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Im Corona-Lockdown alte und gehbehinderte Menschen beliefert - Service blieb

Bringdienst der Herforder Tafel fährt 60 Adressen an

Herford

28 Stufen, dann hat Jörg Depenbrock die Dachgeschosswohnung von Helga Hindemith erreicht. Die 87 Jahre alte Rentnerin freut sich, als sie den ehrenamtlichen Helfer der Tafel sieht, und führt ihn in die Küche.

Diplom-Pädagogin Barbara Beckmann gründete vor 18 Jahren die Herforder Tafel und ist bis heute die Vorsitzende des Vereins. Foto: Althoff

Mehr über die Weihnachtsspendenaktion des WESTFALEN-BLATTES zugunsten der Tafeln NRW finden Sie auch auf unserer Sonderseite.

Dort stellt Jörg Depenbrock die rote Plastikkiste mit Rosenkohl, Kohlrabi, Pastinaken, Radieschen, einer Dose Mandarinen, Joghurt und Pralinen ab und nimmt die leere Kiste von seinem letzten Besuch wieder mit.

„Unser Bringdienst für alte und gehbehinderte Menschen hat seinen Ursprung im ersten Jahr der Corona-Pandemie“, sagt Barbara Beckmann. Sie ist die Gründerin der Herforder Tafel und bis heute die Vorsitzende des gemeinnützigen Vereins.

Ursprünglich arbeitete die Diplom-Pädagogin bei der Caritas, dann lief ihr Vertrag 2004 aus. „Eine neue Stelle war nicht in Sicht, und ich wollte weiter im sozialen Bereich arbeiten“, sagt sie. Deshalb habe sie zusammen mit dem Sozialpfarrer Holger Kasfeld die Herforder Tafel gegründet. „Ich habe mit einem Zeitungsartikel nach Ehrenamtlern gesucht, und einer, der sich gemeldet hat, war unser späterer Schatzmeister Klaus Umbeck.“ Der sei damals 72 gewesen und habe dem Verein einen Kredit von 4000 Euro gegeben. „Das war unser Startkapital.“ Später war Barbara Beckmann Mitbegründerin des nordrhein-westfälischen Landesverbandes der Tafeln. „So einen Überbau braucht man unter anderem, um Großspenden zu kanalisieren. Wenn Wagner uns einen Sattelauflieger mit Tiefkühlpizzen spendet, wäre jede Tafel damit überfordert. Das muss gelagert und verteilt werden, und da hilft der Landesverband.“

Mitarbeiter Paul Lamprecht kontrolliert eine Lieferung Champignons, die gerade hereingekommen ist. Foto: - Althoff

Die Herforder Tafel startete 2004 in einem ehemaligen Blumengeschäft auf 50 Quadratmetern. „Es war kein Problem, Lebensmittelspenden zu bekommen. Die Märkte waren froh, dass wir die Sachen abholten.“ Für die etwa 60 Kunden der Anfangszeit habe man zweimal in der Woche geöffnet. „Dienstags und freitags. Freitags ausschließlich für alte Menschen.“ Die hätten sich nämlich oft geschämt, zur Tafel zu gehen. „Und darum wollten wir, dass sie unter sich sein konnten.“

Essbar oder für die Biotonne? Jamila Slow stammt aus Syrien und hilft ehrenamtlich bei der Tafel in Herford. Foto: Althoff

Immer mehr Menschen suchten Hilfe bei der Herforder Einrichtung. „Vor allem nach Inkrafttreten der Hartz-IV-Gesetze“, sagt Barbara Beckmann. Heute sind es 3500 Menschen aus dem Kreis Herford, denen der Verein unter die Arme greift – nicht nur in der Herforder Zentrale, die vor Jahren in ein 300 Quadratmeter großes Gebäude umgezogen ist, sondern auch in den vier Außenstellen Enger, Spenge, Kirchlengern und Hiddenhausen. „Diese Ausgabestellen wurden nötig, weil wir der Menschenmassen an einem zentralen Ort nicht mehr Herr wurden“, sagt die Tafel-Vorsitzende. Der Vorteil für viele Kunden sei, dass sie sich die Kosten für Bus oder Auto sparen könnten.

Die Tafel-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kontrollieren und sortieren angeliefertes Obst und Gemüse für die Ausgabe am Nachmittag. Foto: Althoff

Der Beginn der Corona-Pandemie 2020 war ein massiver Einschnitt. „Wir haben die Tafel erstmal für zwei Wochen geschlossen – auch zum Schutz unserer Mitarbeiter.“ Landrat Jürgen Müller habe sich dann gemeldet und sie gefragt, ob sie nicht doch eine Möglichkeit sehe, weiter zu helfen. „So ist die Idee entstanden, den Menschen die Lebensmittel nach Hause zu bringen.“ Nicht allen 3500, aber denen, die angerufen und nach Essen gefragt hätten. „Darunter waren auch viele alte Menschen, die vorher noch nicht bei uns waren.“

Der Landrat habe dafür gesorgt, dass die Tafel im ersten Corona-Jahr mit 50.000 Euro unterstützt worden sei. „Wir konnten unter anderem einen Renault Kangoo mit Kühlanlage kaufen und hatten auch genug Geld für den Sprit.“ Es habe damals die Überlegung gegeben, städtische Arbeiter als Fahrer einzusetzen, aber das sei nicht nötig gewesen: „Unsere Ehrenamtler waren alle an Bord. Auf die konnte ich mich verlassen.“

Oft sieht das gespendete Gemüse noch sehr gut aus, wie diese Paprika. Es muss in den Geschäften aber noch frischerer Ware weichen. Foto: Althoff

Als die harten Kontaktbeschränkungen irgendwann aufgehoben worden seien, habe man den Transportdienst einfach weiter angeboten. „Es sind jetzt ungefähr 60 alte oder gehbehinderte Leute, die wir einmal in der Woche beliefern. Natürlich sind die alle sehr dankbar.“

Hier können Sie spenden:

Aktuell spürt die Tafel wie jeder andere aus die erheblich gestiegenen Spritpreise. Und wie die nächste Stromrechnung aussehen wird, weiß Barbara Beckmann noch nicht. „Die Abrechnung kommt ja erst noch.“ Große Stromsparmöglichkeiten habe der Verein nicht, aber er habe eine Photovoltaikanlage auf dem Dach, die er noch vergrößern wolle. „Lidl-Kunden können seit einigen Jahren ihren Pfandbon spenden, und das Geld kommt den Tafeln zugute. Aus diesem Topf haben wir unsere Photovoltaikanlage bezahlt bekommen.“

Tafel-Mitarbeiter sind mit ihrem Transporter zur Tafel zurückgekehrt. Jetzt müssen die gespendeten Lebensmittel ausgeladen und sortiert werden. Foto: Althoff

Vier Tage in der Woche arbeitet Barbara Beckmann für die Tafel – ehrenamtlich. Ihr Ehemann Bernd, Geschäftsführender Gesellschafter des Herforder Softwareunternehmens „3tec“, das auf die automatisierte Steuerung von Möbelproduktion spezialisiert ist, hält ihr finanziell den Rücken frei. So hat die Tafel nur zwei hauptamtliche Mitarbeiterinnen, die der Verein bezahlen muss. Etwa 75 Ehrenamtler sorgen dafür, dass die Lebensmittel abgeholt, sortiert und verteilt werden. Unterstützt werden sie von zwölf Frauen und Männern, die das Jobcenter geschickt hat und deren Lohn weitgehend vom Staat bezahlt wird. Barbara Beckmann: „Aktuell leisten außerdem zwei Leute ihren Bundesfreiwilligendienst bei uns ab. Es wäre toll, wenn das mehr täten.“

In einem Beitrag der ARD wird die Arbeit der Tafel in Herford vorgestellt. Hier geht es zu dem Video in der ARD-Mediathek.

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