Femina Vita zieht Bilanz: 2019 wurden 183 Opfer von Gewalt beraten
„Täter werden immer jünger“
Herford (WB). Hat die Gewalt gegen Kinder in der Zeit der häuslichen Isolation in der Corona-Pandemie zugenommen? Zahlen belegen das bei der Beratungsstelle von Femina Vita in Herford zwar noch nicht. „Wir glauben aber, dass diese Fälle erst jetzt Zug um Zug herauskommen. Viele Mädchen sind in der letzten Zeit nicht aus dem Haus gekommen, leben mit den Tätern unter einem Dach, können nur schwer mit uns kommunizieren“, sagt Ingrid Schneider, Geschäftsführerin und Leiterin bei Femina Vita.
Eine Studie der TU München unter 3800 Frauen belege, dass 6,5 Prozent mehr Kinder in der Coronazeit unter Gewalt gelitten hätten. Ohne Schule, ohne Jugendzentren ist es für die Mitarbeiter schwer gewesen, mit den Mädchen und jungen Frauen – betreut werden Gewalt-Betroffene im Alter von drei bis 27 Jahren – in Kontakt zu bleiben. „Wir haben unsere Aktivitäten im digitalen Bereich ausgeweitet. Wir bespielen verstärkt unseren Instagram- und Facebookauftritt. Beratungen erfolgten zuletzt vielfach per E-Mail oder am Telefon“, sagt Medienpädagogin Eva-Lotte Heine. Auch von der sehr guten Vernetzung mit den unterschiedlichsten Einrichtungen konnte Femina Vita profitieren.
183 Fälle begleitet
Die Beratungsstelle hat jetzt auf das Jahr 2019, in dem sie 30-jähriges Bestehen feierte, zurückgeblickt. 2019 wurden 183 Fälle begleitet (2018: 206), mit Vertrauenspersonen waren insgesamt 338 Menschen involviert. „Die Zahl ist zwar leicht rückläufig, aber der Mehrbedarf an Fachberatung ist gestiegen“, berichtet Schneider. Die Gewalttaten zögen sich durch alle sozialen Schichten.
Langzeit-Therapie erforderlich
Die Mädchen wenden sich in der Regel selbstständig an die Einrichtung – Ausnahmen bilden jüngere Kinder. Die häufigsten Beratungsgründe sind sexualisierte Gewalt, Probleme mit den Eltern, physische und psychische Gewalt, Ängste, Probleme in der Schule oder Mobbing. „Sexualisierte Gewalt erfahren schon junge Mädchen. Ich habe häufig gehört, dass Schülerinnen aus der sechsten Klasse Fotos von männlichen Geschlechtsteilen zugeschickt bekommen“, sagt die Medienpädagogin.
Was Gewalt bei Mädchen und Frauen anrichte, werde auch deutlich daran, dass 40 Prozent der Betroffenen eine Langzeit-Therapie bräuchten. Ingrid Schneider ist daher froh, dass nach einer geplanten Gesetzesänderung sexualisierte Gewalt künftig als Verbrechen und nicht mehr als Vergehen geahndet werden soll – mit entsprechend schärferen Strafen. „Natürlich erleben wir hier wirklich schlimme Schicksale. Es ist aber schön, wenn man sieht, wie man den Betroffenen helfen kann, wie sie sich entwickeln und was wir ihnen an Stärke für die Zukunft mitgeben können“, meint Psychologin Kirstin Teschke. Sie und ihre Kolleginnen haben festgestellt, dass die Täter immer jünger werden. „Manchmal sind es Jungen von zwölf, dreizehn Jahren. Manche von ihnen wissen genau, dass sie noch nicht strafmündig sind“, hat sie beobachtet. Für die traumatisierten Mädchen sei es dann schwer zu verstehen, dass die Täter nicht bestraft würden.
Prävention wichtiges Thema
Zur Arbeit von Femina Vita gehört vor allem auch die Prävention. „Es ist wichtig, Eltern aber auch Mitarbeiter in Einrichtungen, die mit Kindern arbeiten, entsprechend für die Themen Gewalt und sexualisierte Gewalt zu sensibilisieren“, ist sich das Femina-Vita-Team mit seinen neun Mitarbeiterinnen einig.
Das Beratungs- und Therapieangebot ist übrigens kostenlos und anonym, die Mitarbeiter haben eine Schweigepflicht.
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