WB-Umfrage: Bürger setzen beim geplanten Atommüll-Zwischenlager in Beverungen-Würgassen auf Information
„Maß und Mitte halten“
Beverungen-Würgassen (WB). Der Widerstand gegen das geplante Atommüll-Zwischenlager im Dreiländereck formiert sich. Die Facebook-Gruppe „Contra Atomlager Würgassen“ hat mehr als 3000 Mitglieder. Die Online-Petition gegen das Logistikzentrum hat binnen weniger Tage noch mehr Unterschriften: Der ehemalige Kernkraftwerksstandort Würgassen befindet sich 25 Jahre nach der Stilllegung des Meilers im Fokus einer breiten Öffentlichkeit.
Die Räte und Bürgermeister der Städte Beverungen, Bad Karlshafen und Trendelburg und der Samtgemeinde Boffzen haben eine gemeinsame Stellungnahme abgegeben und ihre Sorgen zum Ausdruck gebracht.
Vor Ort im Dorf stehen die Menschen nicht allesamt unter Schock, sondern nicht wenige vertreten eine eher abwartende und neutrale Haltung. Sie wollen zunächst informiert werden. Das hat eine Umfrage des WESTFALEN-BLATTES am Dienstag ergeben.
Jürgen Kleinschmidt, Oberst der Schützenbruderschaft Würgassen (66), kritisiert, dass in den bisherigen Stellungnahmen zum Atommülllager ausschließlich die Meinungen der Gegner abgebildet werden.
„Wo sind die Bürger, die das differenzierter sehen?“, fragt Kleinschmidt. „Aus meiner Sicht ist wichtig, sich vorher zu informieren. Information und Aufklärung sollten vor Panik- und Meinungsmache stehen. Von vielen Bürgern aus Würgassen weiß ich, dass sie sich sachlich mit dem Thema Atommülllager auseinandersetzen und es sogar befürworten. Zum jetzigen Zeitpunkt bin ich dafür. Es ist eine Fehlentscheidung, dass die geplante Bürgerversammlung von der Turnhalle Würgassen in die Stadthalle Beverungen verlegt wurde. Hier sollen Gegner mobilisiert werden. Für mich ist es wichtig, dass wir Bürger erfahren, wie die BGZ das Atommülllager begründet und darstellt. Jeder Bürger sollte die Möglichkeit erhalten, sich seine Meinung zu bilden. Seit mehr als zehn Jahren wird in Würgassen Atommüll gelagert. Das hat bisher keinen Protest ausgelöst. Gut, dass die Mehrheit der Bürger jetzt besonnen und ruhig bleibt.“
Belastung für benachbarte Ortschaften
Peter Multhaup (71), amtierender Schützenkönig von Würgassen und für die FDP im Rat Beverungen, geht davon aus, dass es aufgrund der geplanten Ausmaße des Nuklearmülllagers zu einer Belastung für alle umliegenden Ortschaften führen würde.
„Die verkehrstechnischen Anbindungen reichen nicht aus. Wie soll der Atommüll durch Beverungen oder Lauenförde transportiert werden? Auf der anderen Seite weiß ich, da ich 39 Jahre im KKW Würgassen gearbeitet habe, dass Strahlenbelastung und Radioaktivität nicht das Problem darstellen. Es ist ein guter Vorschlag von unserem Bundestagsabgeordneten Christian Haase, den Atommüll dort zu lagern, wo er entsteht. Zudem ist noch keinesfalls sicher, ob das Endlager Schacht Konrad überhaupt kommt. Wichtig ist, dass die sachliche Auseinandersetzung mit dem Thema Atommülllager Würgassen an erster Stelle steht.“
Zwiegespalten
Neutral, aber auch zwiegespalten steht Michael Bartoldus (56), kaufmännischer Angestellter der nahe dem Kernkraftwerksgelände ansässigen Beku-Kunststoffwerke, den Planungen gegenüber. „Ich kann für mich keine Linie ziehen und sagen ‚Ich bis voll dafür‘ oder ‚Ich bin total dagegen‘.“ Natürlich berge das Lager Gefahren. „Diese Gefahren sind aber jetzt schon da“, verweist er auf die jetzt schon dort gelagerten 5000 Tonnen Nuklearmüll.
Bartoldus erinnert sich daran, wie er in den 1970er Jahren in Leder-Latzhose auf dem Fahrrad mit der Botschaft „Atomkraft? Nein danke“ gegen den Bau des Kernkraftwerks protestiert habe. Damals habe jeglicher Protest nichts genutzt. Das Werk sei gebaut worden. Auch jetzt hält er den Widerstand für wenig aussichtsreich. In der Rückschau betont der 56-Jährige aber auch, dass das Kernkraftwerk der Stadt Gewerbesteuereinkünfte beschert habe. „Wäre es nicht ans Netz gegangen, hätte Beverungen keine so große und attraktive Stadthalle.“
Jetzt müsse der Müll irgendwohin. „Dass keiner ihn vor der Haustür haben will, ist klar.“ Michael Bartoldus möchte jetzt erst mal die Bürgerversammlung abwarten.
„Nicht überreagieren, sondern die Versammlung abwarten und in Ruhe weitersehen“: Das ist auch die Devise der Chefin des Hotels und Restaurants „Forsthof“, Ulrike Schneider. Sie geht nicht davon aus, dass sie durch das Zwischenlager große Gästeeinbußen haben wird. „Wir haben im Sommer oft auch internationale Gäste“, berichtet die Unternehmerin. Sie erinnert sich zum Beispiel an Radfahrer aus Australien. „Sie waren hier, weil sie in Deutschland radfahren wollten.“ Im Moment stelle sie sich in ihrer Meinungsbildung zum Zwischenlager auf keine Seite, sondern in die Mitte. Und sie will zuversichtlich bleiben.
Gelassen
Wolfhard Weller (92), Miteigentümer des Campingplatzes Axelsee, sieht in einem Atommülllager Nachteile für das Freizeitgelände. Trotzdem steht er den Planungen gelassen gegenüber und stellt fest: „Die junge Generation ist dagegen. Es formiert sich der Widerstand. Die älteren Menschen, zu denen ich mit 92 Jahren gehöre, gehen mit dem Thema gelassener um. Sie wissen um die Diskussionen und Proteste in Sachen Kernkraftwerk Würgassen und später Zwischenlager in den vergangenen Jahrzehnten. „Es sollten nun alle Argumente und das Pro und Contra abgewogen werden. Dass der Protest Erfolg haben wird, glaube ich allerdings nicht. Wahrscheinlich ist das Atommülllager bereits beschlossene Sache. Nuklearabfälle werden hier seit fast zwei Jahrzehnten gelagert. Es ist wichtig, dass wir bei der Diskussion Maß und Mitte halten.“
Verärgert
Verärgert äußerte sich Gabriele Evens (64), Chefin des Landhotels „Alte Linde“ in Würgassen. Sie befürchte über Würgassen hinaus Auswirkungen auf den Tourismus an der Weser, der durch den Skywalk spürbaren Aufwind erlebe, fühle sich von der BGZ und ihrer Informationspolitik verschaukelt und habe die Befürchtung, dass aus dem Zwischenlager doch ein Endlager wird. Zu allem Überfluss komme jetzt auch noch das Coronavirus hinzu. „Wir haben schon Buchungen“, blickt Gabriele Evens nach vorne. „Es ist gut möglich, dass Nachfragen zum Lager kommen.“ Viele Menschen gingen jetzt auf die Barrikaden.
Der Widerstand formiert sich unter anderem in der Facebook-Gruppe, die Ralf Przybylinski (65) aus Beverungen gegründet hat . Mehr als 3000 Mitglieder innerhalb weniger Tage und noch mehr Unterschriften bei der Online-Petition „Verhindert den Bau eines Atommülllagers in NRW“: „Das hat uns angenehm überrascht“, brachte der 2002 aus dem Ruhrgebiet zugezogene Wahl-Beverunger seine Freude zum Ausdruck. Dass er Befürworter des Zwischenlagers aus der Facebook-Gruppe verweise, sei keine Ausgrenzung von Menschen. „Wir wollen nur nicht das Für und Wider diskutieren, sondern an dieser Stelle zum Protest mobilisieren.“
Aus seiner Sicht ist das Zwischenlager in Würgassen völlig indiskutabel. Für die Wochenendhäuser und die weitere touristische Infrastruktur sei ein solches Projekt grausam. Ralf Przybylinski ist zuversichtlich, dass der Widerstand Erfolg haben wird. „Wenn man nichts macht, passiert auch nichts. Ich bin bereit, meine Freizeit für den Protest zu opfern. Es geht um die Zukunft der Kinder.“
Im Nachbarkreis Holzminden mobilisieren die Grünen. Sie rufen alle Bürgerinnen und Bürger dazu auf, „kritischen Widerstand gegen die Pläne der BGZ für ein Atommülllager in Würgassen zu organisieren“.
Falsch
Der grüne Fraktionssprecher im Kreistag, Gerd Henke aus Lauenförde, erklärt: „Widerstand gegen das geplante Atomlager ist angesagt – wir im Landkreis Holzminden sind direkt betroffen. Die Entscheidung für ein Atomlager in Würgassen direkt an der Landkreisgrenze halten wir für falsch. Das Dreiländereck darf nicht zum gefährlichen Hotspot der Atomindustrie für die nächsten 30 Jahre werden.“
Henke und seine Mitstreiter planen, frühere Anti-Atom-Bürgerinitiativen zu reaktivieren.
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