Hüseyin Tabak im Gespräch: Regisseur aus Enger dreht mit Florian David Fitz
Den Ungehörten eine Stimme geben
Enger (WB). Im Mai war sein Debüt als „Tatort“-Regisseur zu sehen, Ende Juni lief sein neuer Film „Gipsy Queen“ in den deutschen Kinos an. Bis August dreht er noch mit Florian David Fitz („Willkommen bei den Hartmanns“, „Das perfekte Geheimnis“) in München: Der Engeraner Hüseyin Tabak ist offensichtlich gut im Geschäft. Über seine aktuellen Projekte und seine Vorliebe für die Widukindstadt hat er mit Redakteurin Ruth Matthes gesprochen.
Sie drehen derzeit mit Florian David Fitz und dem in Herford-Eickum geborenen Gustav Peter Wöhler in München ihren neuen Film „Oskars Kleid“. Können Sie uns schon etwas über den Inhalt verraten?
Hüseyin Tabak: Florian spielt darin einen Vater, der geschieden ist. Seine Ex-Frau ist von ihrem neuen Freund schwanger und liegt im Krankenhaus, so dass er sich um die Kinder kümmern muss, die er alle paar Wochen sieht. Dabei stellt er fest, dass sein neunjähriger Sohn lieber ein Mädchen wäre als ein Junge. Es geht um die Suche nach Identität, bei dem Vater, der seinen Platz in der Familie finden muss, ebenso wie bei seinem Jungen.
Was reizt Sie an diesem Stoff?
Tabak: Ich erzähle in meinen Filmen oft von Menschen, die durch ihr Wesen aus der Gesellschaft ausgeschlossen sind. In ‚Das Pferd auf dem Balkon‘ stand zum Beispiel ein Neunjähriger mit dem Asperger-Syndrom im Mittelpunkt. Es reizt mich immer wieder, mich in solche Themen einzuarbeiten. Es ist erstaunlich, wie viele Menschen schon sehr früh merken, dass sie sich in ihrem Körper nicht wohl fühlen. Mein Anliegen ist es, denen, die in der Gesellschaft keine Stimme haben, eine Stimme zu geben.
Drehen und Corona
In diesem Fall ist der Drehbuchautor Fitz als einer der Hauptakteure beim Dreh dabei. Ist das ein anderes Regieführen als ohne Autor am Set?
Tabak: Ja, aber ein sehr angenehmes. Ich bin ein Regisseur, der sich gerne mit dem Drehbuchautor bespricht. Daher empfinde ich es als absolute Bereicherung, dass Florian auch die Hauptrolle spielt. Er ist ein absoluter Profi, der wie ich ganz im Dienst des Films steht. Die Zusammenarbeit läuft super. Ich schätze seine Drehbücher, die sehr emotional sind und nah an den Personen. Daher habe ich mich auch gefreut, als er mich den Produzenten als Regisseur vorgeschlagen hat.
Wie muss man sich das Drehen in Corona-Zeiten überhaupt vorstellen?
Tabak: Das gesamte Team wird Anfang jeder Woche getestet. Zudem sind wir auf dem Set mit Masken und sehr strikten Hygiene-Vorschriften unterwegs. Zum Beispiel wird getrennt Mittag gegessen und sogar jeder Komparse wird getestet. Das ist zwar etwas aufwändig, aber durchaus zu machen.
Neue Projekte
Wie haben Sie die drehfreie Zeit überbrückt?
Tabak: Ich habe die Zeit genutzt, um mich auf den aktuellen Dreh vorzubereiten und um zu schreiben. Für den Schauspieler Peter Simonischek habe ich das Drehbuch zum Film „Der letzte Deutsche“ geschrieben, den ich mit meiner eigenen Engeraner Firma Epik Film produziere. Es geht darin um einen 89-Jährigen, der mit 14 Jahren als Hitler-Junge an die Front geschickt wurde und dessen Weltbild sich durch neue Bekanntschaften im hohen Alter noch einmal komplett ändert.
Haben Sie mit Ihrer Firma weitere Filmprojekte in Vorbereitung?
Tabak: Insgesamt arbeiten wir bei Epik Film an vier Filmprojekten. Eines davon ist „Roter Wein“. Im Mittelpunkt steht ein Kriegsfotograf, der durch ein Ereignis in eine Welt zwischen Leben und Tod gerät. Es wird ein sehr surrealer Film werden.
„Tatort“-Debüt
Am 25. Juni hatte ihr Kino-Film „Gipsy Queen“ Premiere. Darin geht es um eine alleinerziehende Mutter, die von ihrer osteuropäischen Roma-Gemeinde und ihrem Vater verstoßen wird und ihr Glück in Deutschland sucht. In ihrer Existenznot steigt sie im Boxkeller einer Hamburger Kneipe in den Ring. Sie haben auch das Drehbuch geschrieben. Wie kamen Sie auf diesen Stoff?
Tabak: Ich habe dabei an meine Mutter gedacht. Sie hat wie die Boxerin täglich für die Zukunft ihrer Kinder gekämpft, sie hat immer hart gearbeitet, um uns alles zu ermöglichen. Dafür hat sie mehrere Jobs gehabt und so manche Nacht durchgearbeitet. Ihr und auch meinem hart arbeitenden Vater habe ich es zu verdanken, dass ich Abitur machen und ein Jahr in den USA leben konnte. Gipsy Queen steht zwar als Migrantin außerhalb der Gesellschaft, aber die Geschichte könnte auch von einer deutschen Mutter handeln. Ich finde, dass fast alle Mütter gegenüber ihren Kindern aufopferungsvoll sind.
Im Mai ist Ihr Fernseh-Debüt, der Tatort „Borowski und der Fluch der weißen Möwe“, zu sehen gewesen. Wird es weitere Tatort-Folgen à la Tabak geben?
Tabak: Ich hatte nach der Ausstrahlung mehrere Anfragen. Es hat mir viel Freude bereitet, mit den ausgezeichneten Hauptdarstellern zu arbeiten und ich könnte mir durchaus vorstellen, einen weiteren Tatort zu drehen. Allerdings möchte ich mich jetzt erst einmal weiter dem Kino widmen. Wenn man das Glück hat, Kinofilme drehen zu können, sollte man das auch ausnutzen. Man hat mehr Zeit und ein anderes Budget als beim Fernsehen, kann viel tiefer in die Geschichte eindringen und hat mehr Freiheiten. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Filme dann am besten gelingen, wenn alle im Team die Freiheit haben, ihr Bestes zu geben.
Leben in Enger
Werden Ihre Filme auch bald bei uns zu sehen sein?
Tabak: „Oskars Kleid“ soll am 25. Februar in die Kinos kommen. Für den Film „Gipsy Queen“, der seit letztem Wochenende in 55 Kinos zu sehen ist und auch nach Shanghai, Rumänien, in die Türkei und nach China verkauft ist, bin ich im Gespräch mit der ‚Kamera‘ in Bielefeld, dem Zentraltheater Spenge und dem Kino in Bad Salzuflen. Ich bin zuversichtlich, dass ich den Film dort im Herbst zeigen und auch dabei sein kann.
Sie sind in Bad Salzuflen aufgewachsen, haben beim Film in Hamburg gearbeitet und in Wien studiert. Wie kommt es, dass Sie als gefragter Filmregisseur mit Ihrer Familie nun ausgerechnet in Enger leben?
Tabak: Meine Frau stammt aus Enger. Nach dem Studium sind wir zunächst nach Hamburg gezogen, doch wir haben bald gemerkt, dass ich sehr viel unterwegs bin und das anonyme Leben in der Großstadt für Familien nicht optimal ist. Ganz anders in Enger: Hier hat meine Frau ihre alten Freunde, unsere Familien leben in der Nähe. Man lebt ländlich, aber doch nah an Bielefeld. Unsere beiden Söhne (4 und 7) fühlen sich wohl. Der größere und ich kicken in der lokalen Fußballmannschaft. Und abgesehen davon gibt es bei Degrassi das beste Eis der Welt.
Zur Person
Hüseyin Tabak ist Deutsch-Kurde, geboren 1981 in Bad Salzuflen als Kind türkischer Gastarbeiter. 2003 beginnt er, sich an Filmsets vom Praktikanten bis zum Regie-Assistenten hochzuarbeiten und dreht nebenbei selbst Kurzfilme. Von 2006 bis 2012 studiert er an der Filmakademie Wien Regie und Drehbuch.
Sein erster Kurzfilm „Cheeese“ wird zu mehr als 70 internationalen Festivals eingeladen und erhält 16 Auszeichnungen. 2013 startet Tabaks Kinospielfilm „Das Pferd auf dem Balkon“ mit Nora Tschirner. Beim internationalen Kinderfilmfestival in Frankfurt wird er mit dem Publikumspreis und auf dem Chicago International Children’s Film Festival mit dem Preis für den besten Kinderfilm ausgezeichnet.
Sein Drama „Deine Schönheit ist nichts wert“ erhält 2014 unter anderem in fünf Kategorien den Österreichischen Filmpreis, darunter bester Film, bestes Drehbuch und beste Regie. Sein Dokumentarfilm „Die Legende vom hässlichen König: Yilmatz Güney“ gewinnt den Hofer Dokumentarfilmpreis 2017.
Sein dritter Spielfilm „Gipsy Queen“ mit Alina Șerban und Tobias Moretti feiert beim Tallinn Black Nights Film Festival Weltpremiere und gewinnt dort den Preis der ökumenischen Jury und den Preis für die beste Hauptdarstellerin. Moretti erhält dafür 2020 den Österreichischen Filmpreis als bester Hauptdarsteller.
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