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Bahnexperte Prof. Hesse gegen ICE-Neubaustrecke und für Tunnel durch Jakobsberg

„Völlig überambitioniert“

Vlotho/Porta Westfalica (WB). Eigentlich sollte es beim Vortrag von Professor Wolfgang Hesse und Bernhard Knierim, die auf Einladung der Initiative „Pro Ausbau" in Bückeburg zum Thema Bahnausbau referierten, um den Deutschland-Takt als Ganzes und nicht einzelne mögliche Trassenvarianten gehen. Und doch stand nach den Ausführungen des Münchener Professors Hesse, der sich seit Jahrzehnten einen Namen als Bahnexperte sowie als nachdrücklicher Kritiker bestimmter Großprojekte einen Ruf erworben hat, eine Strecke auf einmal wieder schlagartig im Mittelpunkt, die seit einigen Monaten aus dem Blickfeld geraten zu sein schien: der Jakobsberg-Tunnel.

Johannes Pietsch

Professor Wolfgang Hesse plädiert für eine „maßvolle Beschleunigung durch eine Umfahrung Mindens" gemäß des Vorschlags aus dem Bundesverkehrswegeplan 2030 vom Frühjahr 2016. Der sah einen Tunnel durch den Jakobsberg vor. Foto: Johannes Pietsch

Denn Wolfgang Hesse plädiert als Alternative zur auch in Vlotho viel diskutierten ICE-Schnellfahrstrecke Hannover-Bielefeld für eine „maßvolle Beschleunigung" durch eine Umfahrung Mindens. Und das läuft bekanntermaßen auf die Neubaustrecke nördlich Bückeburgs nach Porta Westfalica mit Tunnel durch den Jakobsberg hinaus, wie sie 2016 der Bundesverkehrswegeplan vorschlug.

Kritik am Deutschland-Takt

Massive Kritik übte Hesse am aktuellen Zuschnitt des Deutschland-Takt-Konzepts. Grundsätzlich sei ein integraler Taktfahrplan gut und richtig. Den am 30. Juni veröffentlichten dritten Gutachter-Entwurf betrachtet der Münchener, der unter anderem „Stuttgart 21" seit Jahren als „totales Irrsinns-Projekt" kritisiert, hingegen als Feigenblatt, um von der Bahn gewünschte Großprojekte durchsetzen zu können.

Insbesondere die Schnellfahrstrecke Hannover-Bielefeld, die die Fahrzeit von derzeit 49 auf zukünftig 31 Minuten senken soll, hält Hesse für völlig überambitioniert, die darauf angestrebten Durchschnittsgeschwindigkeiten von 240 Stundenkilometern für gar nicht erreichbar.

Als Alternative schlägt der Informatik-Professor vor, den Knoten-Bahnhof Hannover so zu verändern, dass die Züge in Ost-West-Richtung nicht zur vollen und halben, sondern zur Viertel- und Dreiviertelstunde einfahren. Dies würde die vom jetzigen Zielfahrplan vorgesehene Neubaustrecke Seelze-Bielefeld mit ihren enormen Kosten und Umweltschäden nicht mehr erforderlich machen.

Für Umfahrung von Minden

Völlig unstrittig ist für Wolfgang Hesse die auch von der heimischen Politik und allen Bürgerinitiativen seit Jahren vertretene Forderung nach einem viergleisigen Ausbau des Schienenengpasses Minden-Hannover. Zugleich macht sich der Bahn-Kritiker aber auch für eine „maßvolle Beschleunigung" der Fahrzeit auf dieser Strecke um etwa acht Minuten durch eine Umfahrung Mindens. stark. Schließlich könne es nicht sinnvoll sein, die schnellen Fernzüge durch Minden fahren zu lassen: „Die halten da doch alle nicht." Erreichen möchte er dies – so die Formulierung seiner vorgestellten Präsentation – durch Umsetzung des Vorschlags aus dem Bundesverkehrswegeplan 2030 vom Frühjahr 2016.

Spätestens jetzt dürften bei den Zuhörern aus Bückeburg und Porta Westfalica sämtliche Alarmglocken geläutet haben, denn dieser Entwurf sah konkret eine Neubaustrecke durch die Bückeburger Niederung mit Tunneln unter Evesen und durch den Jakobsberg vor. Der öffentlich gestellten Frage, ob er damit konkret eine Tunnelbohrung durch die im Jakobsberg befindliche KZ-Gedenkstätte befürworte, wollte (oder konnte) sich Wolfgang Hesse während des Vortrags nicht stellen. Er wolle sich in die Diskussion um konkrete Trassenverläufe nicht einmischen und könne sich zudem nicht vorstellen, dass eine Umfahrung Mindens nur und ausschließlich durch diesen Bereich des Jakobsbergs möglich sei, wich er der Frage teilweise aus: „Ich halte das mit der Gedenkstätte für ein Totschlagargument."

Indiskutabel für BIGTAB

Das wollte allerdings auch Melanie Hövert, verkehrspolitische Sprecherin der Grünen-Kreistagsfraktion Minden-Lübbecke, nicht unwidersprochen lassen: Auch östlich des Jakobsbergs bis weit nach Schaumburg hinein sei eine Untertunnelung des Wesergebirges auf Grund des dort betriebenen Bergbaus und der in den Stollen eingelagerten, teilweise hochgiftigen Filterstäube, nicht machbar, betonte sie. Und auch Moderatorin Claudia Grimm von der Initiative „Pro Ausbau" sah sich genötigt, in die Diskussion einzugreifen: „Der Jakobsberg und die Bückeburger Niederung sind sakrosankt."

Entsetzt reagierte der Sprecher der Bürgerinitiative BIGTAB, Thomas Rippke, der selbst bei dem Vortrag nicht anwesend sein konnte, auf Nachfrage auf die Äußerungen Hesses. Die Neubaustrecke durch den Jakobsberg sei ebenso indiskutabel wie die durch das Auetal. Es sei „unerträglich", das eine Projekt durch das andere ersetzen zu wollen. „Das führt genau zu dem, was wir unbedingt vermeiden müssen: Dass ein Teil der Bevölkerung gegen den anderen ausgespielt wird."

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