Flüchtling hat dringenden Termin im Jobcenter und wird von Busfahrer rausgeworfen, weil er kein Kleingeld hat
Einfach stehen gelassen
Versmold (WB). Er hat nur einen 50-Euro-Schein zum Bezahlen dabei. Der Busfahrer der Busverkehr Ostwestfalen GmbH (BVO) kann diesen nicht wechseln und verweigert ihm die Fahrt. Habtom Behane wird laut Zeugenaussagen unter Beschimpfungen und drohenden Gebärden aus dem Bus geworfen.
Für Habtom Behane ist diese Busfahrt am Dienstagmorgen wichtig. Sehr wichtig sogar. Er hat um 10.30 Uhr einen Termin beim Jobcenter in Halle. Der 25 Jahre alte Mann, der aus Eritrea flüchtete und seit einem Jahr in Versmold lebt, ist seit wenigen Wochen als Flüchtling anerkannt. Er sucht eine Arbeit, eine Wohnung, will nach Verfolgung, Flucht und jahrelangen Entbehrungen ein neues Leben beginnen. Jetzt steht er mit seiner Einladung des Jobcenters vor dem Fahrer. Versucht zu erklären, dass er mitfahren müsse. Sonst bekomme er Ärger beim Jobcenter, wenn er diesen Termin verpasst. Behane, der sehr gut Deutsch spricht, bietet an, dem Fahrer die 50 Euro zu geben und in Halle möglichst schnell Wechselgeld zu besorgen.
»Du fährst nicht mit«
Es hilft nichts. »Du fährst hier nicht mit«, sagt ihm der Busfahrer in einem unmissverständlichen, drohenden Ton und duzt ihn einfach. »Der hat sich total cholerisch aufgeführt«, bestätigt Iris Klein. Sie wohnt gegenüber der Haltestelle »Friedhof« an der Berliner Straße und pflegt gerade ihren Vorgarten, als sie die Szene hautnah mitbekommt. Auch andere Fahrgäste und Zusteigende hören, wie der dunkelhäutige Mann aus Eritrea beschimpft und abgewiesen wird. Behane kennt schwierige Situationen. Er hat schon viel Schlimmeres erlebt, seit er im August 2013 als Student vor der Zwangsrekrutierung durch die Armee aus dem diktatorisch geführten Eritrea floh. Über Wochen schlug er sich über Äthiopien und den Sudan nach Lybien durch. Geriet Schleusern in die Hände, wurde mit 350 anderen drei Monate lang in eine kleine Wohnung eingesperrt. Bis seine in Saudi-Arabien lebende Schwester die geforderten 1800 US-Dollar überwies und er auf einem sogenannten Seelenverkäufer nach vier Tagen Sizilien erreichte.
Zeugin ist empört
Der Bus fährt ab. Iris Klein ist wütend. »Den Fahrer hätte ich am liebsten aus dem Bus gezerrt. So kann man doch einen Menschen nicht behandeln. Das ging deutlich zu weit«, empört sich die Versmolderin. Behane fühlt sich hilflos, beleidigt. Iris Klein nimmt sich des verzweifelten jungen Mannes an, der ihr anhand des Schreibens seine Not erklärt. Er will alles richtig machen. Doch jetzt läuft alles falsch. Sie ruft im Bürgerbüro der Stadt Halle an, schildert den Fall, lässt sich zum Jobcenter verbinden. Erklärt dem zuständigen Sachbearbeiter, was vorgefallen ist und warum sein Kunde heute nicht kommen kann. Der Berater reagiert verständnisvoll. Behane bekommt am heutigen Mittwochmorgen einen neuen Termin. Die Stellungnahme der BVO: »Der Fahrer eines unserer Auftragsunternehmen hat sehr unter Zeitdruck gestanden.« Dieser habe den Takt wegen der wichtigen Zugverbindung in Halle einhalten müssen. Nach Aussage des Fahrers habe er in Versmold bereits vier Minuten Rückstand gehabt.
Gegen Regeln der BVO
Hinzu komme, dass er auf der Strecke häufiger Fahrgäste erlebe, die nach seiner Aussage bewusst mit einem 50-Euro-Schein bezahlen wollten, in der Hoffnung, dass er nicht wechseln könne und die Leute ohne zu zahlen mitnähme. Laut den Bestimmungen sind Busfahrer tatsächlich nicht verpflichtet, Geldscheine größer als zehn Euro anzunehmen. Ein Rausschmiss von Passagieren steht allerdings nicht in den Beförderungsbestimmungen, wie die Sprecherin der BVO einräumt. Vielmehr hätte der Fahrer den Dienstweg einhalten müssen: die 50 Euro annehmen, eine Quittung über die Summe abzüglich des Fahrpreises ausstellen und den Fahrgast mitnehmen. »Dieser kann die Quittung dann per Post bei unserer Servicestelle einreichen und bekommt das Geld zurücküberwiesen«, erklärt die Sprecherin. Der mit den Vorwürfen konfrontierte Fahrer habe sich glaubhaft für sein Benehmen entschuldigt. Es tue ihm leid, wenn sein Verhalten so angekommen sei. Es handele sich um ein Missverständnis. Auch solche »Missverständnisse« kennt Behane. Er hat eine Odyssee als Illegaler durch halb Deutschland hinter sich. Er landet in Frankfurt, will weiter nach Norwegen, wird ohne jegliche Ausweispapiere in Hamburg abgefangen, die Polizei setzt ihn mit einem Ticket in den Zug nach Dortmund. Er wird nach Hemer verfrachtet, dort gibt es keinen Platz, es geht weiter nach Schöppingen. Bis er schließlich in Versmold landet.
Wie Versmolder helfen
Hier findet er endlich Leute, die ihn freundlich aufnehmen, ihm helfen, ihn auch als Mensch respektieren, ihm seine Würde zurückgeben. Wie die Flüchtlingsbeauftragte Hildegard Kempf von der Stadt, die ihm Wege zur Integration weist. Wie Anja Keppler, die hilft, ihn mit Kleidung und Lebensmitteln auszustatten. Wie sein Landsmann Hanok Tekie, der die Kontakte zur Schule herstellt. Oder wie sein Deutschlehrer Kazimierz Jaworski, der ihn auch jetzt weiter begleitet, nachdem sein Asylverfahren abgeschlossen ist.Behane will sich nicht entmutigen lassen. Und unbedingt bleiben. Eine Alternative sieht er ohnehin nicht. »Wenn ich nach Eritrea zurückgehen würde, stecken sie mich für 15 Jahre ins Gefängnis.«
Startseite