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156 Personen singen und beten ohne Maske und Abstand in Freikirche Jesu Christie – Polizei löst Gottesdienst in Herford auf - 111 Anzeigen

Landrat entsetzt, Bürgermeister empört: „Kein Verständnis“

Herford

Die christliche Freikirche Jesu Christie (schreibt sich tatsächlich so) in Herford hat massiv gegen die Corona-Schutzverordnung verstoßen: Die Polizei löste am Samstagabend einen Gottesdienst mit 156 Personen auf. Landrat und Bürgermeister äußerten sich entsetzt und empört.

Moritz Winde und Andreas Schnadwinkel

Das Gelände der Gemeinde Jesu Christie in Herford: Mehrere Überwachungskameras zeichnen das Geschehen auf. Foto: Moritz Winde

Wie ein Behördensprecher mitteilt, hätten sich die Teilnehmer weder an die Abstandsregeln gehalten, noch Mund-Nasen-Schutz getragen. Zudem sei bereits außerhalb des Gebäudes deutlicher Gesang wahrzunehmen gewesen. Und nicht nur das: Beim Eintreffen der Beamten hätten sich einige versucht zu verstecken – unter anderem im Keller.

Jürgen Müller (SPD), Landrat des Kreises Herford. Foto: Jürgen Volkmann

Hinweise zu dieser Versammlung der deutsch-russischen Gemeinde auf dem Homberghof in Falkendiek – hier waren früher unter anderem Flüchtlinge untergebracht – erhielt die Polizei von Anwohnern. Gegen 18.20 Uhr fuhren die ersten von mehreren Streifenwagen vor. Es dauerte länger als zweieinhalb Stunden, bis sämtliche Personalien der 156 Teilnehmer aufgenommen worden waren. Die Stimmung soll zum Teil aggressiv und feindselig gewesen sein.

Die 111 Erwachsenen müssen wegen des Verstoßes gegen das Infektionsschutzgesetz mit einem Bußgeld in Höhe von 250 Euro rechnen. Bei den übrigen 45 Teilnehmern handelte es sich um Kinder. Die Gemeindemitglieder, sagt der Polizeisprecher, seien aus der Region und dem Umland angereist – unter anderem aus Arnsberg.

Erst gegen 21 Uhr war der Einsatz vorbei. „Nach Rücksprache mit dem Pastor und einem weiteren Verantwortlichen wurde der Gottesdienst sofort beendet“, heißt es. Der Pastor wollte sich am Sonntag nicht zu den Vorkommnissen äußern. Als Organisator wird seine Geldstrafe wohl im vierstelligen Bereich liegen. Die Gemeinde, die etwa 130 Mitglieder haben soll, soll einen Anwalt eingeschaltet haben.

Landrat Jürgen Müller sagt, er sei entsetzt: „Es kann nicht sein, dass man in dieser Zeit, in der die Lage in den Krankenhäusern mehr als angespannt ist, Präsenz-Gottesdienste feiert – bei allem Verständnis für die Ausübung der Religionsfreiheit.“ Müller will den Fall zum Anlass nehmen, bei Zusammenkünften noch genauer hinzusehen.

Dabei soll die Freikirche Jesu Christie nach Informationen dieser Zeitung der Stadt Herford noch am 21. Dezember schriftlich versichert haben, fortan auf Präsenz-Gottesdienste verzichten zu wollen. Die Gottesdienste sollen dort nur in russischer Sprache laufen. Die theologische Ausrichtung soll sehr streng sein – nach dem Motto: „Wir sind Kinder Gottes, und uns kann nichts passieren.“

Peter Janzen, Pastor der Freikirche „Lebendige Hoffnung“ in Herford, übt scharfe Kritik: „Das ist verantwortungslos und ignorant und wirft kein gutes Licht auf alle Freikirchen. Solange nicht unser persönlicher Glaube angegriffen wird, haben wir uns dem Gesetz unterzuordnen.“

Herfords Bürgermeister Tim Kähler (SPD)

Herfords Bürgermeister Tim Kähler (SPD) reagierte am Sonntag erbost auf die Vorkommnisse. „Ich bin sauer. Einige glauben immer noch, sich außerhalb der Gemeinschaft stellen zu können. Diese Gruppen bewegen sich außerhalb des gesellschaftlichen Konsenses“, sagte Kähler dieser Zeitung.

„Für dieses Verhalten kann es kein Verständnis geben. Man wird sehen, wie die Gerichte entscheiden werden. Die Amtskirchen und viele andere Religionsgemeinschaften halten sich vorbildlich an die Regeln. Es geht im Kern um die Frage, ob die Religionsfreiheit in dieser Situation mehr zählt als die Corona-Schutzmaßnahmen“, so Kähler weiter.

Tim Kähler (SPD), Bürgermeister der Stadt Herford Foto: Moritz Winde

Den Fraktionsvorsitzenden im Herforder Stadtrat schrieb der Bürgermeister: „Wir werden natürlich ordnungsrechtlich vorgehen. Für mich ist die Botschaft des Glaubens eine Botschaft der Solidarität des Mitein­anders. Wie lässt sich so etwas damit vereinbaren, wenn sich Gemeinden einfach abseits vom Konsens der gelebten Solidarität bewegen und sich nicht an die einfachsten Regeln halten? Viele Menschen bangen um ihre Existenz und halten sich trotzdem an Regeln.“

Der Vorgang in Herford ist kein Einzelfall. In mehreren Städten, auch in Ostwestfalen-Lippe, gelten Gottesdienste von Freikirchen und Mennoniten-Gemeinden als Corona-Treiber. In Lippe waren nach einem freikirchlichen Gottesdienst mit 165 Leuten am 22. November 65 Personen positiv getestet worden.

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