Atommüll-Lager Würgassen: Mahnwache ohne Sprechchöre und mit Abständen
Protest gegen „strahlende Zukunft“
Würgassen (WB). Eine Protest-Kundgebung ohne Sprechchöre ist nicht zwangsläufig wirkungslos. Auch still und leise – und noch dazu mit großem Abstand zum Nachbarn – lässt sich Unmut gemeinschaftlich transportieren. Dieser Schulterschluss unter Einhaltung der Corona-Regeln ist der „Bürgerinitiative gegen atomaren Dreck im Dreiländereck“ gelungen. Ihr Aufruf zur Mahnwache anlässlich der beginnenden Bodenuntersuchungen für das zentrale Bereitstellungslager am KKW-Standort Würgassen hat mehr als 50 Gegner mobilisiert. „Das ist ein voller Erfolg“, freut sich BI-Sprecher Dirk Wilhelm.
Erste Demo seit März
Bei dieser ersten Demo seit der Spontan-Kundgebung am 7. März vor dem Werkstor säumen am späten Montagvormittag Menschen aus NRW, Hessen und Niedersachsen den Radweg entlang der viel befahrenen Lauenförder Straße nahe der Einfahrt zum Kernkraftwerk. Sie haben Transparente oder Plakate dabei. Einige tragen Schutzanzüge und ABC-Schutzmasken, um auf die Gefahren durch radioaktiven Atommüll hinzuweisen.
„Ich sehe uns in sieben Jahren damit herumlaufen“, sagt Rüdiger Brandt, warum er zur Mahnwache eine solche Maske dabei hat. Der Beverunger ist gegen das Bereitstellungslager in Würgassen. Der Atommüll gehöre jeweils dort hin, wo er auch erzeugt werde.
Wie Rüdiger Brandt steht auch Marion Abel aus Lüchtringen in auffälliger Schutzkleidung am Straßenrand. „So lange ich denken kann, bin ich gegen Atomkraft“, erinnert sie sich. „Es ist schlimm, wie die Bürger jetzt hinters Licht geführt werden“, kritisiert die Lüchtringerin die mangelnde Transparenz der Planungen für das Bereitstellungslager . Und sie formuliert eine Befürchtung, die Eva Bunnemann aus Wesertal in Hessen ebenfalls zum Ausdruck bringt: Wenn das Endlager „Schacht Konrad“ bei Salzgitter plötzlich doch nicht genehmigt werde, bleibe der in Würgassen zwischengelagerte Atommüll womöglich einfach hier. Daher hofft Marion Adam, dass viele Menschen sich ein Herz fassen und gemeinsam kämpfen. Die Region habe nach den Jahrzehnten des Betriebs des Kernkraftwerks Ruhe verdient.
Tiefflieger
Mit der Ruhe ist es bei der Mahnwache im nächsten Augenblick kurzzeitig vorbei. Ein Tiefflieger rauscht lautstark über Straße hinweg. Im nächsten Augenblick hupen Vorbeifahrende aus Solidarität mit den Protestierenden. Viele der Autos tragen das gelbe W – jenes augenfällige Erkennungszeichen der BI und des Widerstandes – als Aufkleber auf der Heckscheibe.
Immer wieder hupen und winken Autofahrer. Die Teilnehmer der Mahnwache winken zurück und machen ganz unkompliziert Radfahrern Platz. Die Atmosphäre ist entspannt und friedlich. Diesen Eindruck hat auch die Polizei. Die Beamten vor Ort ziehen ein positives Fazit.
Angst vor Unfällen
In der langen Reihe der Teilnehmenden kommen Klaus Meyer aus Herstelle und Andrea Wesserling-Schrick aus Beverungen in gebührenden Abstand miteinander ins Gespräch. Sie nehmen sich vor, auf ihren Privatgrundstücken ein Protestbanner der BI anzubringen. „Ich habe viel Platz an meiner Hauswand“, sagt Klaus Meyer. „Ich habe 20 Jahre im Kernkraftwerk gearbeitet und bin dagegen, dass dieses Lager jetzt hier gebaut wird.“ Andrea Wesserling-Schrick, die etwa einen Kilometer Luftlinie entfernt vom Kernkraftwerk aufgewachsen ist, weist auf einen Beinah-Unfall bei einem Atommüll-Transport aus Würgassen im Jahr 1988 bei Bodenfelde hin. Ihre Sorge, dass bei Transporten zum Bereitstellungslager Unfälle passieren, teilt auch Martina Pennewiss. Ein solches Logistikzentrum gehöre an Verkehrsknotenpunkte und nicht in eine Region, in der sich „Lkw, wie hier, durchs Gebirge schlängeln müssen“.
Jürgen und Gerlinde Lukas von den Naturfreunden Uslar erinnern an das Versprechen, dass aus dem Gelände des 1995 stillgelegten Atomkraftwerks eine „grüne Wiese“ wird. „Keine grüne Wiese, sondern eine strahlende Zukunft steht uns jetzt bevor“, machen sie ihrem Unmut Luft. Alfred Wächter fühlt sich von der Politik verschaukelt. „Die grüne Wiese ist Schnee von gestern. Hinter verschlossenen Türen ist das Bereitstellungslager geplant worden.“ Das dürfe nicht sein. Deshalb ist der Senior aus Uslar zur Mahnwache gekommen. „Mit meinen 86 Jahren bin ich wahrscheinlich der Älteste hier.“ Seine Entschlossenheit imponiert.
Keine grüne Wiese
Susanne Hüdepohl aus Beverungen ist ebenfalls entschlossen, gegen das Atommüll-Lager zu kämpfen. Das sei sie schon allein ihrer Enkeltochter schuldig. Vor dem Hintergrund, dass von der zugesagten „grünen Wiese“ jetzt keiner gesprochen haben will, traue sie den Ankündigungen, dass nur leicht kontaminierte Stoffe in Würgassen gelagert werden sollen, überhaupt nicht. „Wir können nicht kontrollieren, was da kommt. Das macht mir Angst.“ Die Mahnwache sei nur der Anfang des Protestes. „Wir brauchen viel Unterstützung.“ Auch der Abiturient Tim Vollert, der für die SPD für den Rat Beverungen kandidiert, freut sich, dass der Widerstand trotz der Corona-Krise in seiner Dynamik nicht eingeschlafen ist. „Wir sind definitiv gegen das Lager und sehen nichts, was dafür spricht“, bezieht er klar Stellung.
Protest-Masken selbst genäht
Auf der anderen Straßenseite versammeln sich ebenfalls Menschen zur Mahnwache. Kirsten Schumann und Inge Antpöhler fallen mit ihren gelben Mundschutz-Masken auf, auf denen der Protest geschrieben steht. „Ich habe sie spontan für heute genäht“, sagt Kirsten Schumann. Die beiden Beverungerinnen argumentieren mit zu geringen Abständen zu den Ortschaften und mit dem Attraktivitätsverlust der Tourismusregion samt Kurstadt Bad Karlshafen.
Dirk Wilhelm dankt vor Schluss jedem einzelnen – fürs Mitmachen und auch fürs Abstandhalten. „Wir müssen hier Zeichen setzen und als Widerständler für unsere sachlichen und schlagkräftigen Argumente Flagge zeigen.“
Neue Lösung statt Bereitstellungslager
Die „Bürgerinitiative gegen atomaren Dreck im Dreiländereck“ fordert eine Neubewertung des Umgangs mit radioaktivem Müll nach heutigem Stand und lehnt ein Bereitstellunslager – egal an welchem Standort – entschieden ab. Diese Position bekräftigte Sprecher Dirk Wilhelm zu Beginn der Mahnwache gegen das geplante Atommüll-Lager auf dem Gelände des ehemaligen Kernkraftwerks Würgassen.
Mit der Kundgebung zeigte die BI erstmals seit Beginn der Corona-Krise öffentlich Flagge. Anlass war der Beginn der Erkundungsarbeiten für ein Gutachten zur geologischen Struktur und Tragfähigkeit des Bodens für die 325 Meter lange Halle. Eine Fachfirma für Geotechnik führt in den nächsten drei Wochen mit einem mobilen Gerät auf dem Gelände sowie dem Bahndamm 130 Bohrungen durch.
Die Bitte der Bürgerinitiative, die Planungen aus Fairnessgründen bis zum Ende der Corona-Pandemie auf Eis zu legen, sei von der bundeseigenen Gesellschaft für Zwischenlagerung (BGZ) harsch zurückgewiesen worden, konstatierte Dirk Wilhelm. Stattdessen fließe jetzt schon Steuergeld in den Standort Würgassen.
Das Endlager Schacht Konrad werde nicht ausreichen, so Dirk Wilhelm. Es sei überbucht. „Deshalb brauchen wir eine neue Lösung im Umgang mit radioaktivem Müll und kein Bereitstellungslager.“
Schünemann kritisiert Ministerin
Dem niedersächsischen CDU-Landtagsabgeordneten Uwe Schünemann liegt inzwischen eine Antwort der Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) zur gemeinsamen Erklärung der Politiker der Region um das Bereitstellungslager vor. Die Ministerin verweist darauf, dass die am 18. März geplante öffentliche Vorstellung der Planungen wegen der Corona-Pandemie ausfallen musste. Schünemann kritisiert, dass sie sich in allgemeinen bekannten Informationen verliere und auf die zentrale Forderung nach einer transparenten Untersuchung von mehreren Standorten unter Einbeziehung eines neutralen Gremiums nicht eingehe.
Dieses bleibe aber das gemeinsame Ziel der Politik vor Ort. Auf Antrag der CDU-Kreistagsfraktion werde es erstmalig am 25. Mai um 18 Uhr in der Stadthalle Holzminden zu einer Anhörung unter Beteiligung der Bürgerinitiativen kommen. „Hier wird es darauf ankommen, die Versäumnisse der bisherigen Standortuntersuchungen herauszuarbeiten.“
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