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Dr. Olaf Reinmuth, Superintendent im Kirchenkreis Herford, über Präsenzgottesdienste

„Einige wollen jetzt schon anfangen“

Herford (WB)

„Leicht haben wir es uns wirklich nicht gemacht“, sagte Superintendent Dr. Olaf Reinmuth am 15. Dezember 2020, nachdem nach einer Online-Konferenz mit Präses Annette Kurschus und den westfälischen Superintendenten die Empfehlung an die Gemeinden rausging, auf Präsenzgottesdienste vorerst zu verzichten.

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„Ich verstehe die Ungeduld sehr, aber für die Bekämpfung der Pandemie wäre es besser, wenn wir uns noch eine Weile zurückhalten“, sagt Olaf Reinmuth. Foto: Moritz Winde

Eine Entscheidung hierüber fällt das jeweilige Presbyterium vor Ort. Bislang haben sich im Ev. Kirchenkreis alle daran gehalten. Aber Dr. Olaf Reinmuth fürchtet, dass die einheitliche Linie verloren geht, wie er im Interview mit HK-Redakteur Ralf Meistes sagt. Aus seiner Sicht wäre es aber besser, wenn sich die Gemeinden in dieser Frage noch ein wenig zurückhalten würden.

Wann haben Sie Ihren letzten Präsenzgottesdienst gefeiert?

Dr. Olaf Reinmuth: Das war am 15. November in der Lukaskirche in Holsen. Ganz normaler Gottesdienst, neue Lieder, kurze Liturgie. Da gibt es ein Team von drei Leuten, die begleiten das digital. Der Gottesdienst wurde auf einer Videoplattform übertragen. Musik war dabei, schön. Gut 30 Leute waren vor Ort. Schöne Stimmung, kleine Gespräche beim Reingehen und Rausgehen waren trotz Abstand möglich. Vorsichtig, aber nah. Das hat gutgetan, nicht bloß mir.

Wann rechnen Sie wieder mit Präsenzgottesdiensten in den Gemeinden des Ev. Kirchenkreises?

Reinmuth: Gute Frage. Einige wollen jetzt schon anfangen und haben Konzepte dafür. Die katholischen Geschwister machen das ja auch. Insgesamt hoffentlich in zwei Wochen, also Ende Februar. Allerdings verschiebt es sich gerade noch einmal um weitere zwei Wochen. Wäre schon schön, denn ganz ohne Kontakt geht es nicht. Digital ist bereichernd, es gibt wirklich schöne Sachen, ruhig und nachdenklich, gut gemacht. Aber wir brauchen den persönlichen Kontakt für die Seele ganz dringend.

In einigen Gemeinden, beispielsweise der katholischen Gemeinde in Bünde, gibt es bereits wieder Präsenzgottesdienste. Erhöht das nicht auch den Druck in den Gemeinden des Evangelischen Kirchenkreises, wieder Präsenzgottesdienste zu feiern?

Reinmuth: Ja, schon. Es gibt bei uns unterschiedliche Einschätzungen, unterschiedliche Entscheidungen. Wie sonst ja auch. Letztendlich entscheidet jedes Presbyterium in jeder Gemeinde selber über die Gottesdien-ste. Wir werden die einheitliche Linie verlieren. Damit rechne ich. Das macht die Sache nicht einfacher. Das muss man dann aushalten. Ich verstehe die Ungeduld sehr, aber für die Bekämpfung der Pandemie wäre es besser, wenn wir uns noch eine Weile zurückhalten.

Als vor Weihnachten die Präsenzgottesdienste mit Blick auf die Infektionslage abgesagt worden sind, haben Sie erwähnt, wie sehr um diese Entscheidung gerungen worden ist. Wie ist derzeit die Stimmungslage in den Gemeinden?

Reinmuth: Ich sehe viel Kreativität, viel Experimentierlust. Immer mehr Felder, die ins Digitale gehen. Fortbildungen zum Beispiel sind stark nachgefragt. Unsere Synode war ein anderes Beispiel. Das hat ja Spaß gemacht, muss ich schon sagen - und nicht nur mir. Natürlich gibt es Genervtheit wegen der Pandemie, seelische Kurzatmigkeit stellt sich ein. Viele fürchten um die Gruppen, um die Chöre. Da wird viel Aufbauarbeit nötig sein. Das macht Sorgen.

Aus der Not heraus sind Online-Gottesdienste entstanden, in denen einige Gemeinden sich außerordentlich kreativ zeigen. Wie sehr ist die Digitalisierung der Kirche aus Ihrer Sicht inzwischen vorangeschritten?

Reinmuth: Ziemlich schnell, ziemlich weit. Viel bewährt sich gut. Es gibt tolle nachdenkliche Gottesdienste. Besprechungen in kleiner Runde lassen sich schnell ins Digitale verlegen. Das ist inzwischen Standard geworden. Jetzt, wo die Straßen aufgrund von Schnee und Eis zum Teil noch unpassierbar sind, kann man schnell umschwenken und trotzdem arbeiten. Ich habe auch schon Kollegen im Zoom kennengelernt und einen persönlichen Eindruck von ihnen bekommen. Die Synode wurde von so vielen live mitverfolgt wie noch nie. Mehr als 900 Leute haben das Video inzwischen aufgerufen. Die Klickzahlen sind beeindruckend. Das kitzelt sogar den Ehrgeiz. Wir bearbeiten das Thema Digitalisierung an vielen Stellen.

Sie sind seit September Superintendent. Haben Sie mittlerweile alle Gemeinden und Institutionen im Kirchenkreis persönlich kennengelernt?

Reinmuth: Ich nutze jede Gelegenheit, die sich bietet, gehe aber von Anlässen aus, die da sind. Ich führe sehr viele persönliche Gespräche zur Vorbereitung von Entscheidungen oder für Einführungen, Verabschiedungen, für Planungen. Sehr viele kenne ich schon, aber nicht in der neuen Rolle. In der anderen Rolle sich zu treffen, ist ziemlich spannend. Ganz rumgekommen bin ich nicht, aber ich bin tatsächlich viel in Kontakt. Das rettet mich in dieser dürren Zeit.

Der Tod gehört zum Leben und dass in Krankenhäusern und Altenheimen Menschen sterben, ist nicht ungewöhnlich. Aufgrund des Covid-19-Virus sterben viele Menschen aber alleine. Das sorgt auf Krankenstationen und in Alten- und Pflegeheimen gleichermaßen für Belastung. Was bekommen Sie davon mit? Wie kann Kirche da unterstützen?

Reinmuth: Im ersten Lockdown habe ich es noch selber erlebt, dass jemand Dementes im Sterben einfach nicht besucht werden konnte. Sehr hart, verständlich aus der Furcht, aber letztlich unmenschlich. Es hat sehr lange gedauert, bis in den Altenheimen diese Begegnungsschleusen geöffnet waren. Alle versuchen ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Wenn das Virus drin ist, ist es sehr schwer für ein Haus. Aber die Menschen dort darben und zehren sich aus vor Einsamkeit. Die Kollegen und Kolleginnen machen das, was möglich ist, versuchen ansprechbar zu sein, zu lindern, zu begleiten. Das kann Kirche, wenn die Häuser nicht komplett geschlossen sind. Kirche kann auch aufmerksam machen auf die Notlagen in den Altenheimen und Krankenhäusern. Anfang März pflanzen wir auf dem Marienfriedhof einen Baum als Zeichen der Hoffnung und der Erinnerung. Ein Zeichen fürs Leben. So soll das wirken.

Hatten Sie schon den Moment, an dem Sie gedacht haben, wenn die Pandemie vorüber und das Abstandhalten nicht mehr geboten ist, dann feiern wir mit allen Gemeinden/Institutionen im Kirchenkreis ein Fest?

Reinmuth: Ich freue mich riesig auf den ersten Handschlag, ich bin ein begeisterter Händeschüttler, das Schulterklopfen, was ich wirklich gerne mache, auf Umarmungen, die gerade so tabu sind. Ich stelle mir vor, dass ich es dann gar nicht fassen kann, wenn das wieder möglich ist. Körperkontakt, meine Güte! Ein Fest mit allen wäre schön. Es gibt viel nachzuholen, wenn es so weit ist. Wir sollten das dann genießen und nicht in Panik ausbrechen und alles nachholen wollen, was jetzt nicht möglich ist. Das wird ja Schritt für Schritt gehen. Viele Vorbereitungen, erst kleine Feste, dann vielleicht ein großes. So könnte ich es mir vorstellen.

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