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Bettina Schniedermann führt im Familienarzt-Zentrum Untersuchungen durch

Sehbehinderte ertastet Brustkrebs

Kirchlengern (WB). Ihr Tastsinn rettet Leben. Denn die sehbehinderte Bettina Schniedermann kann kleinste Tumore in der Brust erspüren, die bei herkömmlichen Untersuchungen oft noch nicht gefunden werden können. Die frühere Damenschneiderin hat durch ihre Sehbehinderung einen besonders sensiblen Tastsinn, denn sie nun nutzt um Menschen zu helfen.

Carolin Bittner

Die selbstklebenden Orientierungstreifen auf der Brust dienen als Koordinatensystem. Mit ihrer Hilfe kann Bettina Schniedermann ganz genau lokalisieren, wo sich der Brustkrebs befindet und dies weitergeben Foto: Discovering hands

„Durch meine Einschränkungen war ich lange Zeit berufsunfähig. Und dann habe ich beim Augenarzt von der Möglichkeit gelesen mich zur Medizinisch-Taktilen Untersucherin (MTU) ausbilden zu lassen“, erklärt Schniedermann. Das habe sie sofort angesprochen, da es auch in ihrer Familie Brustkrebsfälle gab. Und damit ist sie kein Einzelfall. Jedes Jahr erkranken in Deutschland etwa 70.000 Frauen an Brustkrebs. Bei rund 18.000 verläuft die Erkrankung tödlich. Lebensgefährlich ist aber nicht der Tumor selbst, sondern seine Streuung in den Körper. „Und deswegen möchte ich helfen.“ Während einer neunmonatigen Ausbildung bei der Firma Discovering Hands habe sie ihren Tastsinn immer weiter trainiert, so dass sie inzwischen bis zu sechs Millimeter kleine Tumore ertasten könne. Das sei bis zu 50 Prozent kleiner, als die meisten Ärzte es können. Diese Tastuntersuchungen helfen, dass der Brustkrebs frühzeitig und ohne Streuung erkannt werden könne. Das steigert die Überlebenschancen der Patientinnen. Und die Arbeit mache ihr auch Spaß. „Schon immer haben mich textile Gewebe aus Samt, Seide oder anderen Naturfasern fasziniert, denn mit meinem Tastsinn konnte ich sie bestens erfahren und fühlen; heute laufen meine Finger über Drüsengewebe der weiblichen Brust, zentimeterweise auf der Suche nach Auffälligkeiten“, erklärt Schniedermann. Und auch bei den Ärzten und Patientinnen kommt ihre Arbeit gut an. „Für die Ärzte ist unsere Arbeit eine enorme Arbeitserleichterung. Sie haben natürlich nicht so viel Zeit für das Abtasten wie wir. Da hilft es ungemein, wenn eine MTU das mit voller Aufmerksamkeit machen könne.“ Und auch die Patientinnen profitieren davon, denn dadurch, dass sie den ganzen Tag Tastuntersuchungen mache, habe sie eine enorme Erfahrung. „Mein Terminkalender ist so gut wie jeden Tag voll, die Frauen empfehlen mich immer weiter“.

Seit März untersucht sie nun Frauen jeden Alters in der gynäkologischen Praxis im Familienarzt-Zentrum Kirchlengern. Jede Frau kann sich von Bettina Schniedermann untersuchen lassen. In der Praxis Patientin zu sein, ist ausdrücklich keine Voraussetzung. Aber aufgrund der Pandemie musste die MTU wochenlang zuhause bleiben. Nun untersucht sie wieder Patientinnen und freut sich sehr darüber. Beide tragen eine Maske; ihre Hände, die Untersuchungsliege und die Umgebung desinfiziert Bettina Schniedermann vor jeder neuen Patientin. „Hygiene und Sicherheit sind uns extrem wichtig“, betont die ehemalige Damenschneiderin.

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