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Pfarrerin Ulrike Schwarze über Online-Gottesdienste und das Gemeindeleben in Zeiten von Corona

„Wir erreichen mehr Menschen“

Kirchlengern (WB)

Die Auswirkungen der Corona-Pandemie stellen viele Kirchengemeinden vor große Herausforderungen. So hat die Evangelische Kirche von Westfalen ihre 465 Gemeinden aufgerufen, bis Monatsende wegen der hohen Infektionszahlen weiterhin auf Präsenzgottesdienste und andere Versammlungen zu verzichten. Die Folge ist ein stark eingeschränktes Gemeindeleben.

Hilko Raske

Ulrike Schwarze ist Pfarrerin der Kirchengemeinde Hagedorn.

Wie gehen Gemeinden im ländlichen Raum mit einer derartigen Bewährungsprobe um? Und welche Lehren zieht man daraus? Über Online-Gottesdienste, offene Kirchen und Veränderungen im Gemeindeleben sprach das WESTFALEN-BLATT mit Ulrike Schwarze, Pfarrerin der evangelischen Kirchengemeinde Hagedorn.

Frau Schwarze, viele Kirchengemeinden öffnen während der Coronakrise die Kirchen auch außerhalb der üblichen Gottesdienstzeiten, um Gläubigen unter anderem die Möglichkeit des stillen Gebets zu geben. Wie wird das in Hagedorn gehandhabt?

Ulrike Schwarze:Die Hagedorner Kirche ist seit den Terroranschlägen in New York geöffnet. 2004 startete die Evangelische Landeskirche von Westfalen die Initiative „Geöffnete Kirchen“. Die Hagedorner Kirche war die sechste in Westfalen, der das Siegel „Verlässlich geöffnete Kirche“ verliehen wurde. Inzwischen erweitert um „Geöffnete Kirche am Fahrradweg“.

Auch in Hagedorn setzt man auf Online-Gottesdienste. Seit wann besteht die Möglichkeit?

Schwarze: Bereits am 15. März 2020 fand der erste Versuch statt, online die Gemeindeglieder zu erreichen. Über Facebook oder über unsere Homepage www.kirche-hagedorn.de, die mit Facebook verlinkt ist, ist dies sehr einfach möglich. Hier ist keine Anmeldung bei Facebook erforderlich.

Was für ein Gefühl ist es, ohne Publikum zu predigen?

Schwarze: Einige wenige Mitarbeiter sind während des Gottesdienstes in der Kirche. Ich platziere sie so, dass ich nicht gegen eine Säule predige und rede. Für mich ist es wichtig, dass ich weiß: Dort auf der anderen Seite sind Menschen, die mir gerade jetzt zuhören. Für die sind meine Worte wichtig. Es tritt auch eine Gewöhnung ein. Im Frühling war es sehr viel schwerer als jetzt im Winter. Wichtig ist: Der Gottesdienst wird live übertragen. Da wird nichts geschnitten und verbessert, bis jedes Wort und jeder Ton sitzt. Das erleichtert die Aufgabe.

Wie viele Menschen haben den vergangenen Gottesdienst im Internet verfolgt?

Schwarze: Der Gottesdienst vom 10. Januar wurde inzwischen 518-mal aufgerufen. Es zeichnet sich ab, dass im Laufe der ersten Wochenhälfte verstärkt Zugriffe stattfinden. Oftmals schauen dann aber neue Nutzer auch noch die vorherigen Übertragungen. Die Resonanz ist absolut positiv und zwar in allen Altersstufen. Es schauen nicht nur Gemeindeglieder die Gottesdienste. Sie erreichen auch gerade junge Menschen, die ihre Jugend in Hagedorn verbracht haben; aber auch Menschen, die keiner Konfession angehören. Der Trend vom Frühsommer zeigt, dass die Zahlen im Lockdown steigen. Sobald Präsenzgottesdienste wieder stattfinden können und das Leben für alle weiter und ereignisreicher wird, sinkt die Zahl der Aufrufe, bleibt aber dennoch konstant bei 150 bis 200.

Welches Potenzial sehen sie in diesem neuen „Kommunikationsweg“?

Schwarze: Durch die Internetgottesdienste erreichen wir Menschen, die durchaus Interesse an der christlichen Botschaft haben, aber sich sonntags um 10 Uhr nie auf den Weg in die Hagedorner Kirche begeben würden. Im Laufe des Sonntags werden die Gottesdienste von einer großen Anzahl mitgefeiert. Da gibt es Menschen, die den gesamten Gottesdienst mitfeiern, aber es entspricht auch dem Zeitgeist, nur punktuell zuzuhören. Diese Entwicklung beurteile ich positiv.

Wie haben sich die Corona-Pandemie und die Internet-Gottesdienste auf das Gemeindeleben ausgewirkt?

Schwarze: Die Gottesdienste haben einen viel höheren Stellenwert als zu normalen Zeiten des Gemeindelebens, da ja alle anderen Veranstaltungen und auch alle Gruppen und Chorproben ruhen.

Einige Freikirchen praktizieren immer noch Präsenzgottesdienste, die im Ruf stehen, die Verbreitung des Virus zu fördern. Wie beurteilen sie das?

Schwarze: Ich bin für die klare Entscheidung der Präses Kurschus im Dezember sehr dankbar, die uns dringend empfahl, auf Präsenzgottesdienste zu verzichten. Die Zahlen der Betroffenen sinken inzwischen immer noch nicht wirklich und es gibt viel zu viele Tote, auch bei uns im Kreis Herford. In Zeiten, in den Kinder und Eltern unter schweren Einschränkungen in Bezug auf Schule und Betreuung leiden, Menschen um ihre wirtschaftliche Existenz bangen und in Kliniken über die Belastungsgrenze hinaus gearbeitet wird, müssen wir alles vermeiden, was die Ausbreitung des Virus fördern kann. Da gibt es kein noch so gutes Schutzkonzept, das besser ist, als zuhause zu bleiben. Für eine Wiederaufnahme von Präsenzgottesdiensten  fehlt mir jedes Verständnis.

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