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Ratsfraktionen und Bürgermeister nehmen gemeinsam zum geplanten „Logistikzentrum“ für Atommüll in Würgassen Stellung

„Wir lassen uns nicht kaufen“

Beverungen-Würgassen (WB). „Wir sind von der Art und Weise, wie mit uns als gewählte Vertreter der im Dreiländereck lebenden Menschen umgegangen wird, entsetzt. Die absolut ungenügende Informationspolitik der Bundesregierung und der von ihr beauftragten BGZ macht uns wütend. Die Sorgen und Nöte der Mitbürgerinnen und Mitbürger unserer Region sowie der örtlichen Behörden und Räte scheint man mit so einer Vorgehensweise überhaupt nicht ernst nehmen zu wollen. Eine Vertrauensbasis zu schaffen, sieht anders aus.“

Auf dem Gelände des früheren Kernkraftwerks Würgassen soll ein Zwischenlager für Atommüll entstehen. Räte und Bürgermeister der Städte Beverungen, Bad Karlshafen und der Samtgemeinde Boffzen nehmen gemeinsam Stellung. Foto: Michael Robrecht

Mit dieser deutlichen Kritik nehmen alle Ratsfraktionen und die Bürgermeister der Städte Beverungen, Bad Karlshafen, Trendelburg und der Samtgemeinde Boffzen in einer gemeinsamen Erklärung zum geplanten „Logistikzentrum“ für schwach- und mittelradioaktive Abfälle am ehemaligen Kraftwerksstandort in Beverungen-Würgassen Stellung.

Bürgermeister und Räte in ihrer gemeinsamen Stellungnahme

„Wir fordern die BGZ auf, transparent und nachvollziehbar den Bürgerinnen und Bürgern vor Ort die Entscheidungsfindung zu erläutern“, betonen Räte und Bürgermeister. „Hierzu stellen sich uns zu allererst folgende Fragen: Warum wird das Zwischenlager nicht bei Schacht Konrad gebaut? Welche Kriterien liegen der Entscheidungsfindung zu Grunde? Wer hat die Entscheidung getroffen? Welche Rolle spielt dabei das Bundesumweltministerium? Welche Orte wurden alternativ geprüft? Wurde die Auswahl auf bestimmte Grundstücke beschränkt? Welche zusätzlichen Kosten wurden erfasst (Protestaktionen, Polizeieinsätze)?“

Fraktionen und Bürgermeister äußern die Sorge, dass entgegen anders lautendender Beteuerungen Würgassen zu einem Endlager werden könnte. „Was geschieht mit diesem ‚Logistikzentrum‘, wenn Schacht Konrad nicht rechtzeitig fertiggestellt wird beziehungsweise aus welchen Gründen auch immer, gar nicht in Betrieb genommen wird? Wird bereits Atommüll angeliefert, bevor Schacht Konrad in Betrieb geht? Welche Stoffe werden in dem ‚Zwischenlager‘ eingelagert werden? Welche Mengen und welche Stoffe werden zeitgleich in Würgassen gelagert? Wird der Standort Würgassen auch ein Zwischenlager für andere ehemalige KKW-Standorte?“

Menschen in Sorge

Die hier lebenden Menschen seien, so die Bürgermeister und die Ratsfraktionen, in großer Sorge, dass gesundheitliche Gefahren von den angelieferten Gütern ausgehen werden. „Welche Stoffe sollen verarbeitet werden? Welche Strahlenbelastung geht von den Gebinden aus? Welchen Gefahren sind Mitarbeiter ausgesetzt? Wie ist die Sicherheit der Transporte gewährleistet? Ist die geplante Halle gegen Flugzeugabstürze gesichert?“

Das ehemalige Kernkraftwerk Würgassen befinde sich zwar auf dem Gebiet der Stadt Beverungen, doch die Bedeutung des geplanten Logistikzentrums gehe deutlich über das Stadtgebiet hinaus. Daher fragen die Räte und Bürgermeister, ob die niedersächsische und hessische Seite in die Planungen eingebunden werden.

Eine deutliche Haltung beziehen die Fraktionen und die Bürgermeister in der Frage der Vorteile für die Region: „Wir sind eine strukturschwache Region, die für die Schaffung jedes zusätzlichen Arbeitsplatzes dankbar ist und sich über zusätzliche Steuereinnahmen freut. Wir lassen uns hiermit aber nicht kaufen.“

Bahnstrecke ungeeignet

Die vorhandene Verkehrsinfrastruktur sei für das Vorhaben bei weitem nicht ausreichend. „Wir kämpfen seit Jahren für bessere Verkehrsanbindungen, werden aber immer wieder ausgebremst. Sowohl eine Andienung über die Straße als auch über die Bahn sind zurzeit überhaupt nicht gewährleistet. Mit der Wiederbelebung des früheren Bahngleises zum Kraftwerk ist es nicht getan.“ Daher fragen die Fraktionen und die Bürgermeister, ob es bei der Entscheidungsfindung Untersuchungen zur Verkehrsstruktur gegeben hat. „Der überwiegende Transport soll über die Bahn erfolgen. Hat man mit der Bahn Gespräche hierzu geführt? Die Bahnstrecke Ottbergen-Göttingen, die an Würgassen vorbeiführt, ist nach unseren Informationen für Güterverkehr ungeeignet. Hier sind umfangreiche, langwierige und kostspielige Investitionen erforderlich. Wurde das berücksichtigt?“

Tourismus gefährdet

Beverungen, Boffzen und Bad Karlshafen liegen inmitten des Weserberglandes an den Naturparken Reinhardswald und Solling. „Es wurde und wird aktuell verstärkt in den Tourismus investiert. Unter anderem verläuft in unmittelbarer Nähe des geplanten Standortes mit dem Weserradweg der beliebteste Radweg Deutschlands. Der ebenfalls in Sichtweite verlaufende und mit EU-Mitteln geförderte länderübergreifende ‚Diemeltaler Schmetterlingssteig‘ soll in diesem Jahr eröffnet werden. Zudem wurden und werden in der stark vom Tourismus abhängigen Kurstadt Bad Karlshafen mit hoher Förderung unter anderem des Bundes mehrere Millionen Euro in die touristische Entwicklung rund um den Hafen investiert, und es gibt in Höxter eine Weltkulturerbestätte, eine Landesgartenschau ist dort in Vorbereitung. Wir haben die Sorge, dass mit einer Standortentscheidung für Würgassen all diese touristischen Bemühungen zunichte gemacht werden.“

Bisher sei nicht ersichtlich, auf welcher rechtlichen Basis dieses Logistikzentrum entstehen soll. „Welche Plan- und Genehmigungsverfahren sind notwendig? Wer entscheidet über die einzelnen Genehmigungen auf welchen rechtlichen Grundlagen? Welche Einflussmöglichkeiten haben wir als betroffene Kommune und welche Möglichkeiten haben die betroffenen Bürgerinnen und Bürger in den geplanten Verfahren?“ Räte und Bürgermeister fordern die BGZ auf, diese und weitere Fragen ernst zu nehmen und hierauf spätestens in der Bürgerversammlung am kommenden Mittwoch, 18. März, erste Antworten zu geben. Sie beginnt um 18 Uhr in der Stadthalle Beverungen.

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