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Christine von Brühl beeindruckt 70 Zuhörerinnen mit ihrem Buch in Werther

Fontane, der Frauenversteher

Werther (WB). Heute würde man Theodor Fontane vielleicht einen „Frauenversteher“ nennen. Für einen Mann des 19. Jahrhunderts war es umso außergewöhnlicher, Frauen zuzuhören, mit ihnen zu plaudern, sich für ihr Befinden überhaupt zu interessieren. So hatte der Schriftsteller alsbald den Spitznamen „Nöhl“ weg, was nach Berliner Schnauze soviel wie „Plauderei, Quasselei“ heißt.

Annemarie Bluhm-Weinhold

„Gerade dadurch sind sie mit lieb“, hat Christine von Brühl ihr Buch über “Theodor Fontanes Frauen“ genannt. Die Frauen im Altkreis Halle hat sie damit mehr als eine Stunde lang in gespannter Aufmerksamkeit unterhalten. Foto: Annemarie Bluhm-Weinhold

Mit dieser kleinen Pointe eröffnete Autorin Christine von Brühl die gut besuchte Lesung am Donnerstagabend im Haus Werther. Vor mehr als 70 fast ausschließlich Zuhörerinnen stellte sie im Rahmen des „Leseherbstes“ ihr Buch „Theodor Fontanes Frauen“ vor. Mehr als eine Stunde lang las und referierte sie in einem spannenden, sprachlich und rhetorisch hervorragenden Vortrag über die realen Frauen in Fontanes Leben und stellte Bezüge zu seinen literarischen Frauenfiguren her.

Wie kein anderer verstand es Fontane, eindrückliche Frauenportraits zu schaffen

Wie kein anderer verstand es Fontane, eindrückliche Frauenportraits zu schaffen. „Interessant ist, dass es gerade die Frauenfiguren sind, an denen Fontane exemplarisch die gesellschaftlichen Widersprüche aufzeigte, die er zu kritisieren suchte. In ihren Lebensentwürfen kulminieren die dramatischen Momente, die solche Widersprüche nach sich ziehen“, sagt Christine von Brühl. „Wenn es einen Menschen gibt, der für Frauen schwärmt, und sie beinahe doppelt liebt (...), dann bin ich es“, hat der Dichter selbst in einem Brief bekannt.

„Woher rührte diese Leidenschaft?“, fragt Christine von Brühl, in Berlin lebende Journalistin und Autorin. So nimmt sie das Verhältnis Fontanes zur Mutter, zu seinen Schwestern Jenny und Elisabeth, zu seiner Ehefrau Emilie, „mit der er Ehe auf Augenhöhe führte“, so von Brühl, und vor allem auch zu seiner über alles geliebten Tochter Martha detailliert in Augenschein. Auch drei Frauen aus dem nicht-familiären Umfeld kommen vor. Etwa die Diakonisse Emmy Dankwerts, die Fontane, gelernter Apotheker, zur Pharmazeutin ausbildete. Diakonisse ist, das machte von Brühl deutlich, ein Lebensentwurf für Frauen im 19. Jahrhundert, unverheiratet und unabhängig unter dem Schutz ihrer Haube zu leben.

Doch die Schranken für weibliche Selbstständigkeit waren eng gesteckt. Die Tragik der gut ausgebildeten Frau, mit offener und eloquenter Art, die mehr als Lehrerin werden könnte, zeigt sich in Tochter Martha, die ebenfalls an ihrem Leben zerbrach.

Die in den 1860er Jahren entstehende Frauenbewegung nahm Fontane zur Kenntnis

So deutlich Fontane die gesellschaftlichen Widersprüche, ja die Ungerechtigkeiten gegenüber Frauen sah – er beschrieb sie, er nutzt sie literarisch, dramaturgisch – aber er wurde nicht zum Streiter für Frauenrechte. Die in den 1860er Jahren entstehende Frauenbewegung nahm er zur Kenntnis, war sogar befreundet mit Aktivistin Hedwig Dohm, aber „er war kein frauenbewegter Mann“, so von Brühl.

Fontane Protagonistinnen sind bei allen Inspirationen aus dem realen Leben, frei erfunden. Auch das machte Christine von Brühl deutlich. Und zeigte am Beispiel Effi Briests, wo Fontane Vorbilder für seine Frauenfiguren fand. Das Schicksal der Elisabeth von Ardenne fand 1886 auch in der Presse große Beachtung, als ihr Liebesverhältnis zu Amtsrichter Emil Hartwich, einem Freund der Familie, aufflog und ihr Gatte Armand von Ardenne diesen im Duell tötete. Wie Effi wurde auch Elisabeth geschieden, vorübergehend verstoßen und ihrer Kidner beraubt. Im Gegensatz zu Effi wurde sie aber Krankenschwester, traf ihre Kinder nach 20 Jahren wieder und wurde 98 Jahre alt. „Effi Briest“ ist 1894 Fontanes später Durchbruch, ein Bestseller.

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