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Mohamed Alali initiiert mit Unterstützung von Hans-Hermann Fenske aus Brakel ein Schulprojekt in Syrien

Krieg raubt Chance auf Bildung

Brakel

In der Mitte ein Teppich, ringsherum improvisierte Sitzgelegenheiten, an einer Wand eine ganz einfache Tafel und oben drüber eine Zeltplane als Dach: Nahe der Flüchtlingscamps im syrischen Idlib wächst aus diesen bescheidenen, provisorischen Anfängen eine kleine private Schule heran. Mädchen und Jungen lernen mit Freuden Lesen, Schreiben, Rechnen und sogar Englisch. Dass diese Grundbildung für sie kein Traum mehr ist, verdanken die Kinder Mohamed Alali (21). Von Brakel aus hat der junge Syrer das Schulprojekt in seiner Heimat initiiert und mobilisiert in der Nethestadt viel Unterstützung.

Sabine Robrecht

Die Sitzgelegenheiten und auch die Tafel sind improvisiert. Die Kinder lernen aber mit Freude und Wissbegierde. Demnächst bekommen sie mit Hilfe der Spenden aus Brakel Tische, Stühle und Schulmaterialien für ihre kleine Schule. Foto: privat

Mohamed kommt aus der Provinz Idlib nahe der türkischen Grenze und gehörte 2015 zu den Jugendlichen, die unbegleitet – also ohne Angehörige – geflüchtet sind. Damals war er 16. Inzwischen steht der junge Mann am Berufskolleg in Brakel kurz vor dem Abitur und blickt mit Dankbarkeit auf die Möglichkeiten, die sich ihm und den anderen jungen Geflüchteten im Kreis Höxter eröffnen: „Dieses Land gibt uns so viel.“ Dazu gehöre die Chance auf Bildung. Diese bleibe in seiner Heimat vielen Kindern verwehrt. „In den Flüchtlingscamps leben Kinder, die mit acht oder zehn Jahren noch nicht lesen können“, weiß Mohamed Alali aus Idlib. „Der Krieg raubt diesen Kindern die Chance auf Bildung und Erziehung.“

Jeder Weg beginnt mit einem ersten Schritt: In einem Zelt hat das Schulprojekt in Syrien begonnen. Foto: privat

Dagegen möchte der 21-Jährige etwas unternehmen. Zusammen mit seinen Eltern, die aus Idlib geflohen sind und jetzt in einem Haus in der Nähe eines der großen Flüchtlingscamps leben, entwickelte Mohamed die Idee, Kinder zu unterrichten. Im September ging es los: Zuerst in einem Zelt und jetzt in einem Raum, der zwar Mauern, aber noch kein Dach hat, unterrichtete Mohameds Bruder mit organisatorischer Unterstützung des Vaters zunächst befreundete Kinder. Schnell kamen weitere Mädchen und Jungen dazu. Mohameds Bruder konnte einen Freund, der Lehrer war und flüchten musste, für den Unterricht gewinnen. 15 bis 20 Kinder gehen inzwischen in die improvisierte Schule. Sie ist ein Segen, weil die öffentlichen Schulen nicht alle Mädchen und Jungen aus den überfüllten Camps aufnehmen können.

Mohamed steht von Brakel aus dank moderner Kommunikationsmittel in stetem Austausch mit seinen Angehörigen und verfolgt mit großer Freude, wie aus seiner Idee ein segensreiches Projekt heranwächst. Demnächst bekommen die Kinder – auch dank der Spenden aus Brakel – Tische und Stühle. Hefte, Stifte und weiteres Schulmaterial wird von den Spenden ebenso angeschafft wie jetzt warme Kleidung für den Winter.

Klare Botschaft der Schüler: „Eure Bomben können unsere Häuser zerstören, aber nicht unser Wissen.“ Foto: privat

Mohamed liegt das Projekt so sehr am Herzen, weil Bildung und Erziehung ganz wesentlich dazu beitragen, dass aus den Kindern selbstbestimmte Erwachsene werden, die mit kritischem und wachem Geist gefährlichen Einflüssen widerstehen. Und: „Vielleicht sind diese Kinder eines Tages die Ingenieure und Ärzte, die unser Land wieder aufbauen.“ In diesem Sinne möchte Mohamed den Menschen in seiner Heimat helfen.

Ermutigt und bestärkt hat ihn Hans-Hermann Fenske. Der ehemalige Leiter der Hauptschule Brakel hat 2015 für den jungen Syrer und drei weitere unbegleitete Jugendliche die ehrenamtliche Vormundschaft übernommen und kümmert sich seither mit Herz und Tatkraft um sie und auch um weitere junge Männer. Einige seiner Schützlinge sind im Pflegeberuf tätig, andere stehen kurz vor dem Abschluss ihrer Ausbildung im Handwerk. Mohamed ist gemeinsam mit seinem Freund Ahmed Barad auf dem Weg zum Abitur. Sei es in schulischen Fragen, bei Behördengängen und Formalitäten oder auch in der Freizeit: Hans-Hermann Fenske steht den jungen Geflüchteten wie ein Lotse zur Seite. Das Schulprojekt unterstützt er aus voller Überzeugung. Aus dem Sprachförderunterricht, den er an der Gesamtschule Bad Driburg erteilt, kennt er einige syrische Jugendliche, die wegen fehlenden Schulbesuchs in der Heimat weder arabisch lesen noch schreiben können.

Hans-Hermann Fenske und Mohamed Alali informieren sich über die Situation in den Flüchtlingscamps in Idlib. Foto: Sabine Robrecht

„Das Elend in den Flüchtlingscamps ist groß“, sagt Hans-Hermann Fenske. Zu Hunger und Kälte komme jetzt auch noch Corona dazu. In der ratlosen Frage, was aus den Kindern werde, sei die Initiative von Mohamed und seiner Familie ein Lichtblick. „Auch der weiteste Weg beginnt mit einem ersten Schritt“, zitiert der ehemalige Schulleiter den großen chinesischen Philosophen Konfuzius. Mohamed habe in diesem Geist einen Stein der Vor-Ort-Hilfe ins Rollen gebracht. Der Verein Marah in Brakel, der mit dem Ziel der Flüchtlingshilfe und des interkulturellen Austausches gegründet wurde, sammelt Spenden für das Schulprojekt in Syrien und hat in seinem Geschäfts- und Seminarraum „Art und Weise“ Sterne für diesen guten Zweck verkauft. Die Initiative trägt das Leitwort „Sterne für Bildung“. Die Spenden kommen, so Hans-Hermann Fenske und Mohamed Alali, direkt in der kleinen Schule an. Die beiden überweisen die Beträge zunächst in die Türkei. Geschäftsleute übergeben das Geld direkt in Syrien. In einer Videobotschaft sagen Kinder gemeinsam „Danke“.

„Sterne für Bildung“ zieren in der Nethestadt viele Wohnzimmer. Mit dem Kauf der Sterne haben die Brakeler das Schulprojekt unterstützt. Foto: privat

Mit dem Licht der Weihnacht verbinden Mohamed und seine Angehörigen in Syrien über tausende Kilometer hinweg die gemeinsame große Hoffnung, dass die kleine private Schule wächst. Hans-Hermann Fenske zitiert einen Weihnachtswunsch von Christa Carina Kokol: „Stern von Bethlehem, weise uns den Weg, damit wir das Kind in der Krippe in jedem Menschen erkennen, der uns gerade braucht.“ All jene, die das Schulprojekt in Syrien unterstützen, haben das Kind in der Krippe erkannt: in den Kindern, die Bildung und Erziehung benötigen, um zu selbstbewussten Erwachsenen heranzuwachsen und ihr zerstörtes Land wieder aufbauen.

Wer helfen möchte, kann eine Spende an den Verein Marah unter dem Stichwort „Bildung in Idlib“ überweisen. Die Bankdaten: IBAN: DE 62 4726 4367 6004 0637 00, BIC GENODEM1STM, Vereinigte Volksbank. Der Verein stellt auf Wunsch Spendenquittungen aus.

Bewegende Worte eines der Schulkinder: „Ich möchte studieren und Arzt werden, um die Verwundeten zu behandeln.“ Foto: privat
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