht von Investitionen in Höhe von 60 Millionen Euro und jährlichen Betriebskosten von 5,6 Millionen Euro. Klotzen statt Kleckern?

Kuper: Das ist kein Klotzen. Das Freilichtmuseum Detmold zum Beispiel bekommt für 38 Millionen Euro ein neues Besucherzentrum. Wir haben uns die Frage gestellt, welches die Basiskriterien sind. Wer 200.000 Besucher jährlich erreichen will, muss hohe Qualität bieten. Unsere Zielgruppe sind nicht nur Historiker, Schüler, Studierende der Polizei oder Bundeswehr und Angehörige der Opfer. Unser Ziel ist es, die Familien zu erreichen und damit beispielsweise auch die, die an den Emsquellen spazieren gehen oder das Safariland besuchen. Deshalb brauchen wir ein starkes digitales Konzept, damit Familien Interesse an einem Besuch haben. Mit Hilfe der Digitaltechnik kann ein Besuch in der Schule vor- und nachbereitet werden. Vor Ort habe ich ein Handy oder Tablet und die Zeitschichten ploppen auf. Ich kann zwischen den Schichten wechseln. Was war zur Zeit des Stalag? Aber auch, was passierte später? Kriegsgefangenenlager, Internierungslager, Sozialwerk, das die Vertriebenen aus den Ostgebieten aufgenommen hat, dann Spätaussiedler. Heute ist hier das Polizeiausbildungsinstitut, 2015 bis 2018 auch Flüchtlingsunterkunft.

Wie kann ein kleiner Ort wie Stukenbrock-Senne solch eine monumentale Gedenkstätte verkraften?

Kuper: Stukenbrock-Senne ist kein kleiner, sondern ein großer Ort. Das Safariland hat jährlich eine halbe Million Besucher, die Emsquellen bestimmt einige tausende. Der Großteil der Besucher der Gedenkstätte wird mit dem Bus kommen, die Ausfahrt der Autobahn ist in unmittelbarer Nähe, es gibt eine Bahnverbindung. Ich denke, die Menschen in Stukenbrock-Senne sehen das als Chance. Städtebaulich wird sich einiges auf den zwei Kilometern zwischen der Gedenkstätte und dem Ehrenfriedhof tun, touristisch ist das ein weiteres Pfund.

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