Frauen stellen nur 10,8 Prozent der Start-up-Gründerinnen in NRW – vier Beispiele aus dem Pioneers Club in Bielefeld
Und es gibt sie doch: die Gründerinnen
Bielefeld (WB)
Beim Thema Gleichstellung von Mann und Frau in der Arbeitswelt geht es in der Öffentlichkeit vorrangig um ungleiche Bezahlung für gleiche Arbeit und um die Besetzung von Spitzenpositionen im Management. Eine der größten Ungleichheiten zeigt sich jedoch ausgerechnet in der Start-up-Szene. Frauen stellten bundesweit 2019 nach einer Umfrage des Branchenverbands nur 15,1 Prozent der Gründer. In Nordrhein-Westfalen waren es sogar nur 10,8 Prozent.
Etwas anders ist die Zusammensetzung im Pioneers Club in Bielefeld. Hier stellen Frauen immerhin fast ein Drittel der Mitglieder. Im Gegensatz zu anderen Start-up-Treffs arbeiten im Pioneers Club allerdings auch Gründerinnen und Gründer, die bereits eine Berufskarriere in etablierten Unternehmen hinter sich haben. So zum Beispiel Thao Steinmann. Die 39-jährige, die ursprünglich aus Berlin stammt, arbeitete vor der Gründung ihres eigenen Unternehmens Wowlabs bei Bayer und zuletzt in leitender Position in der Produktentwicklung des Bielefelder Pharma- und Kosmetikunternehmens Dr. Wolff. Das Produkt, mit dem sie sich 2019 selbstständig gemacht hat, ist eine Pflegecreme namens Re-Purify; sie verspricht, hoch beanspruchte Gesichtshaut innerhalb von 30 Tagen zu regenerieren. Im Juli 2020 kam sie auf den Markt – trotz Pandemie. Wowlabs zählt bereits zehn Beschäftigte.
Britta Herbst
Nicht wenige Gründerinnen verbindet der Anspruch, Produkte oder Dienstleistungen auf den Markt zu bringen, die besonders auf die Bedürfnisse von Kundinnen zugeschnitten sind. So auch Britta Herbst (33). Die Steinhagenerin, die auch Geschäftsführerin des Pioneer Clubs ist, gründete 2017 das Start-up Hear-her. Mit Kopfhörern führt sie ein technisches Produkt. Den überwiegend männlichen Ingenieuren hält sie vor, Frauen immer erst am Ende als Kundinnen in den Blick zu nehmen: „Eine besondere Farbe macht noch kein Produkt für Frauen.“ Bei Hear-her legt Herbst außer auf Tonqualität Wert darauf, dass die Kopfhörer leicht und nicht zu voluminös sind, dass sie Körperbewegungen beim Joggen und Arbeiten gut mitgehen und dass Telefonanrufe problemlos dazwischen kommen können. 2018 auf der IFA in Berlin vorgestellt ist Hear-her inzwischen bei mehreren Fachhändlern im Programm. Den größten Umsatzanteil aber erzielte Herbst auch schon vor Corona im eigenen Onlineshop.
Auch Shamala Hinrichsen (45) zielt mit ihrem Produkt vor allem auf Frauen – wenn auch in ganz anderer Weise und an ganz anderen Plätzen in der Welt: Ihre Firma Hanai vertreibt in Regionen, in denen Frauen keinen oder kaum Zugang zu moderner Medizin haben, Gesundheits-Apps mit Tipps für das Erkennen und die Behandlung verbreiteter Krankheiten. Auf die Idee kam Hinrichsen, die teils in San Francisco, teils in Bielefeld lebt, während einer viermonatigen beruflichen Auszeit in Indien. Gestartet ist sie in dem Land, wo sie ihre Wurzeln hat: in Malaysia und dort bei indigenen Gruppen. Diese leben abgeschieden, sprechen oftmals ihre eigene Sprache. Indigene Frauen haben zwar, so Hinrichsen, keinen Zugang zum Gesundheitssystem, aber Handys seien sehr verbreitet. Finanziert werden die Projekte von kommunalen Behörden und Nichtregierungsorganisationen, sogenannten NGOs. Inzwischen konnte Hanai weitere Projekte in Afrika generieren. In Kenia soll die App vor allem minderjährigen Müttern und Sexarbeiterinnen zur Verfügung gestellt werden.
Christiane Matuschka hat als selbstständige Unternehmensberaterin mit Schwerpunkt Personal, Organisation und dem Coaching von Führungskräften bereits viel Erfahrung auch in Großkonzernen gesammelt. Im Pioneers Club schätzt sie die besondere Arbeitsatmosphäre. Matuschkas WAHR-Akademie ist Programm, stehen doch die Buchstaben für Wertschätzung, Achtung, Haltung und Respekt. Vor der Pandemie waren Matuschka und ihr Team ständig unterwegs: Gecoacht wurde „Face to Face“, also von Angesicht zu Angesicht – „weil so leichter eine Vertrauensbasis hergestellt werden kann“. Das ist, so Matuschka, mit Videokonferenzen seit Beginn der Pandemie schwieriger. Gleichzeitig sei aber der Beratungsbedarf der Kunden zu Beginn der Pandemie enorm gestiegen: Wie organisiert man Arbeit neu, damit die Belegschaft geschützt ist und das Unternehmen trotzdem funktioniert? Wie schafft man es, den Zusammenhalt der Belegschaft auch unter den Bedingungen des Homeoffice aufrecht zu erhalten? Wie geht man als Managerin oder Manager mit der Angst um den Arbeitsplatz bei den Beschäftigten um? Fragen, die, so Matuschka, auch in Videokonferenzen besprochen werden können.
Thao Steinmann
Grundsätzlich, so sagen alle vier Gründerinnen, kommen Frauen mit den Herausforderungen der Pandemie besser zurecht als viele Männer. „Unser Alltag im Job, im Haus und in der Familie fordert auch schon in normalen Zeiten so viel Kreativität und Flexibilität, dass uns auch Covid-19 nicht so leicht aus der Bahn werfen konnte“, sagt Thao Steinmann. Allerdings sei die Belastung in der Pandemie noch größer geworden.
Grundsätzlich sehen die Unternehmerinnen im richtigen Partner einen entscheidenden Erfolgsfaktor. Zum einen sinke in der Regel bei einer Unternehmensgründung erst einmal das Familieneinkommen, obwohl die Arbeit außerhalb der Familie zunehme. „Die Versuchung, eine Unternehmensgründung als Hobby zu betrachten, scheint dann, wenn Frauen betroffen sind, relativ verbreitet zu sein“, meint Herbst. Das gelte nicht nur für das Umfeld in Familie und Freundeskreis, sondern auch bei Banken und Investoren. Da haben es, das bestätigen alle vier, Frauen besonders schwer.
Steinmann musste persönlich auch damit zurecht kommen, dass „ich nach der Gründung zunächst kein eigenes Einkommen hatte“. Schließlich ist Unabhängigkeit für die meisten Gründer, ob Frau oder Mann, auch ein Motiv, sich selbstständig zu machen.
„Anders als Männer“, erklärt Hinrichsen, „haben Frauen ein Problem damit, sich Hilfe im Haushalt und bei der Kindererziehung zu holen“. Das müssten sie ablegen, auch wenn das vom Umfeld vielleicht nicht goutiert werde. Auch ihre Kräfte seien endlich. „Stimmt“, fügt Matuschka hinzu. „Und deshalb ist es wichtig, dass Politik und Gesellschaft ihnen mehr entgegenkommen.“ Im Vergleich zu anderen, vor allem skandinavischen Ländern hinke Deutschland etwa bei der Ausstattung mit Kitas und Betriebskindergärten weiter hinterher.
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