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Mirco Weigand aus Enger leidet seit 2011 an ALS – Ausflüge mit Wunschkind Finn (4) durch Corona stark eingeschränkt

Die Pandemie macht sehr einsam

Enger (WB)

Corona macht einsam – ganz besonders wenn man an ALS erkrankt ist und beatmet werden muss. Als Hochrisikopatient hat Mirco Weigand seinen besten Freund nahezu ein ganzes Jahr nicht gesehen, auf Physiotherapie und Logopädie verzichtet, um möglichst viele Kontakte zu vermeiden. Kraft gibt ihm seine Familie, mit der er heute nur noch über einen mit den Augen gesteuerten Sprachcomputer kommunizieren kann.

Kathrin Weege

Mirco Weigand ist auf Beatmung angewiesen. Sein Bett steht im Wohnzimmer, das von seiner Frau Janine und seinem Sohn Finn ebenfalls.  Foto: Kathrin Weege Foto: Kathrin Weege

Seine Krankheit hat die Ausflüge eingeschränkt, die Pandemie nun noch vielmehr. „Wo immer es geht, unternehmen wir etwas wie jede andere Familie auch“, sagt Janine Weigand. Die 39-Jährige war dieses Jahr unter anderen mit Sohn Finn (4) und Mirco auf dem Landesgartenschau-Gelände in Bad Lippspringe. „Wir haben einen Bulli, in den der Rollstuhl passt. Beatmungsgeräte und alles, was Mirco sonst so braucht, haben wir dann dabei“, berichtet die Engeranerin. Doch ein ganz intimer Familienausflug ist es nicht. Immer dabei ist ein Intensivpfleger, denn der 41-Jährige braucht eine 24-Stunden-Pflege. „Man gewöhnt sich daran. Es ist schon etwas komisch, wenn da morgens jemand ist, wenn ich aufwache“, erzählt Janine Weigand.

Sie übernachtet mit ihrem Sohn in einem Bett im Wohnzimmer. Dort schläft auch ihr Mann. „Finn hört die Geräusche der Beatmungsgeräte längst nicht mehr, er schläft sehr gut“, so die Mutter, die in Teilzeit als Erzieherin arbeitet.

Diesen Computer steuert Mirco Weigand mit den Augen. So kann er auch Texte verfassen und seiner Frau WhatsApp schicken. Foto: Kathrin Weege

Der kleine Junge weiß schon sehr genau, dass sein Papa krank ist und eines Tages dorthin kommt, wo auch seine Großeltern sind – in den Himmel. So hat es ihm die Mutter erklärt. Der Vierjährige kümmert sich um seinen Vater. Er geht zum Bett. Dann fragt er: „Papa, ist alles okay?“

Mirco Weigand blickt einmal nach unten. Das kann Finn deuten, läuft zur Mama und berichtet: „Ist alles gut.“ Auch einen speziellen Knopf an der Beatmungsmaschine darf Finn betätigen. „Wir haben ihm das genau gezeigt. Verbietet man Kindern alles, macht es das umso spannender, alles auszuprobieren. Und es wäre fatal, würde er versehentlich das Gerät abstellen“, sagt Janine Weigand. Finn weiß ganz genau: Für seinen Papa ist die Maschine lebenswichtig.

2011 fing alles an. Da hatte Mirco Weigand mit Schmerzen in der Schulter plötzlich erste Symptome. Die Familie hatte gerade das Haus in Pödinghausen gekauft und Weigand wollte mit der Renovierung durchstarten. 2013 dann die Diagnose nach einem Ausschlussverfahren: ALS. War es erst der Arm, den er nicht mehr bewegen konnte, saß er bald im Rollstuhl.

Seit 2015 ist Mirco Weigand auf ein Beatmungsgerät angewiesen. „Seitdem ist sein Zustand recht stabil“, sagt Janine Weigand. Regelmäßig muss der Intensivpfleger – nach einigem Ärger mit verschiedenen Diensten kommt nun „Jasper“ (Bonitas-Holding), mit dem Weigands sehr zufrieden sind – nach Mirco sehen, Werte kontrollieren oder Schleim absaugen. Denn der Patient kann nicht mehr selbstständig schlucken, husten oder sich räuspern.

Nach einer Nahtod-Erfahrung haben die Weigands beschlossen, sich den Traum von einer Familie zu erfüllen. „Uns war plötzlich klar, wie wichtig es ist, dass etwas von Mirco bleibt“, so Janine Weigand. Wunschkind Finn kam zur Welt und ist inzwischen vier Jahre alt.

Die Krankheit ALS

ALS steht für amyotrophe Lateralsklerose (ALS) und gehört zur Gruppe der Motoneuron-Krankheiten – eine nicht heilbare degenerative Erkrankung des motorischen Nervensystems. Die Lebenserwartung von Menschen mit ALS lässt sich aufgrund des unterschiedlichen Krankheitsverlaufs zwar kaum vorhersagen. Die mittlere Lebenserwartung ab Diagnosestellung liegt bei dreieinhalb Jahren, ein Drittel der Patienten lebt jedoch noch fünf Jahre und länger. Bewusster wurde die Krankheit seit 2014 durch die Ice-Bucket-Challange wahrgenommen. Der wohl bekannteste Betroffene war der britische Physiker Stephen Hawking, der trotz ALS 76 Jahre alt wurde.

Auch wenn Mirco Weigand, der zuletzt als Justizvollzugsbeamter in Brackwede gearbeitet hat, körperlich extrem eingeschränkt ist, ist er geistig nicht beeinträchtigt. Doch das Kommunizieren ist nicht einfach. Mit den Augen steuert er einen Sprachcomputer. Während des Gesprächs mit dieser Zeitung schickt er seiner Frau darüber eine WhatsApp-Nachricht. Er erinnert sie daran, dass sie nicht vergessen soll, den Engeraner Verein „Chance zum Leben – ALS“ zu erwähnen. Ursprünglich wurde er für Weigand selber ins Leben gerufen, inzwischen hilft er vielen weiteren. „Für mich ist es selbstverständlich, dass ich mich da engagiere“, meint Janine Weigand, die beispielsweise beim Kirschblütenfest am Stand des Vereins Kleinigkeiten verkauft hat. „Wie allen Gruppierungen sind uns 2020 fast alle Einnahmen weggebrochen, denn es gab ja keine Veranstaltungen, auf denen wir uns hätten präsentieren können“, bringt es Janine Weigand auf den Punkt. Daher appelliert sie an alle, die ALS-Betroffenen helfen möchten, zu spenden. Weitere Informationen gibt es auf der Internetseite des Vereins.

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