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Erdbeben-Katastrophe in der Türkei und Syrien: Bünder Aleviten sind in Sorge um Angehörige und organisieren Spendenaktion

„Das ist wie nach einem Krieg!“

Bünde

Schreckliche Bilder und verzweifelte Sprachnachrichten von Verwandten, Bekannten, Freunden aus dem Erdbebengebiet in der Türkei erreichen derzeit auch die Mitglieder der Aleviten-Gemeinde in Bünde. Im Südosten des Landes und im angrenzenden Syrien liegen Dörfer und Städte in Ruinen. „Das ist wie nach einem Krieg“, sagt Gemeindemitglied Ilknur Güler. Sie ergänzt: „Wir wollen den Betroffenen helfen.“

Ein Retter sucht nach dem Erdbeben im türkischen Kahramanmaras nach Überlebenden. In der Region leben auch zahlreiche Aleviten. Foto: Mustafa Kaya/dpa

Stunde um Stunde werden die Opferzahlen nach den verheerenden Beben vom vergangenen Montagmorgen nach oben korrigiert. Am Donnerstagmittag waren bereits 17.000 Tote geborgen worden. Die Anteilnahme weltweit ist groß, die Hilfsbereitschaft ebenso.

Bangen um Angehörige

Auch die Bünder Aleviten berichten von Menschen, die sie kannten, die bei der Naturkatastrophe ums Leben gekommen sind. „Viele unserer Gemeindemitglieder stammen aus Kahramanmaras“, erzählt Ilknur Güler. In der türkischen Provinz leben etwa 1,2 Millionen Menschen, dort soll auch das Epizentrum des Bebens gelegen haben.

„Dort gibt es sehr viele kurdische oder türkische Aleviten. Zahlreiche Gebäude liegen in Schutt und Asche, die Infrastruktur ist zerstört. Viele Überlebende sind obdachlos, laufen teilweise nur in ihren Schlafanzügen bekleidet über die Straßen. Und dabei sind Temperaturen dort teilweise niedriger als in Deutschland. Es schneit sogar“, sagt die Bünder Alevitin. Einige Gebiete seien von der Außenwelt regelrecht abgeschnitten, Helfer könnten kaum dort hingelangen, zahlreiche Flughäfen in dem Gebiet seien nicht mehr erreichbar. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte für mehrere betroffene Provinzen den Ausnahmezustand ausgerufen.

Was ist mit der Erdbebensteuer?

Ein weiteres Gemeindemitglied erzählt von Bekannten, die in der Region gewohnt haben: „In einem Vier-Parteien-Haus, das ist eingestürzt. Alle Bewohner sind gestorben. Die Tochter der Familie war erst 18 Jahre alt“, informiert der Mann – und sein Blick wird ernst. Trotz der dramatischen Lage hätten die Bünder Aleviten Kontakt zu Helfern vor Ort, die teils mit bloßen Händen in den zerstörten Häusern nach Opfern oder Überlebenden suchen würden. „Die sind teilweise schon tagelang im Einsatz, aber ihre Kräfte lassen nach. Es fehlt an schweren Geräten für die Bergung. Sie berichten, dass es kaum Unterstützung von offiziellen Stellen der Türkei gebe“, erklärt Ilknur Güler.

Sie geht davon aus, dass es vermutlich Jahre dauern werde, bis die Infrastruktur wieder aufgebaut worden sei. Anlaufstellen für viele Betroffene in der Erdbebenregion seien alevitische Gebetshäuser vor Ort – die Cems. „Dort bekommen die Menschen was zu Trinken und zu Essen“, berichtet Güler. Sie hinterfragt zugleich kritisch, was mit den Einnahmen aus einer sogenannten Erdbebensteuer passiert, die der türkische Staat nach einem schweren Beben vor mehr als 20 Jahren eingeführt hatte. Es soll sich um einen Euro-Betrag in Milliarden-Höhe handeln: „Wo ist das Geld?“

Appell der Vorsitzenden

„Die Aleviten-Gemeinde Bünde in besteht seit 30 Jahren und zeigt jederzeit Solidarität für alle Menschen in Not. Die Gründer der Aleviten-Gemeinden in ganz Deutschland  sind die Generationen der „Gastarbeiter". Die Kinder dieser „Gastarbeiterfamilien" sind in Deutschland geboren und aufgewachsen. Wir sind Teil der Gesellschaft in Deutschland. Wir sind Bürger des Kreises Herford. Unsere Familien und Freunde in der Türkei sind schwer betroffen. Viele haben leider nicht überlebt. Überlebende und Betroffene in Syrien und der Türkei brauchen jetzt jede Unterstützung und jeden Zuspruch“, appelliert nun Mine Dogan, Vorsitzende der Bünder Aleviten.

Die Mitglieder der Bünder Aleviten-Gemeinde sind in Sorge um ihren Angehörigen und Freunde im Erdbebengebiet und stellen eine Spendenaktion auf die Beine. Foto: Daniel Salmon

Bei einer Versammlung am Mittwochabend gedachten sie und zahlreiche weitere Gemeindemitglieder der Opfer des Bebens, zündeten Kerzen an. Bereits zwei Tage zuvor, am Abend nach der Naturkatastrophe in der Türkei und Syrien, hatten sich die Vorstände der sechs alevitischen Gemeinden in OWL getroffen, ein Konzept erstellt, wie man die Hilfe für die Krisengebiete koordinieren könne: „Und zwar so, dass sie direkt vor Ort bei den Betroffenen ankommt“, so Ilknur Güler. Und Mine Dogan betont: „Wir bitten um Solidarität der Bürger hier in Deutschland.“ Zunächst gehe es darum, Geldspenden zu sammeln. Später, wenn der Transport von Sachspenden in die Erdbeben-Provinzen gewährleistet werden könne, würden auch Hygieneartikel, Zelte, Heizgeräte und weitere Dinge des täglichen Bedarfs gefragt. „Denn die Menschen in den betroffenen Gebieten haben alles verloren“, so Ilknur Güler abschließend.

„Jede Hilfe zählt“

Wer die Spendenaktion der Alevitischen Gemeinden in Deutschland für die Erdbebenopfer unterstützen möchte, wird gebeten, Geld auf das Konto der Aleviten-Gemeinde Bünde und Umgebung zu überweisen. Sämtliche entsprechende Daten sind auf der Facebookseite „Aleviten Gemeinde Bünde“ hinterlegt. „Die Spenden werden weitergeleitet an die Spendenaktion der AABF – Alevitische Gemeinde Deutschland, um eine einheitliche Koordination der Hilfe zu gewährleisten. Jede Sekunde, jede Hilfe und jeder Cent zählen“, betont Mine Dogan.

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