Herford: 18-Jähriger kommt nicht rein – Unternehmen: »Missverständnis« – mit Video
Will Sportstudio Syrer nicht haben?
Herford (WB). Muss man eigentlich fließend deutsch sprechen, um in einem Fitnessstudio trainieren zu dürfen?
2016 kam Ghemken Mohammad als 17-jähriger Flüchtling aus Syrien nach Deutschland. Inzwischen ist er 18. Er lebt in Herford in einer Wohngruppe der Evangelischen Jugendhilfe Schweicheln und besucht eine Internationale Förderklasse im Wilhelm-Normann-Berufskolleg. »Ich möchte Koch werden«, sagt er und zeigt sein letztes Schulzeugnis vor: Produkterstellung 4, Mathe 3, Naturwissenschaft 3, Betriebsorganisation 2, Deutsch 2, Politik 2, Sport 1. Zusätzlich hat er Englisch belegt.
Anschluss und Freunde finden im Fitnessstudio
In Herford hat der 18-Jährige bisher kaum Anschluss gefunden. Deshalb hoffte er, in einem Fitnessstudio, das er zu Fuß erreichen kann, neue Freunde zu finden.
Was Ghemken Mohammad erlebte, als er sich bei »Euro Fit« anmelden wollte, beschreibt er in holprigem, aber verständlichem Deutsch sinngemäß so: »Erst sagten sie, ich müsste eine Sparkassenkarte haben. Die habe ich mir besorgt. Beim zweiten Besuch sollte ich einen Ausweis vorlegen. Das Ausländeramt hat mir deshalb meinen Aufenthaltstitel bescheinigt. Auch mein Foto ist da drauf. Als ich damit ins Fitnessstudio kam, sagten sie, aus Versicherungsgründen würden sie das nicht akzeptieren. Der Ausweis müsste aus Plastik sein.«
Dolmetscher vermittelt
Vier Wochen später besaß Mohammad die Karte, die von der Stadt erst in der Bundesdruckerei in Berlin bestellt werden musste. »Aber auch damit konnte ich mich nicht anmelden.«
Der 18-Jährige wandte sich an Hussein Jaber (26). Der Deutsch-Libanese studiert in Bielefeld Soziale Arbeit und wird vom Kreis Herford als Dolmetscher für arabischsprechende Flüchtlinge eingesetzt. Jaber: »Ghemken spricht inzwischen so passabel deutsch, dass er mich nur noch bei wichtigen Behördengängen braucht.«
Trotzdem schrieb der Dolmetscher einen Brief an das Fitnessstudio, gab die Schilderung des 18-Jährigen wieder und bat um eine Erklärung. »Als ich nach vier Wochen noch immer keine Antwort hatte, habe ich per E-Mail nachgehakt.« Die Antwort bestand aus drei Sätzen und besagte, er könne Ghemken Mohammad jetzt anmelden.
»Das Ganze ist ein Riesen-Missverständnis«
Hussein Jaber: »Ghemken konnte tatsächlich einen Vertrag abschließen, aber als er seine Mitgliedskarte abholen wollte, ohne die man nicht reinkommt, bekam er die nicht. Es hieß, er stehe nicht im Computer.« Jaber sagt, eine Mitarbeiterin habe ihm in einem Vier-Augen-Gespräch gesagt, dass man Ghemken nicht wolle. »Sie sagte, er spreche kaum deutsch, und sie wolle keine Probleme.«
Um die Frau von seinem Deutsch zu überzeugen, besuchte Ghemken Mohammad sie am Dienstagmittag alleine in ihrem Büro. »Sie sagte, ich darf nur ins Fitnessstudio, wenn ich jemanden dabeihabe, der richtig deutsch spricht. Das geht aber nicht. Wen soll ich denn immer mitnehmen?« Ghemken Mohammad gab auf und verzichtete auf den Vertrag.
Das Sportstudio »Euro Fit« stellt das Geschehen anders dar: »Das Ganze ist ein Riesen-Missverständnis«, sagte eine Sprecherin dem WESTFALEN-BLATT. »Wir machen keinen Unterschied zwischen Deutschen und Ausländern. Alle sind willkommen.«
Fürsorgepflicht gegenüber den Kunden
Allerdings habe man eine Fürsorgepflicht gegenüber den Kunden. »Sie müssen aus Sicherheitsgründen den Umgang mit den Geräten und den schweren Gewichten verstehen, damit sie sich nicht verletzen. Und sie müssen wissen, dass sie Wechselschuhe und ein Handtuch mitbringen müssen.«
Sie habe nicht den Eindruck, dass man das Ghemken Mohammad ohne Dolmetscher vermitteln könne. »Wir möchten deshalb, dass er Herrn Jaber zur ersten Trainingsstunde als Übersetzer mitbringt. Danach darf er ohne Begleitung trainieren.«
Ob Ghemken Mohammad einen neuen Versuch unternimmt, sich in diesem Studio anzumelden, wusste er Donnerstag noch nicht. Hussein Jaber: »Ich finde es toll, dass er nicht gleich aufgegeben hat und sich so lange bemüht hat, Mitglied zu werden. Ich frage mich aber auch, wie sich Flüchtlinge eigentlich integrieren sollen, wenn sie so etwas erleben?«
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